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Neun Jahre Staatsverträge in Hamburg
Ein Meilenstein für den Islam in Deutschland?

Im Jahr 2012 hat das Land Hamburg Staatsverträge mit den muslimischen Verbänden im Land unterzeichnet. Nun ziehen die Vertragspartner eine erste Bilanz. Ergebnis: Es bleibt kompliziert. Die Opposition fordert, die Staatsverträge zu kündigen – wegen Islamismusverdacht.

Von Axel Schröder |
Ein Imam steht auf einem kleinen verzierten Balkon und spricht zu einer Gruppe Männer. An der Wand befinden sich arabische Schriftzeichen.
Freitagsgebet in der Al-Nour Moschee in Hamburg (dpa / Christian Charisius)
Für Fatih Yildiz sind die Staatsverträge zwischen Hamburger Senat und den muslimischen Verbänden ein Meilenstein. Yildiz gehört zum Vorstand der Schura, der Hamburger Dachorganisation für drei Dutzend muslimische Gemeinden. "Das hat eine institutionelle Entwicklung der muslimischen Community angestoßen. Das heißt: Deutschland ist unsere Heimat, Hamburg ist unsere Heimatstadt. Dementsprechend gab es auch eine Entwicklung innerhalb der Community, sich hier zu verorten und sich stärker zu engagieren. Und was für mich am wichtigsten ist: dass es ein sehr gutes Fundament für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit der Politik und der Verwaltung gegeben hat", sagt Yildiz.
Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD, M) unterzeichnet am 13.11.2012 in Hamburg im Rathaus einen Vertrag mit islamischen Religionsgemeinschaften.
Olaf Scholz (SPD, Mitte) unterzeichnet im Jahr 2012 als Hamburgs Erster Bürgermeister einen Vertrag mit islamischen Religionsgemeinschaften. (picture alliance / dpa / Angelika Warmuth)

SPD-Politiker: "Der Austausch hat Vertrauen befördert"

Die Staatsverträge seien ein Symbol dafür, dass die muslimischen Gemeinden anerkannt würden, dass regelmäßige Gespräche zwischen Politik, Verwaltung und den Gemeinden etabliert worden seien. Der Austausch habe ein Vertrauen befördert, dass es so vorher nicht gab. Jan Pörksen, Staatsrat in der Hamburger Senatskanzlei, sieht es ähnlich. Als 2015 viele Flüchtlinge auch aus muslimischen Länder in Deutschland ankamen, hätten die muslimischen Gemeinden mit ihren ehrenamtlichen Helfern viel geleistet.
"Und wir haben gerade in den vergangenen Wochen und Monaten, zuletzt letzte Woche, miteinander telefoniert. Mit der katholischen Kirche, mit der evangelischen Kirche, mit der jüdischen Gemeinde und eben auch mit den muslimischen Verbänden zum Thema: Wie gehen wir in der Corona-Zeit mit Gottesdiensten und Freitagsgebeten und dergleichen um? Das ist für uns eine total wichtige Grundlage. Und wir führen sowohl regelmäßige Gespräche als auch eben ad hoc zu bestimmten Themen", sagt Pörksen.

Religionsunterricht für alle

Eine Folge der engen Zusammenarbeit – aus Sicht des SPD-Politikers ein Erfolg - sei der so genannte "Religionsunterricht für alle". Dabei werden Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Konfessionen von Lehrpersonal mit unterschiedlichen Konfessionen unterrichtet. Die Bischöfin der evangelischen Nordkirche Kirsten Fehrs unterstützt diesen multireligiösen Unterricht und fordert, nun auch an der Uni Hamburg das entsprechende Personal auszubilden. "Dass an der Universität die wissenschaftlichen Theologien islamischer, alevitischer und jüdischer Art auch mit Professuren hinterlegt stattfinden."
Religionsunterricht für alle: Ein Modell für Hamburg
Hamburg geht einen Sonderweg. Dort gibt es einen gemeinsamen Religionsunterricht für alle, bisher erteilt von einer evangelischen Lehrkraft. Seit dem Herbst geht Hamburg noch weiter: Auch Muslime, Juden und Aleviten geben den "Religionsunterricht für alle". Noch ist aber vieles offen.
Das gleiche gelte für die Ausbildung von Imamen in Deutschland, so die Bischöfin. Auf kirchlicher, muslimischer und regierungspolitischer Seite gibt es also viel Lob für die Staatsverträge zwischen Senat und muslimischen Verbänden.

Mit dem Bus zur antisemitischen Demonstration?

Es gibt es aber auch Themen, die zwischen der Stadt und der Schura umstritten sind. Zum Beispiel der Einfluss der türkischen Religionsbehörde auf die Besetzung von Ämtern der Ditib in Deutschland. Oder die Ausrichtung der schiitischen Gemeinde des Islamischen Zentrums Hamburg, kurz IZH. Das IZH taucht schon seit Jahren in den Hamburger Verfassungsschutzberichten auf. Unter anderem, weil das IZH bis 2018 zu den jährlichen, teils antisemitischen Al-Quds-Demonstration in Berlin aufgerufen hatte. Dass diese Aufrufe nun unterbleiben, ist für den Hamburger Verfassungsschutz-Präsidenten Torsten Voß kein Grund, die Beobachtung einzustellen.
Das Islamische Zentrum Hamburg an der Hamburger Außenalster.
Das Islamische Zentrum Hamburg an der Hamburger Außenalster. (imago)
"In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass nicht nur Anhänger, sondern auch Funktionäre dorthin gefahren sind. Teilweise das Ganze mit organisiert haben. Teilweise die Busse direkt über das IZH angemeldet worden sind."

CDU-Vertreter fordert: "Zusammenarbeit sofort einstellen"

Die Hamburger AfD fordert deshalb, die Staatsverträge aufzukündigen. Die CDU in der Bürgerschaft will sie zumindest dahingehend prüfen, ob nicht einzelne Verbände oder Gemeinden, namentlich das IZH, von den Staatsverträgen ausgenommen werden können, so Dennis Gladiator von der Hamburger CDU: "Der Senat muss die Zusammenarbeit mit dem IZH sofort einstellen. Wir müssen ein Vereinsverbot prüfen. Und klar ist auch: der Staatsvertrag mit der Schura muss ausgesetzt werden, solange das IZH Teil der Schura ist."
Hamburg und seine Islamisten-Szene: Überwachen und überzeugen gegen die Radikalisierung
Seit Jahren wächst die islamistische Szene in Hamburg. Die Zahlen von Salafisten und Jihadisten steigen. Sie treffen sich in Cafés und Restaurants, sammeln Spenden für ihre Sache, veranstalten Demonstrationen. Der Verfassungsschutz versucht, die Szene im Blick zu behalten.
Dass sich der Schura-Dachverband bislang nicht gegen das IZH stellt, hat unterschiedliche Gründe, erklärt dessen Vorstandsmitglied Fatih Yildiz. "Das IZH ist Gründungsmitglied der Schura und seit 20 Jahren in der Schura. Natürlich gibt es Fragen, die geklärt werden müssen. Aber wir sagen: Das ist ein Prozess, den wir gerne begleiten wollen im Dialog, in Gesprächen. Und wir sehen da eine gute Entwicklung, die wir auch weiterführen möchten."

"Wertvolle Grundlage für ungelöste Streitfragen"

Jan Pörksen, Staatsrat in der Hamburger Senatskanzlei, sieht in den Staatsverträgen gerade wegen der noch ungelösten Streitfragen eine wertvolle Grundlage, um weiter zusammen Antworten auf diese Fragen finden zu können. "Wir haben es geschafft, ins Rathaus einladen zu können und darüber zu sprechen. Und wir haben sehr deutlich gemacht – nicht nur wir, sondern auch Herr Yildiz und die Schura –, dass wir zum Beispiel es nicht akzeptieren, wenn zum Al-Quds-Tag offiziell aufgerufen wird und dergleichen mehr."
Ausbildungsbeginn am Islam-Kolleg: Der Imam gehört zu Deutschland
Es ist nicht nur ein religiöses, sondern auch ein politisches Pilotprojekt: Bald beginnt am Islam-Kolleg Deutschland die Ausbildung von Imaminnen und Imamen – gefördert vom Bundesinnenministerium. Ein Ziel: weniger Radikalisierung. Aber: Mischt sich der Staat damit zu sehr ein?
Im nächsten Jahr sollen die Staatsverträge evaluiert werden. Die Frage nach dem Umgang mit dem vom Verfassungsschutz beobachteten IZH wird dann sicher eine zentrale Rolle spielen. Am Ende entscheidet die Hamburgische Bürgerschaft darüber, wie die Verträge weiterentwickelt werden können oder ob sie so bestehen bleiben wie heute.