Baku - die Hauptstadt Aserbaidschans. Majestätisch über dem Kaspischen Meer gelegen, mit prachtvoller Altstadt und glitzernden Hochhaustürmen. Einem internationalen Publikum ist Baku mittlerweile bekannt durch spektakuläre Großveranstaltungen: Hier wurde 2012 glanzvoll der Eurovision Song Contest gefeiert, im vergangenen Jahr reisten tausende Fußballfans aus aller Welt zu den Spielen der Europameisterschaft der Männer. Formel-1-Rennen finden in Baku statt, und Präsident Ilham Alijew kann berechtigter Hoffnung sein, auch in Zukunft ein internationales Publikum zu Großereignissen willkommen heißen zu können.
"Schikanen, Schlägertrupps und Erpressung"
Was in Aserbaidschan offenbar nicht willkommen ist: kritischer Journalismus. Auf der internationalen Rangliste der Pressefreiheit liegt die Kaukasusrepublik mittlerweile auf Platz 154 - von insgesamt 180. Aserbaidschans Behörden gingen "brachial gegen unabhängige Blogger*innen und Journalist*innen vor", stellt die Organisation Reporter ohne Grenzen fest. Wer sich dem Druck durch Schikanen, Schlägertrupps und Erpressung nicht beuge, werde "unter absurden Anschuldigungen zu Haftstrafen verurteilt".
Das unabhängige Radio Azadlig wurde bereits geschlossen, unabhängige Zeitungen wie "Zerkalo" würden durch wirtschaftlichen Druck "ausgetrocknet", heißt es in dem Bericht. Online-Nachrichtenportale würden zensiert. Selbst die Familien von Medienschaffenden, die ins Ausland geflohen sind, müssten Repressalien befürchten.
Im Juni hat die aserbaidschanische Regierung ihr Mediengesetz noch einmal verschärft. Ziel sei vor allem "abschreckende" Wirkung, stellte der Europarat in der sogenannten Venedig-Kommission fest. Im jüngsten Gutachten heißt es, dass "mit dem Gesetz versucht wird, nahezu alles, was den Mediensektor in Aserbaidschan betrifft, zu regulieren, einschließlich der Online-Medien".
Journalisten müssen einen Test absolvieren, um sich überhaupt akkreditieren zu können, berichtet Edda Schlager, freie Auslandskorrespondentin für Zentralasien, im Dlf-Interview. Der Staat dürfe persönliche Daten sammeln - Bankkonten, Familienstände, Kontaktdaten von Familienangehörigen.
Die Berichterstattung, so Schlager, sei ausschließlich positiv auf den Präsidenten ausgerichtet, niemand dürfe negativ über ihn oder seine Familie schreiben oder senden. Wer diese "rote Linie" übertrete, dem drohten lange Gefängnisstrafen - "oft unter erfundenen Vorwürfen, wie Steuerhinterziehung oder Drogenbesitz".
Investigativjournalistin geht ins Exil
Notgedrungen verlassen immer mehr kritische Journalistinnen und Journalisten das Land - um ihr Leben und das ihrer Familien zu schützen. Erst vor wenigen Tagen entschloss sich auch Khadija Ismayilova, eine der bekanntesten Investigativjournalistinnen Aserbeidschans, zum Gang ins Exil. Vor allem für das unabhängige Radio Liberty berichtete die 45-Jährige jahrelang über Korruption in Regierungskreisen und die wirtschaftlichen Interessen von Angehörigen der Herrscherfamilie.
Eineinhalb Jahre saß sie bereits im Gefängnis. Danach hatte Ismayilova permanent unter Überwachung gestanden - selbst Videoaufnahmen aus ihrem Schlafzimmer kursierten plötzlich im Internet. Sie schlief daraufhin im Zelt - doch nun gab sie auf.
Auf Youtube beschreibt Khadija Ismayilova ihre Arbeit - und ihre jahrelange Erfahrung damit, ausspioniert zu werden.
Spionagesoftware Pegasus auf Ismayilovas Telefon
Über ihre Ausreise berichtete kürzlich die Süddeutsche Zeitung. Im türkischen Exil angekommen, erfuhr Ismayilova, dass ihr Handy offenbar durch die Software Pegasus überwacht worden war. Die Spionagesoftware Pegasus der israelischen Firma NSO Group kann unbemerkt auf einem Mobiltelefon installiert werden, das dann, wie eine Wanze, Gespräche auch im Raum aufnimmt, gespeicherte Telefonnummern und Chatkontakte scannt.
Vor einem Jahr hat ein internationales Medien-Team, mit dabei auch WDR, NDR, Süddeutsche und "Zeit", gemeinsam mit Amnesty International enthüllt, dass NSO seine Pegasus-Software weltweit an autoritäre Regime verkauft hat - etwa nach Aserbaidschan, Marokko, Mexiko, Uganda, Ungarn, Saudi-Arabien und in die Vereinigten Arabischen Emirate.
Das Amnesty International Securitylab habe Ismayilovas Handy untersucht und Spuren der Pegasus-Software darauf gefunden, die offenbar schon 2019 installiert wurde. Bisher sei nicht bekannt gewesen, dass auch Aserbaidschan Kunde bei NSO ist und Pegasus einsetzt, berichtete die Süddeutsche weiter. Mindestens 48 Journalisten und "eine Vielzahl aserbaidschanischer Menschenrechtsaktivistinnen" seien auch hier mit Pegasus ins Visier genommen worden.
Regierung und NSO äußern sich nicht
Im Zuge der Recherche hätten viele unabhängige Kollegen in Aserbaidschan ihre Mobiltelefone zur Auswertung zur Verfügung gestellt, sagt Auslandskorrespondentin Edda Schlager. "Viele von ihnen leben jetzt im Ausland." Sie befänden sich aber nach wie vor in großer Gefahr.
Auf Anfragen dazu hätten weder die Firma NSO noch die Regierung von Aserbaidschan Stellung genommen, schreibt die Süddeutsche.
Gasdeal mit Aserbaidschan hat Vorrang für EU
Dass die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Baku einen Deal über die Verdoppelung der Gasimporte in die EU von aktuell 8,1 Milliarden Kubikmeter jährlich auf 20 Milliarden Kubikmeter abgeschlossen hat, wird die Lage der Journalisten in dem Land wohl nicht verbessern. Aserbaidschan, so von der Leyen, werde ein wichtiger Partner "für unsere Versorgungssicherheit und auf dem Weg zur Klimaneutralität sein".
Korrespondentin Edda Schlager ist pessimistisch: Sie vermute, dass die EU und westliche Staaten gegenüber Aserbaidschan nun "ein bisschen die Augen zudrücken werden, um diesen Gasdeal nicht zu gefährden". Ohnehin mache das Land mit der EU und auch mit Deutschland seit Jahren gute Geschäfte - obwohl Menschenrechte und Pressefreiheit in Aserbaidschan seit Jahren bekanntes Thema sind.