Die Augen sind unser Tor zur Welt. Mit ihnen nehmen wir unsere Umgebung wahr und sie lassen uns auf Einflüsse reagieren. Im Alltag geschehen die Dinge meist in einem angenehmen Tempo. Anders auf dem Spielfeld, der Schanze oder der Rennbahn. Die Augen von Spitzenathleten müssen Höchstleistungen vollbringen.
"Wenn ich schnell wahrnehmen kann, wie bei einem Spitzenfußballer, der die Bilder, die von außen in sein Gehirn kommen, schnell wahrnimmt, dann weiß er, was da gerade passiert. Das nennt sich optischer Flow. Es ist alles im Fluss und zwar die ganze Zeit. Und dann müssen meine Augen in der Lage sein, alle Punkte auf dem Feld, die sich bewegen, superschnell wahrzunehmen und gleichzeitig einen Plan daraus zu machen", das sagt Steffen Tepel.
Verknüpfung für die Muskulatur
Der 35-Jährige war einst Nordischer Kombinierer im Weltcup. Heute arbeitet er mit Sportlerinnen und Sportlern unter anderem an deren Augen. Doch dabei geht es nicht nur um die herkömmliche Sehfähigkeit.
"Darüber hinaus ist das Interessante bei den Augen aufgrund der neurologischen Verschaltung, dass es sehr stark mit der Rumpfmuskulatur und der Wirbelsäulenmotorik verknüpft ist. Das heißt, wenn ich meine Augen in der einen oder anderen Form nutze durch Bewegungen wie Verfolgungsbewegung oder beim schnellen Hin- und Herspringen, dann habe ich immer eine Gehirnaktivierung mit dabei. Und diese Gehirnaktivierung geht nach unten und schlägt sich nieder in der Stabilität der Muskulatur."
Neuroathletikcoachs gehören heute dazu
Die Rumpfmuskulatur sei dann das ausführende Organ der bewegungssteuernden Sensoren, also der Augen. Als sogenannter Neuroathletikcoach gehört Tepel einer neuen Generation von Trainern an. Beim Gespräch mit dem Deutschlandfunk standen neben Tepel auch Gerrit Keferstein und Gregor Comploi Rede und Antwort.
Sie versuchen Dogmen im Leistungssport aufzubrechen und das Training stärker mit der Arbeit am neurologischen System zu verknüpfen. Keferstein hat in der Vergangenheit schon die Eishockeyspieler der Kölner Haie und Basketballer der Telekom Baskets Bonn betreut. Er sagt:
"In Sportarten gibt es immer den Aspekt der Tradition der Sportart. Also was sind die Anforderungen traditionell an diese Sportart? Wo es erst einmal darum geht, das zu meistern. Ab irgendeinem Punkt geht es auch viel um Innovation. So wie Dick Fosbury damals gedacht hat, wir können doch auch einfach rückwärts über diese Stange springen, und damit den Hochsprung revolutioniert hat, kann jeder Sportler für sich seine eigene Art und Weise, das Spiel zu spielen, revolutionieren."
Die letzen Prozente herauskitzeln
Die Neuroathletik konzentriert sich dann darauf, neurologische Blockaden zu finden, die die Leistung der Sportler behindern. Tepel arbeitet unter anderem mit dem FC-Bayern-Star Jamal Musiala zusammen und hat in der Vergangenheit auch der Olympiasiegerin Viktoria Rebensburg geholfen. Er versucht, seine Arbeit an einem Beispiel zu erklären:
"Wenn ich eine alpine Skirennfahrerin habe, dann weiß ich, dass die in Kurven den Berg runterfährt und das mit relativ hoher Geschwindigkeit. Das heißt, sie braucht sehr gute bewegungsdetektierende Systeme, Augen und Gleichgewichtsorgan. Und dann schaue ich mir an: Ist zum Beispiel der Rechtsslalom-Schwung genauso gut wie der Linksslalom-Schwung? Und dann kann ich genauer fragen: Wie sicher fühlst du dich da? Siehst du da gut? Und dann kommen Probleme raus: 'Ja, jedes Mal, wenn ich den Schwung gemacht habe, muss ich erst ein paarmal blinzeln, damit ich klar sehe.'"
Dort würde Tepel mit seinen Trainingsmethoden ansetzen, um Blockaden zu lösen und bei seinen AthletInnen die letzten Prozente herauszukitzeln. Die große Herausforderung für ihn und seine Kollegen besteht vor allem in der Komplexität der einzelnen Sportarten, aber auch jedes einzelnen Athleten. Der Südtiroler Gregor Comploi fasst es so zusammen:
"Ich habe mit sehr vielen Spitzensportlern in sehr vielen Sportarten gearbeitet. Zum Beispiel im Tennis mit Novak Đoković oder Alexander Zverev. Man muss die Sportarten extrem gut verstehen. Und eben dann auch individuell den einzelnen Athleten analysieren. Denn ich kann mehrere Sportler haben, die genau die gleiche Sportart betreiben, aber jeder hat eine andere Technik, eine andere Voraussetzung. Das alles hat auch einen Einfluss auf das Nervensystem."
Traditionelles Trainings erweitern
Für Đoković und Co. geht es darum, den eigenen Körper zu optimieren und gegebenenfalls auch zu rehabilitieren. Auf der Suche nach Spitzenleistungen genügen traditionelle Trainings- und Analysemethoden anscheinend nicht mehr. Aber auch unsereins kann aus der Forschung lernen. Keferstein nennt ein Beispiel:
"Die lateralen Augenbewegungen, das heißt, die Augenbewegungen von links nach rechts, die sind für den Menschen evolutionär sehr wichtig. Die sind nämlich ein Signal an unser Gehirn, dass wir uns bewegen. Und durch diese Bewegung wird unserem Gehirn gesagt, dass wir etwas tun, um unsere innere Situation zu verbessern. Ganz konkretes Bespiel: Angst. In dem Moment, wo sich Angst in uns breitmacht, einfach die Augen nach links und rechts bewegen. Das passiert für den Sportler ganz automatisch, wenn der ins Warmup geht. Dadurch wird nämlich das Angstzentrum im Gehirn heruntergefahren."
Das eine oder andere haben also Normalmenschen doch mit Weltklasse-AthletInnen gemeinsam. Die Trainer konzentrieren sich in ihrer täglichen Arbeit deshalb auch nicht nur auf die Stars, die um Medaillen und Siege kämpfen, sondern helfen bei Bedarf auch anderen dabei, im wahrsten Sinne des Wortes den Durchblick zu behalten.