"Was am belastendsten ist für den Betroffenen und ich denke auch für das Umfeld ist tatsächlich der Juckreiz."
Bei Sabine Schmidt begann die Neurodermitis schon im Alter von zwei Jahren.
"Am ganzen Körper teilweise, teilweise an bestimmten Körperstellen, und dann natürlich weiß man, wenn man kratzt, wird es schlimmer, andererseits: nicht zu kratzen, ist manchmal fast unmöglich. So dass man also die halbe Nacht kratzt, dadurch weniger schläft, sich dann eincremt, aufwacht mehrfach, wieder eincremt, und das ist dann so ein Kreislauf, würde ich sagen."
Haut von innen und außen angegriffen
Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an dem "atopischen Ekzem", wie Mediziner die Neurodermitis auch nennen. Es ist eine chronisch-entzündliche Barrierestörung, bei der die Haut von außen und von innen angegriffen wird, erklärt Professor Torsten Zuberbier, Leiter des Allergiezentrums der Charité.
"Es ist eine genetisch bedingte Erkrankung, wo einerseits Veränderungen in den oberen Hautschichten stattfinden, dadurch können Allergene oder auch Bakterien leichter durch die Haut durchgehen, und insgesamt durch das Trockenwerden der Haut kommt es auch dazu, dass die Haut schlichtweg juckt. Der zweite Aspekt aber bei der Neurodermitis ist, dass bei 80 Prozent der Patienten, auch genetisch bedingt, eine Neigung zu Allergien besteht und ganz verstärkt Abwehrzellen aus dem Blut in die Haut einwandern, die machen dann auch noch mal Juckreiz."
Neurodermitis ist keine Allergie im eigentlichen Sinne, dennoch kümmern sich Allergologen darum:
"Es gibt eine Bezeichnung, die nennt sich allergischer Marsch. Und zwar beginnt es oft im Kindesalter, mit Neurodermitis als erstes, schon im frühen Säuglingsalter, und dann kommen in Folge die Atemwegsallergien, erst der allergische Schnupfen, dann das allergische Asthma hinzu, und die Haut geht etwas zurück, dann im Erwachsenenalter kommen die Hautbeschwerden wieder in den Vordergrund, also insgesamt kann man sagen, die Neurodermitis ist eine Erkrankung, wo häufig, sehr häufig auch Soforttyp-Allergien eine Rolle spielen, sowohl über die Luft kommende Allergene wie Pollen, Hausstaub, als auch über Nahrungsmittel."
Keine psychischen Ursachen
Bei Babys erkennt man eine Neurodermitis am ehesten an der gelblichen oder braunen Kruste, dem "Milchschorf". Aber auch sonst ist die Diagnostik nicht so schwierig, trotz einiger ähnlich aussehender Ekzeme, sagt Professor Susanne Lau, die leitende Allergologin in der Kinderklinik der Charité:
"Es gibt die typische Verteilung beim atopischen Ekzem: Bei den kleinen Säuglingen finden wir es vor allen Dingen auch im Gesicht und eher auch an dem Körperstamm. Je älter die Kinder werden und auch bei den Erwachsenen finden wir eine typische Lokalisation an den Beugen, wir finden eben Rötung, kleine Erhabenheiten, Schuppung, Trockenheit der Haut, und der Juckreiz ist natürlich auch führend."
Die Ursachen sind noch nicht ganz genau erforscht, aber mit einem weit verbreiteten Irrtum möchte Susanne Lau gleich mal aufräumen:
"Schon die Tatsache, dass die Neurodermitis so früh im Leben, also oft schon nach der achten Lebenswoche auftritt, ist eigentlich ein Indikator, dass es sicherlich keine primären psychischen Ursachen gibt."
Es gibt, wie schon gesagt, eine erbliche Veranlagung, und dann können viele äußere Faktoren Auslöser einer Neurodermitis sein: Umweltgifte, starke Klimareize, bestimmte Textilien, falsche Hautreinigung, hormonelle Veränderungen.
... "Und wir wissen auch, dass zum Beispiel Schulstress oder Prüfungsstress diese Entzündungsreaktionen auch verstärken kann."
"Krankheit dominiert mein Leben"
Außerdem ist es psychisch sehr belastend, mit so einer nicht ansteckenden, aber sichtbaren Hautkrankheit durchs Leben zu gehen, erzählt Sabine Schmidt, die über ihre Erfahrungen ein Buch geschrieben hat, "Nicht kratzen, waschen":
"Ich hatte halt immer ein knallrotes Gesicht, und da kann man wirklich kaum was ausrichten. Also man kann da nicht Make-up oder so was draufschmieren, da wird's noch schlimmer. Und natürlich gerade im Gesicht und an den Händen ist es ganz schwer zu verstecken, den Rest des Körpers hab ich, so weit es ging, immer unter Kleidung versteckt, auch im Sommer, mit Halstüchern und langen Ärmeln. Aber natürlich wird man öfter darauf angesprochen, und so meine Erfahrung ist eben in der schlimmen Zeit, dass die Krankheit mein Leben dominiert hat. Also gehe ich abends noch auf ne Party, dann schlaf ich zu wenig, dann trink ich vielleicht noch Alkohol, und was ich tue, hat immer eine Auswirkung auf meine Haut."
Die Neurodermitis tritt schubweise auf: Sie kann ganz verschwinden, aber auch wieder kommen, endgültig heilbar ist sie nicht. Doch man kann einiges tun: Gegen den quälenden Juckreiz, aber auch zur Stressreduzierung insgesamt werden Entspannungstechniken empfohlen. Für Kinder gibt es spezielle Trainingsprogramme, bei denen sie lernen sollen, das Kratzen nach und nach durch Fäuste ballen, leichtes Kneifen und Klopfen zu ersetzen. Akut helfen auch Antihistamin-Tabletten und kortisonhaltige Salben:
"Es gibt auch die Möglichkeit, das, wenn es sehr schlimm ist, als Tabletten zu nehmen. Und das ist halt auch gerade nachts schon eine große Hilfe, weil man einfach mal nicht kratzt und man mal eine Nacht durchschlafen kann. Und das andere ist so was wir Zinksalbe. Das ist ein natürliches Mittel, was die Wunden ganz gut verschließt und da auch den Heilungsprozess fördert; dann gibt’s Urea, d.h. Harnstoffsalben, die mir persönlich nicht gefallen, aber anderen Leuten sehr Gutes tun, weil die den Flüssigkeitsverlust aufhalten, und das andere, was ich immer noch empfehle, sind Schwarztee-Umschläge. Das ist einfach Schwarztee, der lange aufgegossen wird, dass die Gerbstoffe rauskommen, und der nimmt auch den Juckreiz und auch die Schwellung, das Rote im Gesicht zum Beispiel, und danach muss man sich natürlich dann eincremen."
Kein Allheilmittel gegen Neurodermitis
Erste Studien haben außerdem gezeigt, dass Akupunktur bei Neurodermitis hilfreich sein kann - bei einigen Patienten. Das ist überhaupt das Problem: Es gibt kaum allgemeingültige Therapien.
"Da muss man halt selber gucken, dass man für sich einen Weg findet, die Krankheit zumindest zu händeln, dass man damit leben kann: was tut mir gut, wo geht’s mir besser, wann geht’s mir besser. Und eben: Was muss ich vermeiden."
Sabine Schmidt hat zum Beispiel den ziemlich radikalen Weg gewählt und ihren Job aufgegeben, bei dem die Krankheit immer schlimmer wurde. Zugleich hat sie sich ein neues Arbeitsfeld geschaffen und verkauft spezielle Kleidung für Frauen mit hochsensibler Haut. Sie selbst jedenfalls ist schon seit mehreren Jahren von dem quälend juckenden Ekzem befreit.
"Was ich gelernt habe: Ich muss dafür sorgen, dass es mir als Mensch gut geht."