Über den Umgang mit Schulen und Kitas in der Corona-Pandemie gibt es immer wieder Streit bei den Beratungen zwischen Bund und Ländern. Die Abwägung zwischen dem akuten Schutz vor dem Coronavirus und der langfristigen Beeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen durch Schul- und Kitaschließungen führt in der Politik zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf Bedürfnisse der Kinder
Der Neurobiologe Gerald Hüther erklärte im Deutschlandfunk, Kinder lernten in der Schule nicht nur, sondern sie lebten dort auch ihre Bedürfnisse nach Freundschaft und gemeinsamem Spielen aus. Erwachsene hätten oft zu wenig Verständnis dafür, was das Unterdrücken dieser Bedürfnisse auslöse. Um mit den andauernden sozialen Beschränkungen umgehen zu können, würden Bedürfnisse im Gehirn "mit hemmenden Verschaltungen überbaut". Dadurch könne das Kind zwar mit der Beschränkung besser umgehen, es könne aber eben auch das Bedürfnis nicht mehr spüren.
Dass Kinder Einschränkungen einhalten, sei daher nicht als positiver Umgang damit zu interpretieren. "Die Kinder versuchen, uns Erwachsenen alles recht zu machen. Wenn man denen sagt, Du musst die Maske aufsetzen, Du musst Abstand halten, Du darfst die Oma nicht mehr in den Arm nehmen, dann nimmt das die Oma nicht mehr in den Arm. Und wenn das ein halbes Jahr so ist, dann will es die Oma auch nicht mehr in den Arm nehmen." Diese Entwicklung sei nicht ohne weiteres reparabel und betreffe nicht nur Bedürfnisse nach Kontakt, sondern auch die eigene Freude am Zusammensein mit anderen.
"Schulen schon viel zu lange geschlossen"
"Kinder entwickeln ihre ganzen Fähigkeiten im Grunde genommen doch nicht dadurch, dass man sie unterrichtet, sondern indem sie spielerisch ausprobieren, gemeinsam mit anderen", sagte Hüther. Dieses wichtigste Lernfeld sei schon "seit viel zu langer Zeit" geschlossen, kritisierte Hüther. Ein Jahr sei für ein siebenjähriges Kind so bedeutsam wie zehn Jahre für einen 70-Jährigen.
Die Debatte um Schulschließungen drehe sich zu sehr um die Bedürfnisse der arbeitenden Eltern und um Kompetenzen für die spätere Berufsausübung. Die Interessen der Kinder würden kaum berücksichtigt. "Ich habe große Befürchtungen, dass hier eine Generation von jungen Leuten groß wird, die sich gar nicht mehr daran errinnern können - weil sie es gar nicht erlebt haben – wie schön das war –, als Kind lebendig zu sein."
Aufgrund fehlender Ausstattung seien 15 Prozent der Schüler in Thüringen vom digitalen Lernen ausgeschlossen, sagte Landesbildungsminister Helmut Holter (Linke) im Dlf.
Lernen sei im Homeschooling nur eingeschränkt und je nach Kind höchst unterschiedlich möglich, so Hüther: Kinder, die Interesse daran hätten, sich Wissen anzueignen, würden auch im Homeschooling gut lernen. Digitale Methoden seien teilweise sogar besser, um Wissen zu vermitteln. Aber es gebe auch viele Kinder, die kein Interesse hätten, und die bräuchten den Kontakt zu einer Bezugsperson, zu einem engagierten Lehrer, der Interesse wecken könne. "Wenn dieses Interesse nicht da ist, nützt der ganze Homeschooling-Einfluss nichts", betonte der Hirnforscher.