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Neues Musikforum Ruhr
Bochumer Musentempel mit sozialem Anspruch

Fast 100 Jahre nach ihrer Gründung bekommen die Bochumer Symphoniker erstmals eine eigene Spielstätte. Von den 38 Millionen Euro Baukosten hat die Stadt mehr als die Hälfte selbst aufgebracht. Außer dem Orchester dürfen dort auch die rund 10.000 Musikschüler der Stadt regelmäßig proben und auftreten. Nun wurde das Musikforum Ruhr eingeweiht.

Von Markus Bruderreck |
    Der Innenraum der Marienkirche in Bochum (Nordrhein-Westfalen). Die sanierte Marienkirche gehört zum neuen Musikforum Ruhr.
    Die sanierte Marienkirche in Bochum ist Teil des neuen Musikforums Ruhr. (picture alliance / dpa / Marcel Kusch)
    In Punkto klassische Musik ist das Ruhrgebiet schon seit vielen Jahren eine Insel der Seligen. Gleich mehrere Konzerthäuser sind dort angesiedelt, in Duisburg und Düsseldorf, in Essen und Dortmund. Am 28. Oktober 2016 wurde mit dem "Anneliese Brost Musikforum Ruhr" in Bochum wieder eine neue Spielstätte eröffnet.
    Stefan Heucke, "Baruch Ata Adonai"
    Für die Eröffnung eines neuen Konzertsaals zu schreiben, ist für jeden Komponisten eine besondere Ehre. Stefan Heucke erprobt mit seiner Kantate "Baruch Atah Adonai" als Erster, was musikalisch und akustisch im neuen "Musikforum Ruhr" möglich ist. Generalmusikdirektor Steven Sloane hat Heucke mit dem Auftrag betraut.
    "Ich habe ihm einen hebräischen Text gegeben zur Einweihung eines neuen Hauses, ein Gebet. Und da sind viele Protagonisten aus der Region, die sind alle dabei in diesem ersten Stück. Wir wollten dieses Symbol: Dieser Ort gehört allen diesen Leuten.
    Stefan Heucke, "Baruch Ata Adonai"
    In "Baruch Ata Adonai" nehmen die Musiker den Saal nach und nach für sich in Beschlag. Sie tragen ihre Instrumente hinein, Posaunen klingen von den Galerien, die Sänger füllen den Raum. Mit Leuchtschrift wird der jüdische Segensspruch auf einen der Balkone projiziert: "Gesegnet seiest Du, Herr unser Gott". Die Mitwirkenden stammen aus dem gesamten Ruhrgebiet, und unter die Mitglieder der Symphoniker haben sich Kinder und Jugendliche der Bochumer Musikschule gemischt. Vor allem auch für sie und für die Laienmusiker der Stadt soll in Zukunft das Musikforum zur Verfügung stehen, meint Steven Sloane.
    "Wir wissen alle, dass die jungen Leute unsere Zukunft sind, überhaupt in der Gesellschaft. Und was klassische Musik angeht: Wenn wir nicht mit jungen Leuten anfangen, dann wird auch irgendwann diese wunderbare Kunstform aussterben."
    Pläne seit 1959
    Schon im Jahr 1959 hat man in Bochum Pläne, ein Konzerthaus zu bauen. Generalmusikdirektor Franz-Paul Decker betont damals die Notwendigkeit einer eigenen Spielstätte für die Symphoniker. Der geplante Saal wird wegen der heraufdämmernden Stahlkrise im Ruhrgebiet allerdings nie realisiert. Jahrzehntelang müssen die Symphoniker in akustisch katastrophalen Sälen spielen. In den Neunziger Jahren kursieren dann viele verschiedene Ideen und Entwürfe für eine neue Spielstätte. Die Symphoniker sammeln privat, damit Machbarkeits- und Architekturstudien angefertigt werden können.
    John Adams, "The Chairman Dances"
    Bei der Entstehung des neuen Bochumer Konzertsaales gibt es viele Rückschläge. Als klar ist, dass die säkularisierte, 1868 gebaute Marienkirche ein Teil des neuen Bochumer Konzertsaales werden soll, geht es zwar vorwärts. Der Lotto-Veranstalter Norman Faber spendet Millionen, ebenso die Bochumer Bürger selbst. Herbert Grönemeyer gibt ein Benefizkonzert in seiner Heimatstadt. Dennoch bremst ein Nothaushalt den Bau aus, ebenso ein Bürgerbegehren. Kurz vor Schluss macht sich dann noch die Heizungsbaufirma aus dem Staub und lässt die Arbeit unerledigt liegen. Schließlich sind noch drei Millionen Euro aufzubringen. Die "Anneliese Brost Stiftung" spendiert sie, weil die Organisation sich für die Bildung von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Dass das Musikforum nun den Namen der aus Bochum stammenden Gattin des WAZ-Mitbegründers Erich Brost trägt, ist also Dank und Verpflichtung zugleich.
    Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 1 "Der Titan", 1. Satz
    Alle, die beim Bau des Bochumer Musikforums mit am Tisch saßen, mussten sich trotz aller Genugtuung am Ende von Wunschdenken und hochfliegenden Plänen verabschieden. Das meint Andreas Grosse-Holz vom technischen Management des Hauses.
    "Wir haben das Gebäude kleiner gemacht, wir haben es schmaler gemacht, wir haben es kürzer gemacht, wir haben es auch niedriger gemacht. Und wir haben eben bei den Materialen auch immer wieder Einschnitte gemacht. Wir haben in allen Bereichen eben nach Kompromissen gesucht, die aber letztendlich die Nutzung des Gebäudes nicht einschränken."
    Konzertsaal mit 960 Plätzen
    Mit einer vier Tonnen schweren Glocke der ehemaligen Marienkirche werden die Besucher des Musikforums zum Konzert gerufen. Sie hängt über der Empore des weiß gestrichenen Foyers. Von dem angenehmen, hellen Raum, der von schlanken Säulen durchzogen ist, kommt man in die beiden Konzertsäle, einen kleineren Multifunktionsraum und in den Konzertsaal mit 960 Plätzen. Dort herrschen warme Farben vor. Amerikanisches Kirschholz wurde verbaut, die schallgeprüften Sitze sind hellgrau bezogen. Die Holztäfelung und schallschluckenden Vorhänge sorgen für eine gemütliche Atmosphäre. Fast wie im Wohnzimmer, wie Steven Sloane meint. Allerdings eines, das verdammt gut klingt.
    Der Hausherr und Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker, Steven Sloane, im Hauptsaal des neuen Musikforums.
    Steven Sloane, Hausherr und Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker (picture alliance / dpa / Marcel Kusch)
    "Es ist genau, wie wir es wollten, wir wollten eine sehr warme Akustik, wo die Instrumente wirklich aufblühen können, aber auch eine sehr transparente Akustik, wo man alles hören kann. Unser Orchester muss jetzt neu lernen, anders zu spielen als vorher. Jetzt entfaltet sich der Klang von allein.
    Mahler, 1. Sinfonie, Scherzo
    Mit ihrem Musikforum haben die glücklichen Bochumer Symphoniker endlich ein Zuhause; mit einem Orchesterbüro, mehreren Stimmzimmern und einer Bibliothek. Die Zahl der Konzerte hat sich wesentlich erhöht. "Lauschbilder", "Ohrenkneifer" oder "Soundsafari" heißen die zusätzlichen Angebote, die sich jetzt speziell an Kinder und Jugendliche wenden. Sogar Laiengruppen dürfen sich auf der Bühne austoben.