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Neurobiologie
Wissenschaftler manipulieren Langzeitgedächtnis

Neurobiologen der TU Kaiserslautern ist es gelungen, mittels eines neu entwickelten Werkzeugs, das Gedächtnis von Fruchtfliegen zu beeinflussen. Unter anderem konnten zeitweise negative Erinnerungen geblockt werden, sagte Jan Pielage im Dlf. Möglich mache das eine bestimmte DNA-Sequenz.

Jan Pielage im Gespräch mit Uli Blumenthal |
Zwei Fruchtfliegen saugen an einer vergorenen Frucht.
Mit Pawlowscher Konditionierung haben Wissenschaftler Fruchtfliegen ein Gedächtnis antrainiert (imago stock&people / blickwinkel)
Uli Blumenthal: Wie werden Erinnerungen in unserem Gedächtnis gespeichert, und was passiert dabei auf molekularer Ebene? Diesen Fragen gehen Forscher der Technischen Universität Kaiserslautern nach, und dazu haben sie ein Werkzeug entwickelt, mit dem sie Langzeiterinnerungen im Gehirn von Fruchtfliegen einerseits beobachten und andererseits auch verändern können. Die Ergebnisse haben die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift "PLOS Biology" veröffentlicht.
Ich habe vor der Sendung mit Professor Dr. Jan Pielage telefoniert von der Abteilung Zoologie-Neurobiologie der TU Kaiserslautern, und ich habe ihn zunächst gefragt, wie dieses Verfahren funktioniert, mit dem man das Anlegen von Langzeiterinnerungen beobachten kann.
Jan Pielage: Das Verfahren sieht so aus, dass wir in die Fruchtfliege ein genetisches Element hereingebracht haben, das uns erlaubt, die Aktivität von Gedächtnisleistungen widerzuspiegeln. Das heißt, dieses Werkzeug wird angeschaltet, wenn eine Langzeiterinnerung gebildet wird, und zwar ausschließlich in den Neuronen, in denen diese Erinnerung dann gespeichert werden soll.
Wir können dann im Anschluss dieses Werkzeug benutzen, um Reporter anzuschalten – entweder, um diese Neurone sichtbar zu machen, sie leuchten dann grün auf, oder um ihre Aktivität zu manipulieren.
Blumenthal: Sie sprechen die ganze Zeit von einem Werkzeug. Wie muss man sich ein solches Werkzeug vorstellen, mit dem man die Aktivität von Neuronen sichtbar machen kann?
Pielage: Es geht um eine DNA-Sequenz, die wir in das Fliegengenom einbringen, und diese DNA-Sequenz besteht aus der Bindungsstelle für ein Protein, das entscheidend für die Gedächtnisbildung sowohl bei der Fliege als auch bei dem Menschen ist. Dieses sogenannte CREB-Binding-Protein bindet dann an dieses DNA-Element und aktiviert ein weiteres Protein, dessen Aktivität wir dann nützen können, um diese Neurone entweder sichtbar zu machen oder zu manipulieren.
Blumenthal: Und mit dieser DNA-Sequenz, die Sie entwickelt haben, namens Camel, kann man mit der die Neurone identifizieren, die für das Langzeitgedächtnis relevant sind?
Pielage: Genau, so ist es. Wir können hiermit dann ablesen, welche Neurone in der Zeit eine Langzeiterinnerung speichern. Das Ganze sieht so aus, dass Langzeiterinnerungen Proteinsynthese benötigen, das heißt, wir markieren nur solche Neurone, die wirklich zelluläre Veränderungen machen und in denen dann das Gedächtnis gespeichert wird.
In weiterem Schritt können wir dann eben hintergeschaltet diese Zellen sichtbar machen oder ihre Aktivität manipulieren, um wirklich nachzuweisen, dass wir das Gedächtnis beeinflussen können.
Mit Pawlowscher Konditionierung zum Fliegen-Gedächtnis
Blumenthal: Und wie können Sie das nachweisen, dass Sie das Gedächtnis beeinflusst haben, wie ist der Versuchsaufbau im Gehirn der Fliege, wenn man das so formulieren kann.
Pielage: Zunächst müssen wir ja ein Gedächtnis bilden innerhalb des Fruchtfliegengehirns, und dafür verwenden wir einen Ansatz ähnlich der Pawlowschen Konditionierung bei seinem Hund. Das heißt, wir paaren einen Duftstoff mit einem negativen Erlebnis in der Fliege – in diesem Fall geben wir einen kleinen Elektroschock –, und die Fliege wird sich dann an diesen Duft erinnern und ihn als negatives Erlebnis abspeichern. Dieses negative Erlebnis wird dann zu einer Bildung einer Langzeiterinnerung, der Aktivierung unseres Camel-Reporters, und dann können wir zum Beispiel die Aktivität dieser Neurone ausschalten, dadurch, dass wir selektiv ein Toxin in diesen Neuronen exprimieren.
Umgekehrt können wir prinzipiell auch diese Neurone artifiziell anschalten, um zu schauen, ob wir selektiv das Gedächtnis wieder abrufen können.
"Wir manipulieren nicht die Bildung von Gedächtnis selber"
Blumenthal: Und Sie können quasi damit dieses negative Erlebnis für die Fliege für einen bestimmten Zeitraum ausblenden, sodass sich das Tier daran nicht mehr erinnert.
Pielage: Genau. Wir manipulieren nicht die Bildung von Gedächtnis selber, sondern dadurch, dass wir die Gedächtnisneurone selektiv ausschalten können, die Aktivität hemmen können, dieser Neurone, ist die Fliege nicht mehr in der Lage, das Gedächtnis abzurufen. Das heißt, das Gedächtnis wird immer noch gespeichert in diesen Neuronen, dadurch, dass diese Neurone aber nicht mehr aktiviert werden können, sind sie nicht in der Lage, die negative Erinnerung abzurufen – ein Prozess, der am Ende möglicherweise auch relevant ist für unser Verständnis in Menschen, um negative Erinnerungen zu blocken.
"Nur während dieses Zeitpunkts blocken wir die Aktivität in den Neuronen"
Blumenthal: Aber es gibt diese negative Erinnerung noch, sie ist nur für einen ganz bestimmten Zeitraum quasi ausgeblendet, weil Sie diesen Schalter namens Camel dann betätigt haben.
Pielage: Genau. Das liegt daran, dass das Protein, das wir benutzen, eben das endogene Protein ist, das auch normalerweise die Gedächtnisbildung kontrolliert. Und dieses Protein, CREB, ist für eine Dauer von sieben Tagen dafür verantwortlich, dass eine Langzeiterinnerung gebildet und aufrechterhalten wird, und nur während dieses Zeitpunkts blocken wir die Aktivität in den Neuronen.
Nach diesem Zeitpunkt können die Neurone wieder aktiv werden, und somit kann auch das Gedächtnis wieder abgerufen. Das dient uns als Beweis, dass in der Tat unsere Manipulation selektiv nur über einen temporären Zeitraum die Erinnerung blockieren kann, aber nicht die Formierung oder Bildung des Langzeitgedächtnisses selbst schädigt.
Blumenthal: Sie können jetzt eigentlich die Neuronen damit identifizieren, die für das Langzeitgedächtnis im Gehirn der Fliege relevant sind.
Pielage: Genau. Dieses Tool markiert selektiv Langzeitneurone, und nur diese Neurone können wir dann auch manipulieren und feststellen, wie denn auf zellulärer Ebene im nächsten Schritt Langzeiterinnerungen in diesen Neuronen gespeichert werden – ein Prozess, der bisher nicht bekannt ist.
"Das nächste spannende Experiment ist zu versuchen, ein artifizielles Gedächtnis herzustellen"
Blumenthal: Und worin besteht die nächste Stufe Ihrer Forschung?
Pielage: Das nächste spannende Experiment ist wirklich zu versuchen, ein artifizielles Gedächtnis herzustellen. Wenn wir in der Lage sind, komplett neutrale Stimuli so miteinander zu verbinden, dass die Fliege sich über Tage daran erinnert, ermöglicht es uns dann, die Neurone und die zellulären Veränderungen in diesen Neuronen detailliert zu charakterisieren und wirklich zu verstehen, wie denn ein Gedächtnis innerhalb eines einzelnen Neurons abgelegt wird – ein Prozess, der bisher unbekannt ist in allen Spezies, die momentan untersucht werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.