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Neues von Miles Davis
Das verlorene Album "Rubberband"

Die 1980er-Jahre gelten nicht gerade als stärkste Schaffensphase des Jazztrompeters Miles Davis. Mit „Rubberband“ erscheint jetzt ein „verlorenes Album“ aus dem Jahr 1985, sechs Jahre vor seinem Tod – und es zeigt ein Genie, das in seiner Entwicklung nie still stand.

Jens Balzer im Gespräch mit Bernd Lechler |
Der amerikanische Jazzmusiker Miles Davis (1926−1991) spielt Trompete auf einem undatierten Konzertfoto.
Der US-amerikanische Jazzmusiker Miles Davis: "Innovationsgeist, mit einer destruktiven Ader verbunden" (picture-alliance / akg-images / Binder)
Am 6. September erscheint ein neues Album von Miles Davis, 28 Jahre nach seinem Tod. Ein "verlorenes Album" mit dem Titel "Rubberband". Die Grundlage sind unveröffentlichte Studioaufnahmen aus dem Jahr 1985.
Die Platte reihe sich in die große Zeit der verlorenen Alben ein, sagte Musikkritiker Jens Balzer im Dlf, von John Coltranes "Both Directions at Once", Soloklavieraufnahmen von Prince oder "You’re the Man" von Marvin Gaye. Diese verlorenen Alben seien häufig aus Übergangsphasen, in denen die Künstler nicht wissen, welche Richtung sie einschlagen wollen - "so auch im Fall von 'Rubberband' von Miles Davis", meinte Balzer.
Wynton Marsalis versus Miles Davis
"Rubberband" war das erste Werk, das Davis für seine neue Plattenfirma Warner aufnahm - nach 30 Jahren für Columbia. Er wechselte im wesentlichen wohl deshalb, "weil er verstimmt war darüber, dass Columbia an ihm vorbei Wynton Marsalis als neuen Jazz-Star aufbauen wollte" - einen guten Trompeter und gleichzeitig Vertreter eines biederen Jazz-Traditionalismus, so Balzer.
Die Platte jedenfalls biete "wuchtige Funk-Songs mit geslaptem Bass und einer Gitarre, die klingt wie bei Nile Rodgers von Chic", darunter drolliges Synthesizergeblubber, ein "schwer an Prince erinnerndes Stück", "leicht latin-geprägte Sundowner-Musik für die Strandbar", und in der zweiten Hälfte des Albums einige Tracks "mit extranervöser Bass-Schlagzeug-Sektion, in denen die Trompete sich dann allmählich auch aus der rhythmischen Klammer befreit".
Das erinnere dann wieder an den Früh-1970er-Miles von "On the Corner". All dies hätten die damaligen Produzenten, Randy Hall und Zane Giles, nochmal ordentlich nachbearbeitet, "mit hineingemorphten Gesangsspuren oder auch mal mit der heruntergepitchten Stimme von Miles Davis selber", erzählte Balzer.
Entspanntes Verhältnis zur Studiotechnik
Zur nachträglichen Bearbeitung von Musik habe Miles Davis immer schon ein entspanntes Verhältnis gezeigt - spätestens seit seinem Album "Bitches Brew" von 1970: "Auch da waren die zugrundeliegenden Improvisationen schon stark bearbeitet, auseinandergeschnitten und wieder neu zusammengefügt", erklärte der Kritiker. Und auch auf den Früh-80er-Alben ab "The Man With The Horn" finde man - dem damaligen Zeitgeist entsprechend - viele Overdubs und zum Teil pompösen Einsatz von Studiotechnik.
Der Sound der Trompete wiederum sei relativ klar und ohne elektronische Effekte - "aber sie wird oft so sonderbar schief, leidernd, irgendwie unbehaglich verkrümmt und verzogen geblasen, wie man das ja auch von seinen letzten Live-Auftritten noch kannte", meinte Jens Balzer. Es sei eine Musik, aus der gleichermaßen der technische Perfektionismus der 80er-Jahre spreche wie die innere Unruhe, der Drang nach vorne. Wie ein Innovationsgeist, mit einer destruktiven Ader verbunden - das habe das Schaffen von Miles Davis geprägt, und man höre in dem "im Ganzen natürlich eher sekundären Werk noch einmal das Genie und die Tragik dieses Künstlers", sagte Balzer.