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Aboud Saeed: „Die ganze Geschichte“
Neues vom King of Facebook

Unter dem Titel „Der klügste Mensch im Facebook“ hat der Mikrotext-Verlag vor acht Jahren eine Sammlung von Statusmeldungen des syrischen Schmieds und Bloggers Aboud Saeed herausgegeben. Seitdem lebt und postet Saeed in Berlin. Nun ist mit „Die ganze Geschichte“ die Fortsetzung des Buches erschienen.

Von Matthias Bertsch |
Aboud Saeed: "Die ganze Geschichte"
Der gelernte Schmied Aboud Saeed wurde als syrischer Facebookautor berühmt. Heute lebt er in Berlin und hat neue Posts veröffentlicht. (Klaas Posselt / Mikrotext)
„Ich liebe Berlin“, schreibt Aboud Saeed in einem seiner letzten Posts. Acht Jahre lebt er nun schon hier und genießt das Anything goes der anonymen Metropole. Es ist das Gegenteil dessen, womit er groß geworden ist.
„Mein ganzes Leben habe ich in Manbidsch verbracht, immer auf dem Zahnfleisch. Und mit einem Satz befand ich mich plötzlich in Berlin. Vom Gedränge, wo sich jeder ständig in dein Leben einmischt, zur Einsamkeit, wo sich kein Mensch um dich schert.“
Mit einem Mal ist Saeed selbst Teil jener Welt, die er vorher nur aus den Medien kannte: die Welt der Demokratie und der Wissenschaft, oder schlicht: des Westens.
„Und in dieser Zwischenwelt waren mir die Facebookwände der einzige Begleiter. Sie dienten mir als digitales Tagebuch, dort schrieb ich meine Tage hinein, einen nach dem anderen.“
Nun muss man sich hüten, Facebook als Tagebuch zu verstehen, denn ein Tagebuch schreibt man für sich selbst, Facebook dagegen immer für andere. In anderer Hinsicht stimmt der Vergleich mit dem Tagebuch dagegen: Saeeds Buch ist keine Autobiografie, wie der Titel „Die ganze Geschichte“ nahelegt, sondern eine Abfolge mal klug-spritziger und mal eher belangloser Gedanken – jeweils versehen mit dem Datum des Posts und der Zahl der Love-Reaktionen, die er dafür bekommen hat. Es wirkt wie eine Sammlung von Aphorismen, der roter Faden lautet: Ich!
18. Januar 2012 um 03:04 Uhr 43 ♥:
„Ich glaube nicht an Geschichte / Ich fühle: Erst mit meiner Geburt hat die Existenz allen Lebens begonnen.“

Das Ich als Mittelpunkt der Welt

Vielleicht ist es Ausdruck der Generation Facebook, sich selbst für den Mittelpunkt der Welt zu halten oder sich als diesen zu inszenieren. Saeed tut das durchaus unterhaltsam und erfrischend unprätentiös – er schreibt nicht über den Krieg in Syrien und wer daran schuld ist, sondern über sich und seinen Alltag. Dass er dabei mit Klischees spielt und sie zugleich reproduziert, steigert den Unterhaltungswert noch. 2013 wird er von einem deutschen Fernsehjournalisten zuhause in Manbidsch besucht. Wie jeder Gast wird Max zuvorkommend behandelt, auch wenn seine Strümpfe stinken und er wie ein Scheunendrescher futtert.
18. April 2013 um 12:24 Uhr 1100 ♥:
„Als er die Stadt verließ, war er zutiefst glücklich und zufrieden. Mit dem Film, dem Abenteuer und der tollen Gastfreundschaft bei uns zu Hause. Das ganze Ereignis wurde dann im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Was Max aber nicht wusste: Das eigentliche Ereignis in Manbidsch waren er, seine Socken und die vier Laib Brot, die er verputzt hatte.“
Wenig später erhält Saeed eine Einladung nach Deutschland und zieht nach Berlin. Hier trifft er all die tollen Frauen, von denen er in Syrien geträumt hat. Nur: die meisten wollen gar nichts von ihm wissen.
29. Juni 2016 um 23:34 Uhr 551 ♥
„Eine hübsche Deutsche / raucht und tanzt und trinkt ein Bier / ich versuche, sie in ein Gespräch zu verwickeln: „Hast du Facebook?“ Darauf sie, tanzend: „I don’t have Facebook.“ Ich lächele und sage zu mir selbst: „Wer braucht schon Facebook, wenn’s einem an nichts fehlt?“

Refudschies Wellkamm!

Es sind solche nachdenklichen Sätze, die einen kurz innehalten lassen, denn sie brechen mit dem Bild vom coolen, selbstbewussten King of Facebook und lassen ein verletzbares Ich zum Vorschein kommen. Neben dem verletzbaren – oder verletzten – gibt es aber auch ein verärgertes oder wütendes Ich, und das richtet sich vor allem gegen die, die ihn so feiern: Die Kulturszene. Saeed hat ein ambivalentes Verhältnis zu ihr: Einerseits genießt er es, zu Lesungen eingeladen zu werden, andererseits macht er sich darüber lustig, dass er viel Geld und Beifall bekommt - ganz egal, was er sagt. Nach Beginn der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 wird seine Kritik deutlich schärfer.
1. April 2016 um 12:11 Uhr 764 ♥
„Ich werde ständig in alle möglichen Städte eingeladen, von Theatern, Kulturvereinen und Festivals. Festivals, bei denen nie jene großen, fettgedruckten Slogans fehlen dürfen, wie „Grenzen niederreißen“, „Kunst überwindet Krieg“, „Refudschies Wellkamm!“. Der ganze Wein, den ich in diesen Theatern gesoffen habe, kostet zusammengerechnet wahrscheinlich sowas wie die Versorgung des weltweit größten Flüchtlingslagers. Drei Jahre habe ich mit meinen intellektuellen Freunden verbracht, die an ihren Prinzipien fast ersticken.“
Der letzte Satz ist gleichermaßen böse wie zutreffend, denn er bringt die Überheblichkeit auf den Punkt, mit der sich Teile der Kulturszene als die guten Menschen inszenieren. Doch Saeeds Wut ist nicht auf die Kulturszene beschränkt, die vielen NGOs, vor allem die humanitären, nennt er eine Epidemie des Westens.
25. Januar 2016 um 13:29 Uhr 1100 ♥
„Keiner kann es mit ihnen aufnehmen. Besonders wenn sie die Parolen der Menschlichkeit und Kultur vor sich hertragen. Wenn dann einer wie ich daherkommt und ihnen sagt: „Scheiß auf euch und eure empfindsamen Herzen!“, wird er eiskalt mit Kartoffeln beworfen.“

Respekt statt Mitleid

An solchen Stellen wird auch die Begrenztheit des Buches deutlich. Es sind Gedankensplitter, aus der Stimmung des Moments auf Facebook gepostet, ohne dass klar wird, wen er genau meint: alle humanitären Helfer und Flüchtlingsaktivisten, oder doch eher Kultur und Medien, die daraus Stoff für eine Inszenierung machen? Klar dagegen ist, dass Saeed selbst nicht als Flüchtling abgestempelt werden möchte. Er will kein Mitleid sondern Respekt, auch wenn er selbst manchmal auf die „Mitleidsschiene“ setzt, zum Beispiel, wenn er bei seinem afrikanischen Dealer Gras kauft.
31. März 2018 um 13:07 Uhr 368 ♥
„Ich verziehe wehleidig die Augen und sage: „Please, give me a little more. You know that I’m from Syria! War, revolution, freedom, freedom!” Da baut sich der Afrikaner vor mir auf und sagt: „You want freedom, Habibi? Then go to Syria! No more Marihuana.“
„Aboud Saeed ist einer der besten Schriftsteller der Welt“. Mit diesem Zitat von ARTE wirbt der Verlag auf der Rückseite für das Buch. Nein, ist er nicht, und er muss es auch nicht. Er ist ein Schmied und „Stadtbeduine“, wie er sich selbst nennt, der keine Lust auf Krieg hat und uns an seinen Gedanken teilhaben lässt – auf der linken Seite auf Arabisch, und auf der rechten, dank der Übersetzerin Sandra Hetzl, auf Deutsch. Das sollte doch eigentlich reichen.
Aboud Saeed: „Die ganze Geschichte“
Zweisprachige Ausgabe, Arabisch / Deutsch
Aus dem Arabischen von Sandra Hetzl
Mikrotext-Verlag, Berlin
371 Seiten, 23 Euro. E-Book 9,99 Euro.