Ob es so etwas wie "Zuhause" überhaupt gibt – über diese Frage räsoniert das aktuelle Pollesch-Quartett zu Beginn in der Wohnlandschaft, die Lenore Blievernicht, die Witwe des Bühnenbildners und Raum-Erfinders Bert Neumann, und Nina Peller in die ganze Tiefe der Volksbühne haben bauen lassen; drei jener Bauwagen kommen noch einmal zum Einsatz, die Neumann vor zehn Jahren als "Rollende Road-Show" über verschiedene Open-Air-Freiflächen der Stadt schickte. Jetzt sind drei dieser Wagen, ausgekleidet ganz in Quietsch-Orange, von der Rang-Höhe über den derzeit ja bekanntlich asphaltierten Zuschauerraum bis fast zur Brandmauer ganz hinten im Theater in die linke Hälfte des Hauses gerollt; das Publikum versammelt sich rechts gegenüber auf Sitzsäcken und Gartenstühlen.
Die Akustik ist absehbar katastrophal, weshalb vernünftigerweise die zentralen Gesprächspassagen innerhalb des mittleren Bauwagens stattfinden, durch zwei Kameras nach außen auf zwei Leinwände übertragen und vom Mann an der Ton-Angel (der auch zweimal ins Bild darf) sehr ordentlich mikrofoniert ... und in dieser Grundausstattung ist die Ausgangsfrage ja allemal berechtigt: Was ist das – Zuhause? Und gibt's das überhaupt?
Keine Frage: Für's Publikum gibt's das schon. Zunehmend scheint es völlig egal zu sein, worüber Polleschs Personal vor sich hin räsoniert – wie in Trance folgt die Gemeinde dem von gut sortierten Pop-Songs unterbrochenen Sermon; und es behaupte bitte niemand hinterher, er (oder sie) könne schlüssig und kompakt zusammenfassen, worum es gerade 90 Minuten lang gegangen ist. Klar: Um die Zuhause-Debatte im Wohnraum der drei Bauwagen; aber auch um die Kultur des Übereinander-Herziehens, des Einander-Beschimpfens – die, so wird immer wieder behauptet, im westafrikanischen Burkina Faso als beste Strategie gilt für den Abbau aller zwischenmenschlichen (und auch zwischenstaatlichen) Konfrontationen. Das sei das Allheilmittel, heißt es dort – aufeinander schimpfen, bis sich niemand mehr halten kann vor Gelächter. Schöne Idee.
Außerdem macht unentwegt ein Joint die Runde, zudem eine jener Glas-Röhren, die in Fachkreisen als "Bong" gelten. Wie variierte doch Wolfgang Neuss selig einen der zentralen Sprüche der Friedensbewegung? "Auf deutschem Boden soll nie wieder ein Joint ausgehen" ... so viel immerhin ist an diesem Abend geschafft. Und von hier aus deliriert und destilliert Polleschs Text mäandernd hierhin und dorthin, landet gegen Ende auch bei Stimmungen, die den Abschied ahnen lassen, der den Menschen an diesem Theater in absehbarer Zeit, am Ende der kommenden Saison, unausweichlich bevor steht. Und auch so kommt der Pollesch-Diskurs wieder an den Anfang zurück – denn wenn es ein Theater gibt, nicht nur in Berlin, in ganz Deutschland, das das Zeug hatte und immer noch hat zum Zuhause-Raum, dann war und ist das die Volksbühne.
Es wird übrigens viel gelacht an diesem Abend – was auch daran liegt, dass ein recht ungewohntes Quartett jenseits aller Martin Wuttkes sich durch die Textgirlanden hangelt; wie immer mit freundlicher Unterstützung der Souffleuse, in diesem Fall Elisabeth Zumpe. Da ist zum einen Kathrin Angerer, einst die Muse des Hausherrn Frank Castorf und mittlerweile in einem charmant-affektierten Diven-Ton zu Hause, der gut passt zur nachdenklichen Skepsis auf dem immer wieder gefilmten Gesicht; ihr gegenüber Inga Busch, die Pollesch-Erfahrung hat und neue macht mit kernigem Ton; dazu zwei "neue" Männer – Tristan Pütter und Samuel Schneider, die in wechselnden Schärfen die kreuzweisen Partner der beiden Frauen behaupten. Weshalb das Quartett nun aber nicht etwa eine Art moderner Beziehungskistengeschichte aufmacht – das wäre ja viel zu dramatisch.
Noch was? Alle ziehen sich im Laufe des Abends immer wieder um, und die Kleidung wird schillernder und schriller ...
Und dann ist die Zeit auch schon wieder um. Und in Erinnerung bleiben vor allem die Bauwagen, die im Theater stehen – und dort zu Hause sind.