Laufen und Sprechen wollen gelernt sein. Beides ist in uns Menschen drin – angelegt in den motorischen Zentren und im Sprachzentrum. Und wie sieht es mit Empathie aus? In den vergangenen Jahren zeigte sich immer wieder ein fehlendes Maß an Empathie – gerade auch gegenüber Menschen in Not. Sei es bei Kundgebungen in Dresden, wo Menschen mit Blick auf Flüchtlinge im Mittelmeer "Absaufen, absaufen" skandierten.
Oder auch das zunehmende Gaffertum. Erst kürzlich knöpfte sich ein Polizist aus Bayern nach einem tödlichen Unfall mehrere Gaffer vor, die die Unfallstelle filmten und konfrontierte sie mit der Leiche eines getöteten Lkw-Fahrers.
Wie schon vor einem Jahr wird wieder über ein Gesetz diskutiert, das es strafbar macht, Sterbende zu filmen und das Video ins Netz zu stellen. Diese Beispiele zeigten, wie weit wir schon gekommen seien, sagte der Psychiater und Autor Manfred Spitzer. Er sieht darin klare "Warnzeichen".
Mitgefühl müsse gelernt werden
Doch wie kommt dieser Mangel an Empathie überhaupt zustande? Empathie müsse gelernt werden, sagte Manfred Spitzer im Dlf. Das sei vielen Menschen nicht klar. Mitgefühl sei angelegt im menschlichen Gehirn. Aber es müsse wie Laufen und Sprechen gelernt werden.
Aus der Neurowissenschaft sei seit Langem bekannt, dass das Gehirn nicht nur im Kopf rumliege und denke. Sondern, betonte Spitzer: "Das ist ein Organ, das sich wie ein Muskel dauernd anpasst, an das, was passiert."
Der Prozess sei sogar viel "doller" als im Muskel. Im menschlichen Gehirn würden Informationen von Nervenzellen verarbeitet. Dies habe zur Folge, dass sich die Verbindungen zwischen den Nervenzellen ändern würden. "Das ist der Speicher. Das heißt, wir haben im Kopf nicht eine Festplatte und einen Chip, der rechnet und verarbeitet, sondern wir haben 100 Milliarden Nervenzellen, die Informationen verarbeiten."
Erfahrungen hinterlassen Spuren im Gehirn
Lernen bedeute nicht, da sitzen und pauken – sondern, man mache interessante Erfahrungen, die Spuren im Gehirn hinterlassen.
Die Perspektive eines anderen einzunehmen, sei die kognitive Seite des Mitgefühls. "Da muss ich schon Mitgefühl haben, ich muss dessen Gefühle erspüren können, aber ich muss eben auch die Denkleistung vollbringen, mit dessen Augen hinzugucken", sagte Spitzer.
Beides müsse gelernt werden – und zwar in einem bestimmten Zeitraum. Denn es gäbe auch für soziales Lernen ein Zeitfenster. "Wenn ich 25 bin und kann es noch nicht, dann habe ich große Mühe, es noch zu lernen. So wie man sprechen auch nicht mehr lernt, wenn man 13 ist."
Gesellschaft muss richtigte Werte vermitteln
Spitzer unterstrich auch, dass es besser und auch viel einfacher sei, gleich das Richtige zu lernen, als erst einmal das Falsche zu lernen. Dies zu korrigieren und dann noch das Richtige zu lernen, bezeichnete er als "ganz, ganz mühsam".
"Als Gesellschaft täten wir gut daran, eben die richtigen Werte zu vermitteln und unsere Kinder nicht vor Bildschirmen abzulegen oder hinzusetzen, wo sie Gewalt erleben, auch sehr erfolgreiche Gewalt. Ich sage mal, Gewalt gegenüber Schwachen erleben, gegenüber Frauen erleben. Das müssen wir ihn nicht erst einmal beibringen, um ihn dann wieder zu sagen, du sollst lieb sein. Das werden sie dann automatisch nicht mehr so sein. Und das ist letztlich keine so gute Idee."