Für Fatih Yildiz sind die Staatsverträge zwischen Hamburger Senat und den muslimischen Verbänden ein Meilenstein. Yildiz gehört zum Vorstand der Schura, der Hamburger Dachorganisation für drei Dutzend muslimische Gemeinden. "Das hat eine institutionelle Entwicklung der muslimischen Community angestoßen. Das heißt: Deutschland ist unsere Heimat, Hamburg ist unsere Heimatstadt. Dementsprechend gab es auch eine Entwicklung innerhalb der Community, sich hier zu verorten und sich stärker zu engagieren. Und was für mich am wichtigsten ist: dass es ein sehr gutes Fundament für die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, mit der Politik und der Verwaltung gegeben hat", sagt Yildiz.
SPD-Politiker: "Der Austausch hat Vertrauen befördert"
Die Staatsverträge seien ein Symbol dafür, dass die muslimischen Gemeinden anerkannt würden, dass regelmäßige Gespräche zwischen Politik, Verwaltung und den Gemeinden etabliert worden seien. Der Austausch habe ein Vertrauen befördert, dass es so vorher nicht gab. Jan Pörksen, Staatsrat in der Hamburger Senatskanzlei, sieht es ähnlich. Als 2015 viele Flüchtlinge auch aus muslimischen Länder in Deutschland ankamen, hätten die muslimischen Gemeinden mit ihren ehrenamtlichen Helfern viel geleistet.
"Und wir haben gerade in den vergangenen Wochen und Monaten, zuletzt letzte Woche, miteinander telefoniert. Mit der katholischen Kirche, mit der evangelischen Kirche, mit der jüdischen Gemeinde und eben auch mit den muslimischen Verbänden zum Thema: Wie gehen wir in der Corona-Zeit mit Gottesdiensten und Freitagsgebeten und dergleichen um? Das ist für uns eine total wichtige Grundlage. Und wir führen sowohl regelmäßige Gespräche als auch eben ad hoc zu bestimmten Themen", sagt Pörksen.
Religionsunterricht für alle
Eine Folge der engen Zusammenarbeit – aus Sicht des SPD-Politikers ein Erfolg - sei der so genannte "Religionsunterricht für alle". Dabei werden Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Konfessionen von Lehrpersonal mit unterschiedlichen Konfessionen unterrichtet. Die Bischöfin der evangelischen Nordkirche Kirsten Fehrs unterstützt diesen multireligiösen Unterricht und fordert, nun auch an der Uni Hamburg das entsprechende Personal auszubilden. "Dass an der Universität die wissenschaftlichen Theologien islamischer, alevitischer und jüdischer Art auch mit Professuren hinterlegt stattfinden."
Das gleiche gelte für die Ausbildung von Imamen in Deutschland, so die Bischöfin. Auf kirchlicher, muslimischer und regierungspolitischer Seite gibt es also viel Lob für die Staatsverträge zwischen Senat und muslimischen Verbänden.
Mit dem Bus zur antisemitischen Demonstration?
Es gibt es aber auch Themen, die zwischen der Stadt und der Schura umstritten sind. Zum Beispiel der Einfluss der türkischen Religionsbehörde auf die Besetzung von Ämtern der Ditib in Deutschland. Oder die Ausrichtung der schiitischen Gemeinde des Islamischen Zentrums Hamburg, kurz IZH. Das IZH taucht schon seit Jahren in den Hamburger Verfassungsschutzberichten auf. Unter anderem, weil das IZH bis 2018 zu den jährlichen, teils antisemitischen Al-Quds-Demonstration in Berlin aufgerufen hatte. Dass diese Aufrufe nun unterbleiben, ist für den Hamburger Verfassungsschutz-Präsidenten Torsten Voß kein Grund, die Beobachtung einzustellen.
"In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass nicht nur Anhänger, sondern auch Funktionäre dorthin gefahren sind. Teilweise das Ganze mit organisiert haben. Teilweise die Busse direkt über das IZH angemeldet worden sind."
CDU-Vertreter fordert: "Zusammenarbeit sofort einstellen"
Die Hamburger AfD fordert deshalb, die Staatsverträge aufzukündigen. Die CDU in der Bürgerschaft will sie zumindest dahingehend prüfen, ob nicht einzelne Verbände oder Gemeinden, namentlich das IZH, von den Staatsverträgen ausgenommen werden können, so Dennis Gladiator von der Hamburger CDU: "Der Senat muss die Zusammenarbeit mit dem IZH sofort einstellen. Wir müssen ein Vereinsverbot prüfen. Und klar ist auch: der Staatsvertrag mit der Schura muss ausgesetzt werden, solange das IZH Teil der Schura ist."
Dass sich der Schura-Dachverband bislang nicht gegen das IZH stellt, hat unterschiedliche Gründe, erklärt dessen Vorstandsmitglied Fatih Yildiz. "Das IZH ist Gründungsmitglied der Schura und seit 20 Jahren in der Schura. Natürlich gibt es Fragen, die geklärt werden müssen. Aber wir sagen: Das ist ein Prozess, den wir gerne begleiten wollen im Dialog, in Gesprächen. Und wir sehen da eine gute Entwicklung, die wir auch weiterführen möchten."
"Wertvolle Grundlage für ungelöste Streitfragen"
Jan Pörksen, Staatsrat in der Hamburger Senatskanzlei, sieht in den Staatsverträgen gerade wegen der noch ungelösten Streitfragen eine wertvolle Grundlage, um weiter zusammen Antworten auf diese Fragen finden zu können. "Wir haben es geschafft, ins Rathaus einladen zu können und darüber zu sprechen. Und wir haben sehr deutlich gemacht – nicht nur wir, sondern auch Herr Yildiz und die Schura –, dass wir zum Beispiel es nicht akzeptieren, wenn zum Al-Quds-Tag offiziell aufgerufen wird und dergleichen mehr."
Im nächsten Jahr sollen die Staatsverträge evaluiert werden. Die Frage nach dem Umgang mit dem vom Verfassungsschutz beobachteten IZH wird dann sicher eine zentrale Rolle spielen. Am Ende entscheidet die Hamburgische Bürgerschaft darüber, wie die Verträge weiterentwickelt werden können oder ob sie so bestehen bleiben wie heute.