Michael Böddeker: Über das Urheberrecht in der Lehre wurde lange diskutiert und gestritten. Lehrende möchten möglichst frei darin sein, welche Texte und anderen Medien sie in der Lehre einsetzen, Verlage und Rechte-Inhaber die stehen klassischer Weise auf der genau gegenüberliegenden Seite. Ein neues Gesetz soll vieles einfacher machen - auch wenn es einen etwas komplizierten Titel hat: das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz.
Kürzlich ist es inkraft getreten, und was das für Lehrkräfte, Professoren und Studierende bedeutet, darüber sprechen wir mit dem Juraprofessor Martin Stieper von der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg.
Malte Stieper: Guten Tag, Herr Böddeker!
Michael Böddeker: Die Hoffnung war ja, dass durch das neue Gesetz vieles einfacher wird, im Umgang mit dem Urheberrecht. Wird es das?
Stieper: Im Grundsatz schon. Insgesamt halte ich das für eine ganz gelungene und in Teilen auch mutige Regelung.
Böddeker: Dann lassen Sie uns mal etwas konkreter werden. Hauptstreitpunkt war die Frage, was denn in so einen digitalen Semesterapparat hinein darf, also in das, was früher meist noch in Papierform, in der Bibliothek zum Beispiel, stand, was heute oft digital bereitgestellt wird. Was darf da hinein?
Stieper: Also, es ist nur einer der Punkte, der neu geregelt worden ist. Insgesamt geht es um Schranken zugunsten von Unterricht und Wissenschaft. Das sind also solche Vorschriften, die bestimmte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke erlauben, ohne, dass man vorher eine Lizenz einholen muss.
Und in der Tat, der Streitpunkt in den letzten Jahren waren vor allen Dingen die digitalen Semesterapparate. Es gibt Fakultäten, die bauen einen großen Teil ihres Unterrichts darauf auf, dass sie das während der Lehre an der Universität benötigte Material aus Lehrbüchern, Zeitschriften und Ähnlichem, den Studierenden über eine Lernplattform, über das Intranet der Universität, zur Verfügung stellen.
Böddeker: Und da können zum Teil auch urheberrechtlich geschützte Werke hineingestellt werden?
Stieper: Richtig! Das war auch bisher schon zulässig, wobei der Umfang dort früher aber wesentlich weniger klar geregelt war, als heute. Heute besteht eine umfassende Regelung für die Nutzung von Werken zur Veranschaulichung in Unterricht und Lehre. Dazu gehören auch diese digitalen Semesterapparate. Und die Regelung besteht darin, dass jetzt pauschal, grundsätzlich von allen veröffentlichten Werken bis zu 15 Prozent in einen solchen digitalen Semesterapparat eingestellt werden dürfen.
Böddeker: Das heißt, wenn ich ein Lehrbuch habe, das 1000 Seiten hat, könnte man davon 149 zumindest bereitstellen?
Stieper: Richtig! Wobei dann immer noch zu klären ist, wie ich diese 15 Prozent berechne, also inwieweit ich dort Abbildungen, Fußnoten, Literatur- und Inhaltsverzeichnisse und so weiter mit einrechne. Aber im Grundsatz ist das die Regelung, die der Gesetzgeber angestrebt hat.
"Für sogenannte 'Werke geringen Umfangs' gibt es eine Ausnahme"
Böddeker: Es gibt noch viele andere Medien, natürlich auch wissenschaftliche Fachartikel. Dürfen die dort bereitgestellt werden?
Stieper: Für sogenannte "Werke geringen Umfangs" gibt es eine Ausnahme. Wenn die Werke so kurz sind, dass letztlich eine 15-Prozent-Entnahme keinen Sinn macht, dann soll man die vollständig nutzen dürfen. Das gilt zum Beispiel auch für Fachartikel, jedenfalls dann, wenn sie 25 Druckseiten nicht überschreiten.
Böddeker: Und vermutlich auch für Dinge wie Fotos und Bilder? Da würde es ja auch keinen Sinn machen, wenn man davon einfach einen kleinen Bildausschnitt, 15 Prozent nur, nutzen würde.
Stieper: Ja, richtig! Fotos, Abbildungen, technische Skizzen oder Ähnliches, das wird der Hauptanwendungsfall von dieser Ausnahmeregelung sein.
"Absicht des Gesetzgebers war das sicherlich nicht"
Böddeker: Wie sieht es mit Pressetexten aus? Dürfen die bereitgestellt werden?
Stieper: Das ist die große Frage. Ursprünglich war im Entwurf allgemein eine Regelung für Zeitungen und Zeitschriften vorgesehen. Da wäre der Fachartikel, genauso wie der Zeitungsartikel von umfasst gewesen. Auf Druck der Presseverleger ist das aber auf Artikel aus Fachzeitschriften beschränkt worden, mit dem Ziel, Presseartikel gerade da rauszunehmen. Das ist aber eigentlich durch nichts gerechtfertigt. Deswegen wird man vielleicht darüber diskutieren müssen, ob man sie nicht trotzdem, trotz dieser ausdrücklichen Ausnahme vom Gesetzestext, noch unter die sonstigen Werke geringen Umfangs fassen kann. Aber Absicht des Gesetzgebers war das sicherlich nicht.
Böddeker: Das heißt, im Moment sind journalistische Pressetexte eher ausgenommen davon. Dürfte man die denn zitieren?
Stieper: Ja! Das ist der Ausweg, der dann bleibt, den man auch wählen muss, weil es schier sinnlos wäre, ausgerechnet auf aktuelle Presseveröffentlichungen, zum Beispiel auch im Geschichts- oder Sozialkundeunterricht, an Schulen oder Ähnlichem, verzichten zu müssen. Die Zitierfreiheit setzt allerdings voraus, dass man sich mit dem zitierten Werk dann auch inhaltlich auseinandersetzt, dass also das zitierte Werk als Beleg für die eigenen Ausführungen dient. Aber, wenn ich zum Beispiel eine Exegese eines Zeitungsartikels im Unterricht mache, dann ist das von der Zitierfreiheit gedeckt.
"Zum Teil wird das von der Privatkopieschranke erfasst sein"
Böddeker: Jetzt haben wir über digitale Unterrichtsmaterialien gesprochen, über Werke, die man dafür nutzen kann. Wie sieht es an anderen Stellen aus – zum Beispiel in der Unibibliothek? Darf ich mir da weiterhin Bücher kopieren, Seiten kopieren oder vielleicht auch abspeichern?
Stieper: Da muss man Unterscheiden: Einmal, was darf die Universität eigentlich an technischen Einrichtungen zur Verfügung stellen, und was darf der einzelne Student? Hinsichtlich des einzelnen Studenten hat sich wohl nichts geändert, zum Teil wird das von der Privatkopieschranke erfasst sein, dass man sich also zu privaten Zwecken – worunter Ausbildungszwecke nur bedingt gehören – eine Kopie am Kopierer an der Universität anfertigen darf. Was neu ist, ist die Regelung bezüglich Leseterminals in den Bibliotheken. Auch darum gab es einen langjährigen Streit, insbesondere darum, inwieweit die Bibliotheken Abspeichermöglichkeiten zur Verfügung stellen dürfen, an diesen Terminals. Da ist jetzt klargestellt, dass zum Lesen auch ein ganzes Werk aus dem Bestand der Bibliothek, das ist Voraussetzung, zur Verfügung gestellt werden darf. Abgespeichert werden dürfen aber je Sitzung nur zehn Prozent aus diesem Werk. Es muss also technisch sichergestellt werden sein, dass ein Nutzer, während er dort sitzt, nur zehn Prozent des fraglichen Werks auf einem USB-Stick speichern oder auf Papier ausdrucken darf.
Böddeker: Für wen gelten diese neuen Regelungen denn? Ist das an der Hochschule genauso, wie für Lehrer an der Schule?
Stieper: Ja! Es gilt für alle Bildungseinrichtungen, darunter fallen allgemeinbildende Schulen, genauso wie berufsbildende Schulen, als auch Universitäten und sonstige Hochschulen.
"Wir Juristen sind traditionell noch ein sehr papierliebendes Fach"
Böddeker: Sie selbst sind als Juraprofessor ja auch in der Lehre tätig, sie haben Lehrveranstaltungen. Ändert sich für Sie konkret da etwas?
Stieper: Wir Juristen sind traditionell noch ein sehr papierliebendes Fach. Wir schicken unsere Studenten also tatsächlich noch in die Bibliothek, um irgendetwas auch in Papier zu lesen, deswegen betrifft uns das, glaube ich, im Rahmen der Universität, in der Praxis, tatsächlich weniger, als andere Fakultäten, die schon seit Jahren dazu übergegangen sind, das Unterrichtsmaterial praktisch vollständig digital zur Verfügung zu stellen.
Böddeker: Und mal so über die anderen Fächer hinweggesehen – würden Sie sagen, das ist eine Regelung, mit der alle Lehrenden gut leben können, oder gibt es da noch Schwierigkeiten?
Stieper: Ich denke, gegenüber der bisherigen Regelung ist das in jedem Fall ein Fortschritt. Auch wenn die 15-Prozent-Regelung, beziehungsweise Zehn-Prozent-Regelung, sicherlich nicht jeden Einzelfall angemessen erfassen kann – manchmal muss man vielleicht auch 20 Prozent eigentlich zur Verfügung stellen können, das kann man jetzt nicht mehr tun –, aber trotzdem hat man etwas an der Hand, eine Grenze, an der man sich orientieren kann, ohne sich jetzt Gedanken darüber zu machen, muss ich jetzt wirklich, in diesem Umfang das machen, oder könnte ich vielleicht auch etwas weglassen, ohne, dass dort jetzt ein Lernerfolg ausbliebe? Das ist schon ein erheblicher Fortschritt an Rechtsklarheit, der auch dadurch verstärkt wird, dass es jetzt für jede Nutzergruppe – Forschende, Lehrende, Bibliotheken und so weiter – eine Vorschrift gibt, in der klar Art und Umfang der zulässigen Nutzung geregelt sind.
Böddeker: Juraprofessor Malte Stieper – von der Martin Luther Universität Halle/Wittenberg – zu den Änderungen beim Urheberrecht in der Lehre, die vor Kurzem in Kraft getreten sind. Vielen Dank für das Interview!
Stieper: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.