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Neustart am Schauspielhaus Zürich
Faustischer Pakt mit dem Publikum

Sich und dem Publikum Zeit lassen, um ins Gespräch zu kommen, das will Zürichs neuer Theater-Intendant Nicolas Stemann. Also nicht aus vollen Rohren schießen und Tam-Tam zu Beginn der Spielzeit machen. Christian Gampert hält den Start für gelungen.

Von Christian Gampert |
Michael Neuenschwander und Sebastian Rudolph in der Faust-Inszenierung von Nicolas Stemann am Schauspielhaus Zürich
Schon in der Hölle? Michael Neuenschwander und Sebastian Rudolph als Mephisto und Faust (© Zoé Aubry)
Der wilde Stemann Intendant im reputierlichen Zürich, kann das gutgehen? Auch wenn er den netten Benjamin von Blomberg als dramaturgischen Kopiloten dabei hat? Die Befürchtungen waren groß, vor allem bei der reichen Züriberg-Klientel, die ihre heilige Pfauen-Bühne in Gefahr sah. Und in der Tat hat das Intendanten-Duo erstmal das Foyer dieses Hauses von Plüsch und schweren Teppichen befreit: jetzt sieht es dort aus wie in einem kühlen Szene-Treffpunkt.
Goethes Faust up to date
Nicolas Stemann zeigte dort zur Eröffnung seine Faust-Inszenierung von 2011, in der die Figuren sich gegenseitig bespiegeln und alle Rollen übernehmen; Stemann selber tritt als ironischer Moderator einer ausufernden Walpurgisnacht auf, der die "Erfindung des Papiergelds" als entscheidend auch für die Entwicklung der Bankenstadt Zürich ausmacht…
Jetzt könnte man sagen: so eine alte Inszenierung. Aber sie ist in ihrer Art, den Faust programmatisch von heute aus zu befragen, mehr als up to date – und in Zürich eher unbekannt. Das gesamte Eröffnungsfestival zeigte ältere Arbeiten jener Regisseure, die sich jetzt für drei Jahre an Zürich gebunden haben, von einer solistischen Depressions-Übung von Yana Ross (mit Kroetzens "Wunschkonzert") in der völlig leeren Schiffbau-Halle bis zu dem von Leonie Böhm für die alternative Szene ganz karg eingerichteten, geschlechter-technisch augenöffnenden Rummelplatz-Stück "Kasimir und Karoline", gespielt nur mit Männern. Vieles an diesen Aufführungen hat etwas Improvisierendes, Veränderbares. Den Intendanten geht es durchaus um diese Offenheit – und vor allem um eine Entschleunigung des Theaterbetriebs.
Entspannt ankommen
"Wir wollten nicht beginnen mit dem, was Theater klassischerweise machen zu solchen Anfängen: möglichst aus allen Rohren schießen. Möglichst viel neu. Ungesehenes. Damit gleich so ne Art von riesigem Widerhall passiert. Dadurch unglaublich viel Druck auf dem Kessel. Weil auf allen Ebenen produziert wird und gewollt wird, dass es unbedingt großartig wird. Sondern ganz im Gegenteil – die Geste sollte sein: wir versuchen hier möglichst entspannt anzukommen."
Das sagt Benjamin von Blomberg. Wenn man genau hinhört, steckt darin eine Fundamentalkritik am etablierten Theater, in dem sich alle Regisseure und Schauspieler ständig auf den Markt werfen müssen, immer unterwegs und nirgends zu Hause sind. Blomberg konstatiert eine Überhitzung des Betriebs: hier hin Zürich wolle man nun in Ruhe ansässig werden und sich Zeit nehmen, mit dem Publikum ins Gespräch zu kommen, auf der Bühne und im Foyer.
Frischer Eindruck
Bei acht Stunden Faust 1 und 2 lässt sich das kaum vermeiden. Und es macht einfach Spaß, einem Schauspieler wie Sebastian Rudolph bei der Arbeit zuzusehen – der einem immer das Gefühl gibt: das ist einer von uns. Der kann was, aber er bildet sich nichts darauf ein. Der Performance-Charakter, den dieser Faust (auch) hat, findet sich in sehr vielen Arbeiten des Eröffnungsfestivals – sie suchen den direkten Kontakt zum Publikum.
"Ich würde sagen, dass es da etwas gibt, das diese Arbeiten vereint. Dass diese Geste nach einer Co-Autorenschaft durch das Publikum, die möglichst neugierig und offen schauen, dann im Kopf und im Herzen weiterfabulieren, dass das all diese Arbeiten versuchen."
Und die Intendanten steigen aus dem Büro herab. Nicolas Stemann stellt sich nachts als Pianist und Sänger auf die Bühne im alten Schiffbau und improvisiert Texte, die ihm das Publikum auf Zettel schreibt. Da wird dann zwar auch Skurriles wie der Wunsch nach genderneutralen Klos verhandelt, aber insgesamt macht das runderneuerte Züricher Theater einen ziemlich frischen Eindruck.