Ein alter Mann fährt Fahrrad, dreht eine Kurve und tritt kräftig in die Pedale. All das wirkt völlig normal. Doch sobald er bremst, und vom Fahrrad steigt, wirkt er plötzlich wie festgefroren, sein Rücken wird rund, den Kopf lässt er hängen, die Hände zittern. Der Mann leidet an Parkinson --- und doch ist er gerade eben Fahrrad gefahren:
"Wenn man Patienten auf ein Fahrrad setzt und sie anschiebt, dann fahren sie, auch wenn sie keinen Schritt mehr alleine gehen können. Bewegungen, die viel trainiert wurden, können sie fehlerfrei abrufen."
Das Video, das den Mann zeigt, stammt aus Holland, genauer aus einer Klinik in Amsterdam. Ein frappierendes Beispiel dafür, dass Parkinsonpatienten die Kontrolle über ihren Körper nicht komplett verlieren, sondern nur teilweise. Das sagt
Joaquim da Silva vom Champalimaud Centre for the Unknown in Lissabon:
"Wir wissen heute, dass vor allem Anfang und Ende von Bewegungsabläufen gestört sind. Das muss, dachten wir uns, etwas mit der Funktion der Nervenzellen zu tun haben, die bei Parkinson absterben."
Nervenzellen sterben sukzessive ab
Im Gehirn von Parkinson-Patienten sterben sukzessive immer mehr Nervenzellen in der sogenannten Substantia Nigra ab, einer kleinen, dunkel gefärbten Region im Mittelhirn. Sicher ist, dass die Signale aus dieser Region wichtig sind für die Steuerung von Bewegungen. Welche Rolle genau aber diese dunkel gefärbten Nervenzellen spielen, ist gar nicht so einfach zu klären.
"Wenn wir Patienten in der Klinik zu sehen bekommen, haben sie schon sehr viele dieser Zellen verloren. Wir können diesen Verfall nicht mehr rückgängig machen. Also können wir auch nicht ausprobieren wie es wäre, wenn diese Zellen wieder funktionieren würden."
Joaquim da Silva griff deshalb zu einer Technik, die unter Neurowissenschaftlern immer beliebter wird: Der Optogenetik und zwar mit Mäusen. In den Tieren werden genau die Nervenzellen genetisch verändert, auf die es bei der Parkinson-Krankheit ankommt. Dadurch werden diese Zellen lichtempfindlich und lassen sich mit einem Lichtpuls an und ausknipsen. Den Lichtpuls schicken die Forscher mit einem dünnen Laser bis ins Gehirn der Tiere.
"Die Maus kann sich dabei frei bewegen. Also können wir ausprobieren, wie sich ihr Verhalten verändert, je nachdem ob wir die Nervenzellen gerade an oder ausgeschaltet haben. Wir brachten den Mäusen dann bei, dass sie eine Zuckerlösung als Belohnung bekommen, wenn sie einen kleinen Hebel achtmal hintereinander schnell herunterdrücken."
Nach einiger Zeit war den Mäusen das Hebeldrücken so vertraut wie dem Parkinson-Patienten vom Anfang das Fahrradfahren. Dann erst begann das eigentliche Experiment: Da Silva schaltete die präparierten Nervenzellen in der Substantia Nigra der Mäuse immer wieder für sehr kurze Zeit aus.
"Wenn wir bei den Mäusen die Nervenzellen blockierten, kurz bevor die Maus anfängt, den Hebel zu drücken, kann sie die Aktion nur noch mühsam starten. Sie wirkt dann langsam und unbeholfen. Wenn wir die Nervenzellen aber erst später ausschalten, wenn die Maus den Hebel schon gedrückt hat, sie also mitten in der Aktion steckt, dann macht sie einfach weiter, genauso schnell wie sonst, völlig ohne Probleme."
Mit anderen Worten: Die dunklen Zellen der Substantia Nigra braucht die Maus vor allem, um eine Bewegung zu beginnen. Wenn diese Zellen blockiert sind, gerät die Maus ins Stocken. Das passt zum fahrradfahrenden Parkinson-Patienten: Er fährt problemlos, wenn er angeschoben wird, ist aber hilflos, wenn er aus dem Stand heraus selbstständig einen Schritt machen will. Bis diese Erkenntnisse den Patienten nutzen, wird es noch dauern, aber welche Funktion die Zellen haben, die Parkinson-Patienten durch ihre Krankheit verlieren, das klärt sich Stück für Stück.