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Neurowissenschaft
Computerspiel soll Sehvermögen steigern

Wenn die Sehkraft nachlässt, heißt es oft: "Die Augen werden schlechter". Ein kalifornischer Hirnforscher sieht die Ursache für solche Verschlechterungen jedoch mehr im Gehirn. Das neuronale Sehzentrum könne oft nicht gut auf kleine Veränderungen der Augen reagieren. Passende Sehtrainingsprogramme sollen Abhilfe schaffen.

Von Lucian Haas |
    Die Nahaufnahme eines menschlichen Auges.
    Stetes Sehtraining schult offenbar die Sehkraft - und setzt dabei im Gehirn an. (dpa/picture alliance - John Stillwell)
    So klingt es, wenn die College-Baseballmannschaft der Universität von Kalifornien in Riverside mit dem letzten weiten Schlag ein Spiel für sich entscheidet. In der vergangenen Saison feierte die Mannschaft nachweisbar häufiger Erfolge als zuvor. Und das verdankt sie, zumindest teilweise, womöglich der Arbeit eines Hirnforschers – Aaron Seitz.
    "Die Spieler sagen, sie konnten den Ball im Spiel besser erkennen und Dinge bei schwachem Licht besser sehen."
    Aaron Seitz erforscht seit rund 15 Jahren die Grundprozesse des Sehens und wie das Gehirn die Signale, die die Augen ihm liefern, interpretiert. Er hat eine Art Computerspiel entwickelt, mit dem ein Spieler darauf trainiert wird, bestimmte Bildmuster auf einem Monitor so schnell wie möglich zu identifizieren – und das auch bei zunehmend schwächeren Kontrasten. 19 Spieler der Baseballmannschaft machten über zwei Monate hinweg vier Mal die Woche jeweils 45 Minuten ein solches Sehtraining. Die Ergebnisse sind verblüffend:
    "Besonders überraschend war das Ausmaß der Veränderung. Wir haben die Spieler mit standardisierten Sehtafeln getestet. Man steht sechs Meter von der Tafel entfernt und muss die Linie mit der kleinsten Schriftgröße vorlesen, die man noch erkennen kann. Nach dem zweimonatigen Training konnten die Spieler Schriften erkennen, die zwei Stufen kleiner waren als zuvor. Weitere Tests zeigten, dass sie auch im Erkennen schwacher Kontraste besser abschnitten."
    Die Spieler sahen nicht nur besser, sie spielten auch besser. Beim Baseball ist es üblich, dass über alle möglichen spielentscheidenden Größen genaue Statistiken geführt werden. Zum Beispiel: Wie häufig verfehlt ein Spieler beim Schlagen den Ball? Wie viele erfolgreiche Läufe rund ums Spielfeld ermöglicht er mit guten Schlägen? Aaron Seitz ermittelte, welche Fortschritte die Spieler mit Sehtraining im Vergleich zum Durchschnitt aller College-Baseballspieler von einer Saison zur anderen machten. Auch da waren positive Effekte deutlich erkennbar, die auf das Sehtraining zurückgeführt werden könnten. Solche Ergebnisse sind freilich mit Vorsicht zu genießen. Denn die Testgruppe mit nur 19 Versuchsteilnehmern ist für eindeutige statistische Analysen noch zu klein.
    "Jedes wissenschaftliche Ergebnis, das auf kleinen Versuchsteilnehmerzahlen basiert, wirft Fragen auf. Wir müssen die Versuche nun mit mehr Spielern fortsetzen, um anhand besserer Daten sicherzustellen, dass unsere Ergebnisse korrekt sind."
    Aaron Seitz will sein Verfahren künftig nicht nur mit kompletten Baseballmannschaften testen. Er plant Versuche mit weiteren Gruppen von Probanden, darunter nicht nur Sportler, sondern auch Patienten, die an verschiedenen Formen von Sehschwäche leiden. Seiner Ansicht nach entstehen viele Formen der Schwachsichtigkeit im Laufe des Lebens dadurch, dass sich die Augen verändern und das Gehirn zu unflexibel ist, sich an diese Änderungen anzupassen.
    "Dass unsere Sehkraft mit dem Alter schlechter wird, hängt auch mit einer mangelnden Plastizität des Gehirns zusammen. Unser Trainingsprogramm setzt an Stellen an, von denen wir wissen, dass das visuelle System eines Erwachsenen dort noch anpassungsfähig ist. Wir versuchen Methoden zu entwickeln, die auf das Gehirn so einwirken, dass es Veränderungen des Sehens kompensieren kann. Ich denke, dass in 10 oder 20 Jahren solche Sehtrainings fürs Gehirn genauso populär sein werden wie Fitnessübungen fürs Körpertraining."
    Und wenn es tatsächlich auch nachweisbar sportliche Erfolge bringt, werden in Zukunft viele Profisportler nicht nur auf dem Trainingsplatz ihre Runden drehen, sondern auch regelmäßig an Bildschirmen gezielt ihre Sehkraft fördern müssen.