Denken ist ein Abenteuer, das jeder für sich alleine unternimmt, und das berühmte "Was denkst du gerade?" der Verliebten beschreibt den nur unzulänglichen Versuch, die Begrenzungen des Individuums für einen Moment aufzuheben. Wäre es nicht eine verlockende Vorstellung, alles, was einem gerade durch den Sinn geht, nicht bloß auf Facebook in Worte gekleidet zu posten, sondern den reinen Gedankenstoff ohne umständliche Verbalisierungen von Gehirn zu Gehirn zu versenden?
"Als der Roman geschrieben war, hatte ich die Gelegenheit, mit einem Neurologen zu sprechen. Hab ihm die Grundidee erklärt und gefragt: "Würde das denn funktionieren?" Also ich war schon überzeugt, dass es funktioniert, aber er hat sich's dann kurz überlegt, hat noch mal nachgehakt, und dann gesagt: "Ja, das würde so funktionieren!"
Der siebzehnjährige Christopher kann genau das. Als Teil der Kohärenz, der überwältigenden technischen Fiktion in Andreas Eschbachs neuem Jugend-Thriller, läuft er gleichermaßen als Individuum wie als Nervenzelle eines übergeordneten, künstlichen Organismus herum. Was er denkt, sieht, empfindet, teilt er ohne Zeitverlust via Internetschnittstelle mit anderen Kohärenzteilnehmern, so wie ihm deren Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle zur Verfügung stehen.
"Der Grundgedanke hinter der Kohärenz ist, dass sozusagen auf der Ebene der Gesellschaft nachgebildet wird, was in unserem Gehirn vor sich geht. Die Neurologie sagt heute: Unser Bewusstsein, unser Denken, unser Geist, entsteht aus dem Zusammenspiel der Neuronen. Jedes Neuron ist so für sich da, bekommt Impulse, leitet Impulse weiter. Und die Kohärenz hebt das Ganze jetzt auf eine Ebene weiter, das einzelne menschliche Gehirn wird ein Neuron in diesem Verbund. Alle Gehirne sind über einen Chip zusammengeschaltet und daraus entsteht so eine Art Supergeist. Und im Prinzip das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen."
Das muss nicht einmal schlecht sein, ist mit der Kohärenz doch ein Zuwachs an intellektueller Potenz, ja fast eine metaphysische Allwissenheit verbunden. So hat sie auch hat immensen Zulauf unter den Menschen. Immer mehr von ihnen lassen sich den kleinen Chip in die Nasenhöhle implantieren, der sie dem Übermenschentum näher bringt. Doch Christopher will das Gegenteil, er will den Chip wieder loswerden, den ihm seine Eltern haben einpflanzen lassen. Deswegen befindet er sich auf der Flucht, fahndet in der amerikanischen Wildnis nach einer Art modernem Henry Thoreau, der sich als Technikskeptiker und angeblicher Umweltterrorist mit einer Schar Getreuen in die Wälder verabschiedet hat. Dieser Jeremiah Jones, hofft Christopher, kann ihn retten – wobei der erste Schritt zur Rettung bei ihm selbst liegt: Christopher hat nämlich gelernt, seinen Chip zu kontrollieren, indem er sich in die Kohärenz ein- und wieder ausklinkt. So bewahrt er seine geistige Integrität, wo andere längst vom User zum Teil der Maschine geworden sind. Eine rabenschwarze Technikutopie?
"Also mir selber hat's beim Schreiben auch ziemlich gegruselt von dieser Zwangsläufigkeit. Fängt immer an mit ganz nachvollziehbaren Gründen, warum man jetzt was Bestimmtes tun muss, die besten Absichten, warum das gut ist. Und so kommt eins zum anderen, eins zum anderen, bis da etwas entsteht, was uns sozusagen enden lässt als das, was wir sind. Die Frage ist, ob sich das nicht manche sogar wünschen?"
Genau diese Balance zwischen Warnung und Verlockung hält Andreas Eschbach über 400 Seiten aufrecht. Man kann den romantischen Rückzug in die Natur verlockend, aber auch abstoßend finden. Die Kohärenz hingegen mit ihren sektenhaften Strukturen ist zwar auf den ersten Blick eine Negativprojektion, auf den zweiten jedoch erfüllt sie die menschlichen Urwünsche nach Verschmelzung, wie das sonst nur Drogenerfahrungen versprechen. Eschbach holt seine jugendlichen Leser genau da ab, wo sie sich mit Fragen von Abgrenzung und Vereinigung herumschlagen und in sozialen Netzwerken des Internets viel zu viel von sich preisgeben. Eines Tages wollen sie womöglich – wie Christopher in "Black Out" – den elektronischen Kokon wieder verlassen, dann dürfen sie sich zuvor nicht zu fest mit ihm versponnen haben. Als Routinier des Thriller-Genres packt Andreas Eschbach diesen existenziellen Diskurs in ein hochspannendes Roadmovie, das keine Sekunde langweilig wird und bei allen Science-Fiction-Anleihen nicht unrealistisch wirkt. Im Grunde ist die Kohärenz nur eine Metapher für etwas, das längst existiert, eine Anknüpfung an unsere gewohnte Internetrealität:
"Schauen Sie mich an. Ich habe jederzeit und überall jede beliebige Zahl, jede beliebige Information verfügbar – ein Gedanke an Wikipedia oder Britannica Online genügt. Ich finde mich auf der ganzen Welt zurecht – ich brauche nur an Google Maps zu denken. Ich kann mir alles merken – ich schreibe es einfach in ein Dokument bei GoogleDoc oder sonst einem Online-Office. Ich kann von meinem Kopf aus E-Mails empfangen oder verschicken, per Internet telefonieren, Hotelzimmer buchen, Fahrpläne abfragen, Musik hören, Spiele spielen . . . Und das ist alles erst der Anfang. Das ist nur das erste Upgrade. Ein primitiver Prototyp dessen, was noch kommen wird." (S. 158-159)
"Das wird auch noch ne Rolle spielen, diese Frage, ist das überhaupt schlecht? Ich versuche einfach zu erforschen, wie sich diese verschiedenen Konstellationen auswirken ... da muss man mal sehen."
Man hört zwischen den Zeilen, dass "Black Out" als Mehrteiler konzipiert ist, was man der Geschichte allerdings nicht anmerkt. Einziges Zugeständnis ans serielle Format bleibt der nur halbe Sieg des Guten im Finale. Christopher und seine Freunde haben fürderhin noch genug zu tun, um die alte Welt zu retten ... oder sich von den Verlockungen der neuen anfechten zu lassen. "Black Out" ist dabei eines jener Bücher, die Jugendliche wohl rascher nachvollziehen können als ihre Eltern, sind doch sie die digital natives. Das notwendige Gespräch über die Teilnahme an einer Öffentlichkeit, die einen verschlingt, sobald man sie betritt, erhält auf alle Fälle Impulse für beide Generationen – "all age" einmal mehr als nur eine hohle Marketingformel.
Andreas Eschbach: "Black Out"
Arena Verlag, 462 Seiten, 17,95 Euro
"Als der Roman geschrieben war, hatte ich die Gelegenheit, mit einem Neurologen zu sprechen. Hab ihm die Grundidee erklärt und gefragt: "Würde das denn funktionieren?" Also ich war schon überzeugt, dass es funktioniert, aber er hat sich's dann kurz überlegt, hat noch mal nachgehakt, und dann gesagt: "Ja, das würde so funktionieren!"
Der siebzehnjährige Christopher kann genau das. Als Teil der Kohärenz, der überwältigenden technischen Fiktion in Andreas Eschbachs neuem Jugend-Thriller, läuft er gleichermaßen als Individuum wie als Nervenzelle eines übergeordneten, künstlichen Organismus herum. Was er denkt, sieht, empfindet, teilt er ohne Zeitverlust via Internetschnittstelle mit anderen Kohärenzteilnehmern, so wie ihm deren Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühle zur Verfügung stehen.
"Der Grundgedanke hinter der Kohärenz ist, dass sozusagen auf der Ebene der Gesellschaft nachgebildet wird, was in unserem Gehirn vor sich geht. Die Neurologie sagt heute: Unser Bewusstsein, unser Denken, unser Geist, entsteht aus dem Zusammenspiel der Neuronen. Jedes Neuron ist so für sich da, bekommt Impulse, leitet Impulse weiter. Und die Kohärenz hebt das Ganze jetzt auf eine Ebene weiter, das einzelne menschliche Gehirn wird ein Neuron in diesem Verbund. Alle Gehirne sind über einen Chip zusammengeschaltet und daraus entsteht so eine Art Supergeist. Und im Prinzip das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen."
Das muss nicht einmal schlecht sein, ist mit der Kohärenz doch ein Zuwachs an intellektueller Potenz, ja fast eine metaphysische Allwissenheit verbunden. So hat sie auch hat immensen Zulauf unter den Menschen. Immer mehr von ihnen lassen sich den kleinen Chip in die Nasenhöhle implantieren, der sie dem Übermenschentum näher bringt. Doch Christopher will das Gegenteil, er will den Chip wieder loswerden, den ihm seine Eltern haben einpflanzen lassen. Deswegen befindet er sich auf der Flucht, fahndet in der amerikanischen Wildnis nach einer Art modernem Henry Thoreau, der sich als Technikskeptiker und angeblicher Umweltterrorist mit einer Schar Getreuen in die Wälder verabschiedet hat. Dieser Jeremiah Jones, hofft Christopher, kann ihn retten – wobei der erste Schritt zur Rettung bei ihm selbst liegt: Christopher hat nämlich gelernt, seinen Chip zu kontrollieren, indem er sich in die Kohärenz ein- und wieder ausklinkt. So bewahrt er seine geistige Integrität, wo andere längst vom User zum Teil der Maschine geworden sind. Eine rabenschwarze Technikutopie?
"Also mir selber hat's beim Schreiben auch ziemlich gegruselt von dieser Zwangsläufigkeit. Fängt immer an mit ganz nachvollziehbaren Gründen, warum man jetzt was Bestimmtes tun muss, die besten Absichten, warum das gut ist. Und so kommt eins zum anderen, eins zum anderen, bis da etwas entsteht, was uns sozusagen enden lässt als das, was wir sind. Die Frage ist, ob sich das nicht manche sogar wünschen?"
Genau diese Balance zwischen Warnung und Verlockung hält Andreas Eschbach über 400 Seiten aufrecht. Man kann den romantischen Rückzug in die Natur verlockend, aber auch abstoßend finden. Die Kohärenz hingegen mit ihren sektenhaften Strukturen ist zwar auf den ersten Blick eine Negativprojektion, auf den zweiten jedoch erfüllt sie die menschlichen Urwünsche nach Verschmelzung, wie das sonst nur Drogenerfahrungen versprechen. Eschbach holt seine jugendlichen Leser genau da ab, wo sie sich mit Fragen von Abgrenzung und Vereinigung herumschlagen und in sozialen Netzwerken des Internets viel zu viel von sich preisgeben. Eines Tages wollen sie womöglich – wie Christopher in "Black Out" – den elektronischen Kokon wieder verlassen, dann dürfen sie sich zuvor nicht zu fest mit ihm versponnen haben. Als Routinier des Thriller-Genres packt Andreas Eschbach diesen existenziellen Diskurs in ein hochspannendes Roadmovie, das keine Sekunde langweilig wird und bei allen Science-Fiction-Anleihen nicht unrealistisch wirkt. Im Grunde ist die Kohärenz nur eine Metapher für etwas, das längst existiert, eine Anknüpfung an unsere gewohnte Internetrealität:
"Schauen Sie mich an. Ich habe jederzeit und überall jede beliebige Zahl, jede beliebige Information verfügbar – ein Gedanke an Wikipedia oder Britannica Online genügt. Ich finde mich auf der ganzen Welt zurecht – ich brauche nur an Google Maps zu denken. Ich kann mir alles merken – ich schreibe es einfach in ein Dokument bei GoogleDoc oder sonst einem Online-Office. Ich kann von meinem Kopf aus E-Mails empfangen oder verschicken, per Internet telefonieren, Hotelzimmer buchen, Fahrpläne abfragen, Musik hören, Spiele spielen . . . Und das ist alles erst der Anfang. Das ist nur das erste Upgrade. Ein primitiver Prototyp dessen, was noch kommen wird." (S. 158-159)
"Das wird auch noch ne Rolle spielen, diese Frage, ist das überhaupt schlecht? Ich versuche einfach zu erforschen, wie sich diese verschiedenen Konstellationen auswirken ... da muss man mal sehen."
Man hört zwischen den Zeilen, dass "Black Out" als Mehrteiler konzipiert ist, was man der Geschichte allerdings nicht anmerkt. Einziges Zugeständnis ans serielle Format bleibt der nur halbe Sieg des Guten im Finale. Christopher und seine Freunde haben fürderhin noch genug zu tun, um die alte Welt zu retten ... oder sich von den Verlockungen der neuen anfechten zu lassen. "Black Out" ist dabei eines jener Bücher, die Jugendliche wohl rascher nachvollziehen können als ihre Eltern, sind doch sie die digital natives. Das notwendige Gespräch über die Teilnahme an einer Öffentlichkeit, die einen verschlingt, sobald man sie betritt, erhält auf alle Fälle Impulse für beide Generationen – "all age" einmal mehr als nur eine hohle Marketingformel.
Andreas Eschbach: "Black Out"
Arena Verlag, 462 Seiten, 17,95 Euro