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Neues Stück vom Altmeister

Botho Strauß ist einer der meistgespielten Dramatiker auf deutschen Bühnen - und er ist ein permanenter Stachel im Fleisch des Feuilletons. Strauß polarisiert. So auch das von ihm inszenierte Stück "Das blinde Geschehen" am Wiener Burgtheater.

Von Michael Laages |
    Es fällt nicht eben leicht, eine Geschichte zu erzählen vom neuen Strauß; kein Wunder: "Das blinde Geschehen" selber hat ja auch keine. Und zwar über das normale Maß jener an sich ja völlig zutreffenden Erkenntnis hinaus, dass die Sehnsucht nach erzählbaren Zusammenhängen in der Welt von heute, wie sie nun mal ist (und zwar schon seit einer ganze Weile!), eher obsolet sind – und "Wirklichkeit" im überschaubaren Format eines Theaterstückes kaum noch vorzeigbar ist.

    Das führt gemeinhin zu chronischer Fragmentierung; aus dieser latenten Bruchstückhaftigkeit erwächst dann aber zum Beispiel in den Stücken von Dea Loher oft die Option auf das Ganze große Panorama einer Zeit, in der nichts mehr mit nichts und alles mit allem zu tun hat. Irgendwie. "Das blinde Geschehen" ist ja tatsächlich allgegenwärtig, ahnungslos werden wir da hineingeworfen – und wissen gemeinhin nicht, warum und wohin.

    Dea Loher allerdings verwebt in derlei dramaturgische Flickenteppiche fast immer Themen von fundamentaler Herausforderung, speziell was das Zusammenleben im Kollektiv der Gesellschaft betrifft; Botho Strauß hingegen nutzt das jüngste Allerlei aus vierzehn szenischen Miniaturen nur, um einen ururualt und sehr abgestanden wirkenden Beziehungssalat anzurühren, in dem (wie es die PR-Poesie aus der Werbeabteilung des Burgtheaters so schlicht wie entlarvend formuliert) vor allem jener Zustand menschlicher Zweisamkeit zur Verhandlung ansteht, in dem die Kombattanten nicht mit- aber eben auch nicht ohne einander auskommen können. Ach ja. Toll. Und gar nicht neu. In etwa so bekannt aus ungezählten Zimmerschlachten:

    Männer und Frauen passen halt nicht zueinander – das wissen wir spätestens seit Loriot und Evelyn Hamann. Die waren komisch – Strauß dagegen meint's wie immer eher ernst; und verpackt die altbackene Wahrheit nur moderat modern: wenn hier ein Computer-Freak mit Hang zum Avatarischen poussiert mit einem quasi nach weiblichen Idealmaßstäben geklonten Schönheits- und Charmanz-Idol. Aufgemotzt und angereichert wird das mächtig ambitiöse und zugleich erschreckend hohle Bramarbasieren voll edler Einfalt, stiller Größe und einer Menge possierlich gedrechselter Plattitüden für die besseren Kreise mit allerlei Anspielungen auf den ewig unauflöslichen Konflikt von Schein und Sein speziell im Theater – Schatten-Spiele nach Chamisso und/oder Andersen werden ebenso beschworen wie Strindbergs "Traumspiel" oder die insularen Albtraum-Einsamkeiten um Prospero und Caliban aus Shakespeares "Sturm"; schließlich (und besonders zentral) markiert Strauß immer wieder Überblendungen mit Luigi Pirandellos Kunst-und-Leben-Mythos, in dem "Die Riesen vom Berge" unsere kleine Welt und alle Zauberkünste des Theaters in Schutt und Scherben trampeln werden.

    "Das blinde Geschehen" bleibt in zwei pausenlosen Stunden ein unordentlich, ja geradezu wurschtig zusammengestoppeltes Sammelsurium, das auch durch beharrlich herbeizitierte Revue-Zutaten keinen rechten Zusammenhalt gewinnt, durch sieben liebliche Engelein im Tütü etwa und ein "selbstsingendes Mikrofon", das immer wieder, und sehr apart in sich zusammen knickend, über die Bühne karriolt und insgesamt den meisten Beifall einheimst. Nur in Spurenelementen kann sich das fahrige Stück mausern zur Recherche über die Überlebensfähigkeit des liebenden Ich in ebenso kollektiver wie virtueller Gegenwart.

    Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann scheint erstaunlicherweise immer noch mächtig stolz darauf zu sein, die immer weniger interessanten Texte des einstigen Groß-Dramatikers Strauß uraufführen zu dürfen. Dabei unterfordert er sich und das Wiener Ensemble ziemlich penetrant - "Das blinde Geschehen" bietet kein Schauspielerfutter, ja nicht mal halbwegs ordentliche Hauptrollen; bestenfalls sparsam funkelnde Miniaturen. Aber auch davon nicht viel – so ist denn Hartmann den Rest des bemerkenswerten langweiligen Abends über damit beschäftigt, auf Stephane Laimés Bühne und mit deren Hilfe Effekte des Theaters aufzubieten; Verpackungen, wohin das Auge schaut, Tricks und kleine Augentäuschereien, die aber die fatale Lehre in Text und Stück überhaupt nicht verbergen können. Selbst das Burgtheater-Publikum, das ja vor allem meist sich selber bejubelt, wenn es sich begeistert gibt, wirkt merklich müde – bei diesem öden Echo aus vergangener Zeit.