Archiv

Neues Zuhause fürs Grünzeug
Der Pflanzenretter aus Tegel

Wohin mit empfindlichen Pflanzen, wenn der Frost kommt? Wohin mit immer größer werdenden Kakteen oder Palmen in einer kleinen Wohnung? Für alle, die grausame Lösungen scheuen, hat ein Berliner Landschaftsgärtner eine Idee - eine preisgekrönte sogar. "Pflanzenrettung" heißt sein Betrieb.

    Pflanzenretter Andreas Frädrich gibt Gewächsen eine neue Heimat.
    Pflanzenretter Andreas Frädrich gibt Gewächsen eine neue Heimat. (dpa/ picture alliance / Paul Zinken)
    Andreas Frädrich steht mitten in der großen Halle seines Betriebes. Die ehemalige Reithalle ist gut 800 Quadratmeter groß. Durch die Fenster hoch über dem Boden scheint die Sonne hinein. Das Licht lässt das hölzerne Dachgebälk bizarre Schatten auf den Sandboden werfen. Über ihn traben schon lange keine Pferde mehr. Stattdessen stehen hier Yukapalmen, Kakteen, Gummibäume und andere Kübelpflanzen in allen erdenklichen Größen.Frädrich erklärt:
    "Es geht ja eigentlich darum: Man hat eine Pflanze, die in Ordnung ist, aber gerade sozusagen zur falschen Zeit am falschen Ort steht. Dann geht es darum, die für eine bestimmte Zeit aufzubewahren, fachlich, gärtnerisch korrekt – und dann auch wieder anzubieten. Entweder zum Verkauf oder zum Verleih. Im Prinzip bin ich ein Pflanzenmanager."
    Die Halle steht auf dem Gelände von Schloss Tegel – im gleichnamigen Berliner Stadtteil. Dieser Standort sei optimal für sein Projekt, erklärt Andreas Frädrich beim Rundgang durch das Außengelände – denn:
    "Alexander von Humboldt ist ja hier groß geworden. Der hat hier damals in seiner Jugend auch das Botanisieren angefangen, genau hier auf dem Gelände, wo wir jetzt gerade wandeln. Und das passt natürlich hier sehr gut, denn wir bringen dem Begründer der Pflanzengeographie quasi neue Akzente bei."
    "Eine intakte Topfpflanze werden Sie in Deutschland nicht ohne weiteres los"
    Andreas Frädrich, helle Cord-Kappe, dunkles, welliges Haar, markante Brille und Karohemd, ist eigentlich gelernter Landschaftsgärtner. Früher war der 47-Jährige im Berliner Entwicklungsministerium beschäftigt und hatte mit Abfallwirtschaft zu tun. Und dabei kam ihm die Idee, Pflanzen zu retten:
    "Alles Mögliche kann man trennen, aber eine intakte Topfpflanze werden Sie hier in Deutschland nicht so ohne weiteres los. Sie werden diese Pflanzen noch nicht einmal auf dem Recyclinghof los. Kein Sperrmüll nimmt die, kein botanischer Garten oder sonstige gärtnerische Projekte."
    Pflanzen werden heute oft schnell aufgezogen, um die halbe Welt transportiert – und landen dann bald wieder im Müll. Frädrich geht das gründlich gegen den Strich. Sein Pflanzenrettungsprojekt hat daher auch eine Botschaft:
    "Dass man einfach auch wieder mehr Wertigkeit in den Pflanzen sieht. Eine weitere Inspiration war da auch die Diskussion um die Lebensmittelverschwendung in den Supermärkten. Das ist auch ein bisschen meine Message: Hier einfach auch ein bisschen mehr Bewusstsein darüber zu schaffen, ob man wirklich jede Pflanze wegschmeißen muss oder ob man da nicht auch was anderes mit machen kann."
    Bei den Berlinern und Brandenburgern hat sich Andreas Frädrichs Abholservice für Riesenpflanzen wie etwa Kakteen oder Yukapalmen längst herumgesprochen. Mehrmals in der Stunde klingelt sein Telefon, und Frädrich und seine zwei Mitarbeiter rücken aus. Frädrich:
    "Wir haben sehr viele ältere Leute, die uns kontaktieren, also bestimmt so 70 bis 80 Prozent, die es nicht mehr schaffen, die ihren Haushalt verändern müssen und die dann sehr froh sind, dass sie wissen, wo ihre Pflanzen eigentlich hinkommen. Das ist ein ganz modernes Projekt, was Alexander von Humboldt sicher gefallen hätte."
    Überwinterungsmöglichkeiten sehr gefragt
    In den kalten Jahreszeiten sind Frädrichs Überwinterungsmöglichkeiten sehr gefragt. Neben der großen Halle, in der konstante fünf Grad Celsius herrschen, gibt es im Wirtschaftshof von Schloss Tegel noch eine stärker beheizte Orangerie für Wohnzimmerpflanzen. "Das ist dann kostenpflichtig", sagt Frädrich.
    "Das ist eine Säule, durch die sich das Projekt dann trägt."
    Weitere wichtige Säulen sind das Pflanzen-Outlet, das Frädrich und sein Team regelmäßig auf dem Gelände veranstalten. Und es gibt auch Grünes zum Verleihen. In der großen Halle stehen einige Exemplare. Frädrich beschreibt:
    "Im repräsentativen Bereich setzen wir die ein, im Messebau, für eine Beach-Bar oder für einen Club haben wir jetzt auch Nachfragen, wo es darum geht, einen Bereich dschungelartig in Szene zu setzen."
    Das Pflanzenrettungs-Projekt wirft für Andreas Frädrich bisher keine Gewinne ab. Aber der Pflanzenretter registriert, dass seine Nachfrage steigt. Immerhin hat das Geschäftsmodell schon eine Auszeichnung vom bundesweiten Verband Kommunaler Unternehmen bekommen, sagt er:
    "Als ich das Projekt gestartet habe, da war ich mir unsicher, ob das nicht bloß eine verrückte Idee ist. Und dann habe ich doch ad hoc einen Preis gewonnen als beste Aktion zur Abfallvermeidung. Und da war ich doch sehr überrascht, weil ich doch über 80 kommunale Betriebe hier sozusagen überrollt habe, die alle super innovative Ideen in der Abfallwirtschaft hatten. Und das zeigte mir, ganz so verrückt kann die Idee ja nicht sein, wenn ich da aus dem Stegreif so einen Preis gewinne."
    Leute geben ihre Pflanzen unter Tränen ab
    Viel wichtiger sind für Andreas Frädrich aber die vielen emotionalen Momente, die er bei seiner Arbeit erlebt:
    "Wenn beispielsweise unter Tränen hier angerufen wird und die Leute sagen, sie haben sich endlich entschieden und das Projekt sieht ja hier sehr vertrauensvoll aus, und sie möchten mir die Pflanze geben. Dann hat man da auch die Verpflichtung, so ein bisschen psychologisch zu wirken. Also es ist immer emotional getragen, wenn jemand so eine lang gehegte Pflanze irgendwann weggibt."
    Und wenn die in gute Hände kommt, ist das umso besser.