Die Wehrpflicht sei nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt worden, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im DLF. Es sei notwendig, dass sich Deutschland auf mögliche Bedrohungsszenarien einstellt. Und das mache das Konzept. Das geltende sei zum letzten Mal 1995 aktualisiert worden, fügte Heveling hinzu. Die Neuauflage spiele alle Szenarien durch, von Terrorgefahren bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen.
"Wir müssen uns bewusst sein, dass eine so stark vernetzte Gesellschaft auch verwundbar ist." Die Gefahrenabwehr sei Aufgabe des Staates. Heveling räumte ein, dass das Konzept ein Verunsicherungspotenzial berge. Es sei deshalb wichtig, deutlich zu machen, dass das Konzept losgelöst von aktuellen Szenarien sei.
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Die Opposition spricht von Stimmungsmache und glaubt, das neue Konzept der Bundesregierung zum Zivilschutz jage den Bürgern unnötig Angst ein. Morgen sollen die Vorschläge im Kabinett beraten werden. Ein Zitat aus dem Konzept lautet, dass ein Angriff auf das Territorium Deutschlands, der eine konventionelle Landesverteidigung erfordert, unwahrscheinlich sei. Dennoch sei es nötig, so wörtlich, sich auf eine solche, für die Zukunft nicht grundsätzlich auszuschließende existenzbedrohende Entwicklung angemessen vorzubereiten. - Zu der Vorbereitung gehören zum Beispiel ein Lebensmittelvorrat für zehn Tage oder eine Aufstockung der Hausapotheke.
Am Telefon ist jetzt Ansgar Heveling von der CDU. Er ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Guten Morgen, Herr Heveling.
Ansgar Heveling: Einen schönen guten Morgen.
"Auf mögliche Bedrohungsszenarien einstellen"
Kaess: Die Opposition sagt, das ist Angstmache der Union im Wahlkampf. Müssen sich die Bürger zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges wieder richtig Sorgen machen?
Heveling: Nein, das sicherlich nicht. Es ist aber notwendig, dass wir auf mögliche (und das ist unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten) Bedrohungsszenarien einstellen, und das macht das Konzept. Das letzte Mal ist es 1995 aktualisiert worden und der Bundestag hatte 2012 darum gebeten, dass es jetzt neu aufgelegt wird, und dem ist das Innenministerium jetzt nachgekommen.
Kaess: Aber warum dieser Zeitpunkt jetzt? Was hat sich geändert an der Sicherheitslage?
Heveling: Das Konzept spielt alle unterschiedlichen Szenarien durch, von Terrorgefahren bis hin natürlich auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen, weil es um die verschiedenen Bedrohungsszenarien geht. Insofern ist das jetzt gar keine Frage des aktuellen Zeitpunkts, sondern die Frage, dass es jetzt einfach aktualisiert worden ist.
Kaess: Aber damit ist meine Frage noch nicht beantwortet, denn auch bisher hat ja das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auch zu Vorräten geraten. Also noch mal meine Frage: Warum jetzt dieses neue Konzept?
Heveling: Der Vorschlag gerade des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz wird ja praktisch übernommen. Insofern gibt es da keine Änderungen. Aber es haben sich seit der letzten Fortschreibung des Konzeptes ja auch Veränderungen ergeben. 1995 war das Thema SMS und Internet noch nicht so von Bedeutung und die Fragen, wie gehen Alarmierungsvorgänge jetzt vonstatten, das ist jetzt Teil dieses Konzeptes und es ist einfach neu aufgelegt worden.
"Ich kann die Vorwürfe der Opposition nicht nachvollziehen"
Kaess: Jetzt heißt es immer wieder, es hat nichts mit den Anschlägen zu tun, weil, wie Sie auch gerade schon gesagt haben, das Ganze schon 2012 in Auftrag gegeben wurde. Kann man sagen, das Konzept ist eigentlich auch schon wieder veraltet?
Heveling: Das Konzept beruht auf einer ganzen Menge von unterschiedlichen Szenarien. Dazu gehören auch Terrorangriffe, die Frage, was ist dann zu tun. Das spielt jetzt auch eine Rolle, wie mit Terrorlagen umzugehen ist. Insofern ist und bleibt es auch aktuell.
Kaess: Die Opposition übt Kritik. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch, der sagt, man kann die Menschen mit immer neuen Vorschlägen völlig verunsichern. Das Gegenteil ist die Aufgabe von Politik. Ist das ein berechtigter Vorwurf nach den ständig neuen Konzepten zur inneren Sicherheit, die wir in den letzten Wochen gehört haben?
Heveling: Wir müssen uns einfach bewusst sein, dass eine so stark vernetzte Gesellschaft wie unsere, wo vieles ganz engmaschig ineinandergreift, natürlich auch verwundbar ist, und darauf muss ein Staat Antworten geben, wie man mit Gefahren umgeht. Insofern ist das, was jetzt mit dem Konzept passiert, klassische Aufgabe der Gefahrenabwehr des Staates, und insofern kann ich die Vorwürfe der Opposition nicht nachvollziehen.
"Man muss diese Szenarien auch benennen"
Kaess: Aber dass die Bevölkerung verunsichert wird, das können Sie schon nachvollziehen?
Heveling: Dass in so einem Konzept kritische Lagen durchgespielt werden, ja, und dass das natürlich auch Verunsicherungspotenzial birgt, das kann ich verstehen. Aber noch einmal: Ein Staat muss darauf vorbereitet sein, und dann muss man diese Szenarien auch benennen.
Kaess: Was wollen Sie gegen die Verunsicherung tun, oder was schlagen Sie vor?
Heveling: Deutlich machen, dass es ein Konzept ist, wie im Falle eines Falles vorgegangen wird, und es losgelöst von aktuellen Szenarien oder aktuellen Situationen ist.
Kaess: Schauen wir noch auf ein paar Einzelheiten dieses Konzepts. Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, der sagt, die Aktualisierung dieser Notfallpläne sei zwar sinnvoll, aber die Vermischung von ziviler Vorsorge mit militärischen Szenarien und Hinweisen auf terroristische Gefahren, die ist problematisch. Hätte man da tatsächlich nicht etwas genauer trennen müssen?
Heveling: Es geht ja gerade um eine Gesamtkonzeption, bei der im Grunde alle Ministerien, alle Ressorts, alle Behörden ineinandergreifen. Das ist ja ein sehr komplexes Miteinander von Behörden, wenn es zu kritischen Situationen kommt. Insofern können aus meiner Sicht einzelne Aspekte nicht ausgeblendet werden, sondern es geht ja auch gerade um das Zusammenwirken von zivilen und militärischen Kräften im Falle einer Katastrophe oder auch eines militärischen Angriffs.
"Das Konzept kann nur auf der bestehenden Rechtslage operieren"
Kaess: Aber unterschiedliche Situationen erfordern auch unterschiedliche Maßnahmen und vielleicht ist genau das Ineinandermischen etwas, was auch zu einer gewissen, ich will nicht sagen, Panik, aber zu sehr großer Sorge jetzt im Moment führt.
Heveling: Ja, das mag sein. Aber es ist trotzdem so: Diese Szenarien müssen benannt werden, damit im Fall des Falles die Behörden auch tatsächlich miteinander gut arbeiten können. Und das ist ja auch der Schwerpunkt des Konzeptes, wie sind Meldewege, wie sind Alarmierungswege. Wir haben ganz viele unterschiedliche Behörden in Bund und Ländern, die dann zusammenarbeiten müssen, und die brauchen natürlich auch ein Planungsszenario dafür.
Kaess: Aber hier kommt noch ein anderer Punkt dazu. Ich möchte noch mal den Grünen von Notz zitieren, der gesagt hat: Wenn mit solchen Formulierungen die zivile Hilfe, die die Bundeswehr bei Katastrophen durchaus leisten müsse, militarisiert werden sollte, sei das unnötig, unverantwortlich und verfassungswidrig. Wird hier rechtlich tatsächlich noch einiges zu klären sein?
Heveling: Das Konzept kann nur auf der bestehenden Rechtslage operieren. Das ist ganz klar. Alle anderen Fragen, wie die Bundeswehr etwa im Inneren eingesetzt werden kann, über das hinaus, was jetzt rechtlich möglich ist, ist eine politische Frage. Die muss im Bundestag diskutiert werden. Aber das Konzept kann nur auf der geltenden Rechtslage operieren und das tut es.
Kaess: Und der Bundestag sollte auch stärker einbezogen werden bei der ganzen Diskussion, bei Katastrophenvorsorge?
Heveling: Wir beraten diese Fragen natürlich ohnehin immer und das Konzept ist ja ein Auftrag des Bundestages und wird von daher den Bundestag auf jeden Fall auch noch mal erreichen.
"Die Wehrpflicht ist nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt"
Kaess: Herr Heveling, haben Sie keine Sorge, dass wir auch in Bereiche reinkommen, wo wir zum Beispiel über die Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutieren? Das klang gerade vorhin in dem Bericht, den wir vor dem Interview gesendet haben, ein bisschen so an.
Heveling: Auch da geht das Konzept von Szenarien aus, die geltende Rechtslage sind. Die Wehrpflicht ist ja nicht abgeschafft, sondern ausgesetzt und spielt für den Fall des Falles auch eine Situation durch, wo sie wiederaufleben könnte. Auch das ist aber ein Szenario, kein unbedingt jetzt an der jetzigen Situation ausgerichtetes Durchspielen der Situation.
Kaess: Herr Heveling, wenn wir zurückblicken, wäre die Bundesregierung in der Flüchtlingskrise besser vorbereitet gewesen, wenn der Zivilschutz in den letzten Jahren nicht ständig abgebaut worden wäre?
Heveling: Dass man in den 90er-Jahren davon ausgegangen ist, dass Zivilschutz nicht mehr so dringend notwendig ist, war sicherlich eine Annahme, die nicht ganz korrekt ist. Man hat Anfang der 2000er-Jahre ja auch reagiert und unter anderem das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wiedereingerichtet. Ich glaube aber, im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise des vergangenen Jahres spielt diese Komponente nicht unbedingt eine Rolle.
"Unsere Gesellschaft ist verwundbar geworden"
Kaess: Aber das heißt unterm Strich, wir sprechen schon von einer Trendwende jetzt? Das ist ein Aufbauen des Zivilschutzes und das ist das Gegenteil von dem, was in den Jahren davor passiert ist?
Heveling: In den 90er-Jahren hat man in der Tat gedacht, es ist nicht mehr so wichtig. Aber mittlerweile zeigt sich, dass unsere Gesellschaft auch so eng vernetzt ist, dass sie verwundbar geworden ist aus den unterschiedlichsten Gründen. Das mögen auch Sabotage-Akte sein, die die Energieversorgung betreffen könnten, solche Dinge, und da hat man gesehen, da müssen wir etwas tun, und deswegen hat man 2002 das Bundesamt auch wiederaufgebaut, im Übrigen nach der Hochwasserkatastrophe, die wir in Deutschland hatten.
Kaess: … sagt Ansgar Heveling von der CDU. Er ist Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Danke schön für Ihre Zeit heute Morgen.
Heveling: Sehr gerne.
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