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Neues Muse-Album
Gegen den Verlust der Menschlichkeit

Die britische Band Muse schwört auf hochtrabende Konzeptalben, einen komplexen Sound und Shows, die audio-visuelle Maßstäbe setzen. Ihr neues Werk "Drones" wartet - wie der Albumtitel schon ahnen lässt - mit einer sehr aktuellen und konkreten Botschaft auf - die eine radikale Kehrtwende für Muse bedeutet.

Von Marcel Anders |
    Der Sänger Matthew Bellamy von der britischen Band Muse steht beim Musikfestival "Rockavaria" auf der Bühne.
    Der Sänger Matthew Bellamy von der britischen Band Muse. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    "Es ist ein Aufruf zu mehr Individualität, freiem Denken und Mitgefühl - statt immer nur auf die Effizienz der Technik zu setzen. Denn es kommt die Zeit, da wir die Schwächen des menschlichen Denkens akzeptieren müssen, das ja mit Gefühlen und Emotionen einhergeht. Richten wir den Fokus aber nur auf Computermodellierungen, verlieren wir etwas Wichtiges. Weshalb das Album auch ein Anstoß sein soll, mal darüber nachzudenken, ob uns die Technik vielleicht in die falsche Richtung führt."
    Was Matthew Bellamy hier verkündet, ist geradezu revolutionär: Nämlich der Gedanke, dass wir mit unserer Begeisterung für Fortschritt und Technik, die alle Bereiche unseres täglichen Seins dominieren, vielleicht doch etwas zurückhaltender sein sollten. Einfach, um nicht vollends von ihr vereinnahmt - und bequem, faul oder abgestumpft zu werden. Wie bei der modernen Kriegsführung, die per Drohnen erfolgt und etwas zusehends Abstraktes und Unmenschliches hat.
    "Die Technik sorgt für eine immer größere Distanz zwischen Zielperson und Auftraggeber. Und das Neueste sind autarke Drohnen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen - ohne dass ein Mensch beteiligt wäre. Was bedeutet, dass die moderne Kriegsführung das ultimative Beispiel dafür ist, wie sehr unser Mitgefühl schrumpft. Und das ist ein weiteres Thema des Albums: Nämlich der Verlust von Menschlichkeit, der uns zu Psychopathen macht - was sich mithilfe der Technik ganz einfach ausleben lässt."
    Erdige Töne statt Elektro
    Der Fortschritt macht uns unmenschlich, und deswegen ist es höchste Zeit, auf die Bremse zu treten und umzudenken. Was Bellamy aber nicht nur in seinen Texten propagiert, sondern auch in seiner Musik. Die wurde auf den letzten Alben immer elektronischer, nur um jetzt eine radikale Kehrtwende zu vollziehen. Mit handgemachten, erdigen Tönen, die aber immer noch jede Menge Pathos und Bombast aufweisen. Da können Muse dann doch nicht über ihren Schatten springen.
    "Ich stand schon immer auf die Idee, Musik einfach mit Gitarre, Bass und Schlagzeug zu machen, und alles bewusst simpel zu halten. Aber gleichzeitig war ich mir immer bewusst, wie viele Vorteile die Technik bietet. Weshalb die ersten sechs Alben auch sehr offen dafür waren. Bis es mir auf ‚The 2nd Law' dann doch zu weit ging, weil die Songs zu sehr von der Technik dominiert wurden. Deshalb ist dieses Album so etwas wie die Rückkehr zu einem einfacheren Sound."
    Privat ein Drohnenflieger
    Weniger ist mehr und menschlicher ist besser, eineBotschaft, die auf "Drones" überdeutlich wird. Und doch - da liegt die Ironie - ohne Spezialeffekte und ohne große Showelemente, geht es bei ihren Konzerten nicht. Und auch privat, zur reinen Unterhaltung, würde Bellamy nie auf technische Gadgets verzichten. Sein neuestes Hobby sind sogennannte Quadrocopter - Drohnen der Marke Eigenbau, die schon für rund 500 Euro erhältlich sind, und mit denen er sich die Zeit in seinem aktuellen Domizil vertreibt - am Strand von Malibu.
    "Die ganz kleinen Modelle habe ich noch nicht ausprobiert. Aber ich habe einen großen Quadrocopter, den ich regelmäßig fliege - und mit dem man tolle Videos machen kann. Natürlich nur zu Recherchezwecken - wenn ihr wisst, was ich meine. Und meine Drohne ist auch ganz anders als die, die zum Töten von Menschen eingesetzt werden. Es ist eine bizarre, neue Technik, die plötzlich überall auftaucht."