Eine große Papiertischdecke liegt auf einem langen Tisch. Auf ihr sind die Grenzen der europäischen Länder markiert und über sie hinweg verlaufen viele bunte Linien. Jede Farbe zeichnet eine andere Verbindung nach, denn jeder der 14 Teilnehmer am Tisch hat auf der Karte drei Punkte markiert und sie miteinander verbunden: Den Geburtsort, einen Ort im Ausland, an dem er sich oft aufhält und einen Ort mit besonderer emotionaler Bedeutung. Viele Linien weisen weit über Europa hinaus. An dieser ersten, englischsprachigen Veranstaltung nehmen viele Asiaten teil, aus China und Japan zumal.
Im Kreis herum geht ein kleiner selbst gebastelter Apparat, der kleine lustige Geräusche von sich gibt und wie eine Registrierkasse einen Papierstreifen mit der je nächsten Gruppenaufgabe ausgibt:
"Zeigen Sie jeweils mit den Fingern einer Hand, in Zahlen zwischen null und fünf, ihre Zustimmung zu folgenden Themen: Vertrauen in die Demokratie. Das Ausmaß ihres Ehrgeizes, ihren Sinn für Solidarität und manches andere."
Die Blicke gehen umher, man lernt Eigenheiten der anderen Teilnehmer kennen, entwickelt Sympathien. Oder aber man hat mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, der erzählen soll, was er an dem Ort erlebte, den er als emotionsbeladen auf der Karte markierte. Nach einer ersten kurzen Runde mit Fragen an den Gastgeber dient dieser sogenannte Level zwei des Gruppenexperiments dazu, dass sich die vierzehn Teilnehmer besser kennenlernen.
"Where did your grandparents come from and how did they meet one another, three, two, one, now."
Zwischen Fragen nach Privatem streuen sich politische Fragen, nach Demonstrationserfahrungen, Mitgliedschaften in Nichtregierungsorganisationen zum Beispiel. Auch die Frage nach der Angst vor der Zukunft wird gestellt und die, ob man von seiner Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Dazwischen auch: Informationen über Geschichte und Vorgeschichte der EU: Pariser Verträge, Maastricht, Lissabon.
Diese erste Gruppe ist nicht nur sehr international, sondern auch politisch vielfältig, vom Norweger mit Parlamentserfahrung bis zu einem italienischen Trotzkisten und einer Anarchistin. Das Europa, das sich hier offenbart, ist keineswegs deckungsgleich mit der EU und ihren herrschenden politischen Parteiungen. Es ist eher ein Abbild der Internationalität der deutschen Hauptstadt und ein Stück weit ein Versprechen für eine Zukunft der Verständigungen.
Mischung aus Kindergeburtstag, Statistik, Gruppenexperiment
Was so schön begann, soll offenbar im zweiten Teil der Veranstaltung im Dienste der Einsichten in die Machtkalküle der Eliten wieder zerstört werden: Die Gruppe wird in sieben Zweierteams aufgespalten, die nunmehr wie im Fernsehquiz, konkurrierend um Punkte, Fragen beantworten, um ihr Ranking kämpfen und strategische Allianzen eingehen soll. Nun liegen sieben umgemodelte Smartphones in selbst gebastelten bunten Plexiglaskonsolen vor den Zweierteams. Der Blick geht nun vom Gesicht der Anderen auf das Display, das Lachen verstummt, ein heimlichtuerisches Gemurmel hebt an. Es geht um Anteile an einem Kuchen, der schon in der Backröhre ist.
Riminis Hausbesuch, diese Mischung aus Kindergeburtstag, Statistik, Gruppenexperiment, Elektronikbastelei und angewandter Spieltheorie wird jedes Mal anders ausfallen und ein Hinweis darauf gab eine zweite, nunmehr deutschsprachige Veranstaltung, wieder in einer Privatwohnung, einen Stadtteil weiter.
"Wir sind dran, sieben grün: Wer hat ein politisches Ziel, das er mit Gewalt durchsetzen würde?"
Die Gruppe, fast ausschließlich Deutsche, fängt rasch an, das Spiel zum Anlass zu nehmen für allgemeine Diskussionen. Wie Brüssel die schöne Idee Europa verrät, zum Beispiel. Immer wieder mahnt der elektronische Spieltaktgeber ungeduldig und vergeblich mit Gepiepse und Gedröhne zum Weiterspielen. Diese kulturell homogenere Gruppe wird von dem Spiel nicht geeint, im Gegenteil. Es mehren sich kritische Bemerkungen über technische Mängel und irreführende Spielanweisungen. Wäre jede Verallgemeinerung nicht von sich aus falsch: Man vermutete gerne, ein notorisches deutsches Gemäkel und die Wut zur Verbesserung von allem und jedem sei am Werke. Was allerdings Riminis Hausbesuch tatsächlich kaum leistet, ist, dass man am eigenen Leib erführe, wie aus einer schönen Idee im Verlauf des Spiels öde politische Machtkalküle werden. Denn die einzelnen Untergruppen mit Punkten dafür zu belohnen, dass sie mit ihren Entscheidungen zufällig zur Mehrheit gehören, hat wenig mit der politischen Praxis bei der Herstellung von Mehrheiten zu tun. So ist das neue Rimini-Projekt allenfalls ein nettes Gesellschaftsspiel mit jedes Mal anderer Gruppendynamik.