Für Millionen Menschen in Deutschland das regelmäßige gemeinsame Musikmachen zum Alltag. Egal ob in der BigBand, im Chor, im Blasorchester oder im Akkordeonensemble. Doch mit der Corona-Pandemie ist dieses reichhaltige Kulturleben vielerorts fast gänzlich zum Stillstand gekommen. In der Diskussion um Öffnungsszenarien, in dem die schon professionelle Kulturszene seit Monaten unter "ferner liefen" rangiert, scheint die Amateurmusik kaum keine Rolle zu spielen.
Heiko Schulze ist einer der beiden Vizepräsidenten des Bundesmusikverbands Chor und Orchester. Der Verband vertritt die Interessen von rund 100.000 Ensembles aus dem Amateurmusikbereich.
"Wir möchten jetzt mit guten Beispielen in die Diskussion, in die Politik einsteigen, um Öffnungsszenarien zu ermöglichen", sagte er im Dlf. Chorleiter- oder Ensembleleitern rät er in dieser Situation, immer den Kontakt zu den Institutionen vor Ort zu halten – den Gesundheitsämtern, den Kreis- oder Landesverbänden – um zu erfahren, "was aktuell gerade möglich ist."
Impfstatus ist ein zentrales Thema
Im Rahmen des Projektes "Neustart Amateurmusik" sei man jetzt dabei, wissenschaftliche Analysen zu studieren und zu schauen: "Was sind denn tatsächlich die Gefährdungspotenziale in den einzelnen Sparten und Genres und wie können wir damit umgehen. (…) Dabei ist ein Impfstatus ein zentrales Thema, das ja auch gesamtgesellschaftlich gerade diskutiert wird. Aber ich denke und hoffe auch, dass es auch andere Parameter gibt, an denen sich diese Öffnungsszenarien orientieren können."
Auch mit Blick auf praktikable Lösungen zur Wiederaufnahme des Probenbetriebs müsse man mit der Politik im Gespräch bleiben. Fakt ist: "Der gesundheitliche Schutz obliegt uns allen und dafür tragen wir alle die Verantwortung. Aber: Die Hygienekonzepte und Maßnahmen, die Dinge die wir auch selber mit erarbeiten, müssen natürlich auch umsetzbar und machbar sein."
"Amateurmusizieren ist Teil unseres kulturellen Lebensalltages"
Den Vorwurf, man werde als Verband in der Politik zu wenig gehört, weist Schulze zurück. Man setze auf lösungsorientierte Ansätze. Ziel sei es, gemeinsam mit der Wissenschaft verantwortungsvolle Konzepte zu entwickeln, die den Vereinen an die Hand gegeben werden könnten. "Wenn wir auf die Politik zugehen und mit geschlossener Stimme sprechen, glaube ich schon, dass wir gehört werden."
Auch wenn die Amateurmusikszene im Zuge der Corona-Pandemie von vielen digitalen Formaten und Übemöglichkeiten profitiert hat, glaubt Schulze, dass das Live-Erlebnis auch in Zukunft weiter im Mittelpunkt steht. "Das ist ja das Faszinierende an Musik: Gemeinsam etwas zu produzieren. (…) Das wird die digitale Welt niemals ersetzen können."
Sorge um ältere Musikerinnen und Musiker
Die Sorge, dass viele Ensembles durch die Coronakrise aufgeben, sei berechtigt, sagt Schulze. Besonders ältere Musikerinnen und Musiker seien gefährdet, das gemeinsame Musizieren aufzugeben. "Deswegen müssen wir mit guten Ideen auch diese Zielgruppe weiter an uns binden." Sorge bereiten Schulze auch Ausbildung, Kooperationen und die Orchester: "Da fehlt uns ein ganzer Jahrgang, der in der Ausbildungszeit nicht kontinuierlich mit unserer Szene beschäftigt war. Die alle wieder aufzufangen, wird eine große Herausforderung für uns alle sein."
Kammermusik als Chance
Schulze sieht jedoch auch Chance bei der künstlerischen Weiterentwicklung. Nach dem ersten Lockdown habe man gesehen, dass mit dem langsamen Öffnen besonders Kammermusik in kleinen Ensembles in den Fokus gerückt sei. Für viele Orchester könne das auch dieses Mal eine Qualitätsanschub sein, glaubt er.