Unsere Bildungsministerin, Frau Wanka, kriegt zum Schluss noch eine kleine Sonne in ihr Matheheft gemalt. Ja, ich hab auch manchmal Schwierigkeiten beim Kopfrechnen, aber mir persönlich ist noch nie so eine geile Ausrede eingefallen wie ihre hier:
"Oh, jetzt muss ich addieren, also dreizehn und fünfzehn, dreiundzwanzig, vierzig, fünfundfünfzig krieg' ich raus, ja. Aber ich kann mich verrechnet haben. Ich kann zwar rechnen, aber ich rechne weniger mit Zahlen."
Dieses Phänomen kennen Sie vermutlich: Die Angst, sich zu blamieren. Wenn Menschen versuchen, unter Angst - sei es vor der Öffentlichkeit, vor dem Lehrer oder einer schlechten Note – Rechenaufgaben zu lösen, stehen die Emotionen im Vordergrund; für die eigentliche Aufgabe bleibt kaum Kapazität. So entsteht ein Teufelskreis:
"Schlechte Matheleistung führt zu Matheangst, große Matheangst führt zu schlechter Leistung, schlechte Leistung führt wieder zu höherer Angst und so weiter."
Keine Rückschlüsse auf neuronale Vorgänge
Als Diplom-Mathematiker ist Hans-Christoph Nürk die Angst vor mathematischen Rechenaufgaben ziemlich fremd. In seiner Rolle als Diplompsychologe und Leiter des Arbeitsbereichs für Diagnostik und kognitive Neuropsychologie in Tübingen untersucht er die neuronalen und psychischen Komponenten bei der Angst vor Matheaufgaben. Wie beeinflusst die Angst vor der nächsten Matheklausur die Rechenleistung? Und was spielt sich dabei im Gehirn ab? Verhaltensstudien, in denen Menschen in Prüfungssituationen beobachtet werden oder Fragebögen ausfüllen müssen, gibt es inzwischen sehr viele. Daraus lassen sich aber keine Rückschlüsse auf neuronale Vorgänge ziehen, wie Christina Artemenko, Doktorandin an der Universität Tübingen, erklärt:
"Wenn matheängstliche Personen auch einfachste Aufgaben lösen, dann zeigt sich vielleicht nicht im Verhalten ein Unterschied, also sie sind jetzt nicht viel schlechter als matheunängstliche Personen. Aber trotzdem kann man im Gehirn dann beobachten, dass die Verarbeitung anders ist, bei denen, dass es nicht ganz so effektiv ist, die Prozesse, die dabei ablaufen."
Neun neurowissenschaftliche Studien wurden seit 2012 zum Thema Matheangst veröffentlicht. Hans-Christoph Nürk und Christina Artemenko haben sie verglichen und ein Modell erstellt, das die neuronalen Vorgänge von Matheangst anhand der bisherigen Kenntnisse allgemein beschreibt. Es beinhaltet "erstens eine emotionale Komponente: Da werden bei der Konfrontation mit Mathematik die gleichen Hirnareale aktiviert, die bei Schmerz aktiviert werden. "
Emotionale Komponente steht im Vordergrund
Also die bilaterale dorsoposteriore Insel und der cinguläre Cortex direkt unterhalb des Stirnlappens im Vorderhirn. Eine Aktivierung in diesen Bereichen zeigte sich vor allem bei sehr matheängstlichen Personen direkt vor einer Aufgabe. Zweitens lösen Menschen mit Matheangst Rechenaufgaben schlechter, da sie sich offenbar mehr mit ihren Ängsten beschäftigen als mit den eigentlichen Aufgaben. Das Arbeitsgedächtnis hat dann schlichtweg weniger Kapazität für die mathematische Leistung.
Dies zeigt sich neuronal, indem die Amygdala, das Emotionszentrum im Gehirn, bei matheängstlichen Personen aktiver ist. Der präfrontale Cortex hingegen, in dem allgemeine Denk- und Arbeitsgedächtnisprozesse stattfinden, die auch bei der Zahlenverarbeitung wichtig sind, ist bei ihnen weniger aktiv. Außerdem zeigen matheängstliche Personen weniger Aktivität in den Arealen, die speziell für Zahlenverarbeitung zuständig sind. Dort werden die Lösungen einfacher Rechenaufgaben, zum Beispiel des kleinen 1x1, wie Vokabeln abgespeichert.
Bislang gibt es nur wenige Ansätze, um die Forschungs-Ergebnisse in den pädagogischen Schulalltag einfließen zu lassen. Wichtig sei, so die Forscher, den Teufelskreis zwischen Angst und schlechter Leistung zu durchbrechen.