Als Schriftstellerin verbarg sich die Dänin Karen Blixen-Finecke gern hinter Pseudonymen: Ihre Texte erschienen unter Isak Dinesen, Karen oder Tania Blixen und der Roman "Wege der Vergeltung" von 1944 unter dem männlichen Pseudonym Pierre Andrézel. Dieses Spiel mit Namen führt ins Zentrum einer Identitätsproblematik, die auch den Ort ihres Sprechens als Frau charakterisiert.
Während Blixens Vater Wilhelm Dinesen aus dem Gutsherrenadel stammte, selbst literarisch ambitioniert war und als Offizier am Krieg teilnahm, gehörte die Mutter Ingeborg Westenholz dem Kopenhagener Großhandelsstand an. Diese soziale Schwellenexistenz sowie der Selbstmord des Vaters, als Blixen zehn Jahre alt war, bewirkten eine Art innerer Heimatlosigkeit, die ihre Biografie und ihr Schreiben prägt.
"Ich finde die Biografie von ihr, die ist schon sehr geschickt aufgebaut und geheim gehalten. Es gibt immer so Daten, die gestreut sind, wo immer nicht ganz klar ist, was war das jetzt eigentlich. Diese Heirat ist ein unglaublicher, eigentlich geradezu literarischer Akt. Sie heiratet den Zwillingsbruder des Mannes, den sie eigentlich liebt. Also man kann neben ihm im Bett liegen, und man kann glauben, es ist der Eigentliche. Dieser Zwillingsbruder lässt sich aber darauf ein, also er möchte sie schon heiraten. Was für ein Dreieck. Gleichzeitig sind diese Zwillingsbrüder auch noch die Söhne der Cousine ihres Vaters. Man ist auch noch, nicht soweit voneinander entfernt, miteinander verwandt."
In der Tat heiratet Blixen 1914 an ihrer wirklichen Liebe vorbei und tritt mit ihrem Ehemann, dem schwedischen Adligen Bror Blixen, die Flucht nach vorn an: Ihr Ziel ist Britisch Ost-Afrika, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Spielwiese der englischen Aristokratie ist. Die Kolonie – auch "Happy Valley" genannt - entpuppt sich als Domäne des weißen Mannes, wo eine weiße Frau aus dem kleinen Königreich Dänemark eigentlich nichts zu suchen hat.
Zumal diese Randeuropäerin auch noch als Boss eine Kaffeeplantage betreiben will. "Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß des Njong-Gebirges", wird rückblickend jener legendäre Satz aus "Jenseits von Afrika" lauten. Wobei vom Scheitern ihres Afrikatraumes bereits wenige Seiten später zu lesen ist:
"Tatsächlich lag die Gegend für Kaffee etwas zu hoch, und die Bewirtschaftung machte große Mühe."
"Diese Frau lebt ja in einer ganz eigenen Rollenzusammensetzung. Und entwickelt auch einen durchaus kritischen Blick mit auf ihre britische weiße Umgebung. Wenn sie so beschreibt, wie die sich alle immer so zusammenrotten. Wie die in so einer weißen Blase leben. Das tut sie ja nicht. Sie lebt ja in so einer ganz eigenen Blase auf ihrer Farm, umgeben von diesem, kistenweise herbeigeschleppten dänischen Porzellan und einer echten Kuckucksuhr."
Siebzehn Jahre lang lebt Blixen in Afrika, bis ihre Farm in Konkurs geht und sie 1931 mittellos und als kranke Frau – sie war 1914 an Syphilis erkrankt - nach Dänemark zurückkehrt. Ihre Farm verkaufte sie an einen Geschäftsmann aus Nairobi, der das Gebiet der ehemaligen Kaffeeplantage danach urbanisieren ließ. Noch heute ist die Siedlung ein vornehmer Wohnort von Nairobi und nennt sich, in Erinnerung an die extravagante Dänin, "Karen".
1934 veröffentlichte sie unter dem Namen Karen Blixen ihre "Seven Gothic Tales" und fährt zeitgleich fort, die Erinnerungen an ihre Afrikazeit aufzuschreiben. Doch "Jenseits von Afrika" wird kein Buch des Scheiterns. Der Prozess des Schreibens allerdings eine literarische Sensation.
"Es ist ja auch irre, wie dieses Buch entstanden ist. Ich staunte, als ich das las. Da kehrt sie nach Dänemark zurück und beginnt dort ihre Schreibversuche über Afrika ernsthaft fortzusetzen und schreibt erst mal auf Englisch, dann lässt sie sich das von jemandem ins Dänische übersetzen. Das ist ihre Muttersprache, aber nein. Sie braucht dann das fremde Dänisch. Damit arbeitet sie dann weiter. Und baut parallel zwei vollkommen andere Bücher. Für das dänische Publikum das eine und für das englische Publikum das andere.
Und die Dänen, die brauchen offensichtlich aus Blixens Sicht sehr viel mehr so kulturelle Unterfütterung aus dem Literaturschatz und dem Religionsschatz Dänemarks, deswegen bekommen sie eine Menge Zitate in das Buch hinein, das ist aus heutiger Sicht sehr pathetisch und so aufgeschwurbelt."
Der nahezu 700 Seiten umfassende Text gliedert sich in fünf Kapitel, die einen eigenwilligen Zugriff auf das Afrika-Material in Textgestalt und Sprache zeigen. Viel Raum wird den Episoden eingeräumt, die von den Massai und den somalischen Viehhändlern und Kaufleuten handeln. Blixen erinnert die Geschichte vom kranken Kikuyujungen Kamante, der ein merkwürdig "nachdenklicher Mensch" war.
Vielleicht, so schreibt sie, "hatten seine jahrelangen, frühen Leiden eine Neigung in ihm geweckt, die Dinge zu reflektieren". Im Kapitel "Aus dem Tagebuch einer Emigrantin" finden sich einige jener Passagen, mit denen Blixen die Kritiker auf den Plan rief, die von kolonialer Arroganz sprachen. Zum Beispiel, indem sie über die Beziehung "zwischen der weißen und der schwarzen Rasse" nachdenkt, die "in vieler Hinsicht der Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern" ähneln würde. Auch spricht Blixen stets von den "Negern" oder meint, dass die Massai schmutzig seien. Betont aber im nächsten Satz, dass sie die Eingeborenen vom ersten Tag an geliebt hat.
"Es ist ja auch schwierig, wenn man sich diesem Buch nähert und das im Jahr 2010 oder 2012 liest. Mit unserer Sensibilisierung auch aus den letzten 30 Jahren über den kolonialen Blick und die ganzen impliziten Diskriminierungen, die auch in Sprache stecken. Dann trifft man auf einen Text aus den 30er-Jahren und auf ein Leben in den 10er und 20ern in Afrika, und es ist manchmal schwierig, das nachzuvollziehen, die Schichtungen, die da drin stecken.
Und sie benutzt natürlich auch koloniale Strukturen. Und das ist ein ganz übles Gemenge, und man sitzt sozusagen im Falschen. Man sitzt in etwas, das strukturell falsch ist, bemüht sich aber darin besser und gut zu sein. Oder sich den Eingeborenen anders zu nähern, offener, aber es sind eben trotzdem die Eingeborenen. Man steht ja trotzdem außerhalb."
Für Ulrike Draesner liegt darin auch ein großer Gewinn. Denn Blixen versucht nicht, die ethnischen und kulturellen Spannungen "zuzukleistern". Sie baut ein "Mosaik", das aus tausend Splittern besteht, die Schatten und Licht erzeugen und eine brüchige Art der Narration. In der Stimme des weiblichen Erzähler-Ich, die alle Episoden zusammenhält, zeigt sich eine erstaunlich moderne Art des Erzählens.
"Ich nenne das einen Selbstberichts-Roman, das tut an vielen Stellen so als wäre es ein authentischer, sehr direkter, unmittelbarer, also Kamera-Bericht von einem bestimmten Ereignis. Und zoomt dann ganz schnell weg oder wechselt einfach die Perspektive. Schneidet ja auch was Anderes rein.
Man spürt die Heterogenität auch der Quellen, die eingeflossen sind. Für mich wurde das keine runde, abschließbare fiktive Figur, dieses Ich, was sie in einem Roman werden würde, sondern eher wie so ’ne – das gibt es doch manchmal, das ist aus Elfenbein gemacht worden, früher, das sind dann Kugeln aus Elfenbein, also der Zahn genommen und dann eine Kugel ausgehöhlt, und dann so irgendwelche Figuren reingemacht. Ganz filigran: Genau so eine Art von Ich ist das. Und das füllt sich eigentlich nur durch die Imagination des Lesers, wenn er sich dann sozusagen noch den Lebenslauf von Blixen dazu nimmt. Der ihn aber auch als fiktive Geschichte hier und dorthin führt und so ein paar dunkle Stellen lässt."
Die vorliegende Neuausgabe ist eine spannende Lektüre. Sie folgt in der Übersetzung durch Gisela Perlet der dänischen Fassung "Den afrikanske Farm" von 1937. Also der ersten textkritischen und vor allem ungekürzten Ausgabe. Bislang galt als Grundlage für die deutsche Übertragung unter dem Titel "Afrika – Dunkel lockende Welt" die englische Version mit etlichen inhaltlichen wie sprachlichen Abweichungen.
Zudem wird diese Ausgabe von einem Nachwort begleitet, das nicht nur zu einem erweiterten Textverständnis beiträgt. Ulrike Draesners kluger Essay liefert weitaus mehr. Sie schaut Blixen beim Schreiben über die Schulter, sitzt mit im Raum, tastet, riecht, lässt sich treiben. Sie ergründet Blixens Textgewebe, ohne es zu zerreden.
Am Beispiel von Blixens Kuckucksuhr, die wie das dänische Porzellan und die wertvollen Gläser, zum heimischen Inventar der "Emigrantin" in Afrika gehört, vermag Draesner anschaulich zu machen, wie aus einem realen Gegenstand ein narrativer Spiegel wird, in dem sich der fremde Blick der Heimatlosen mehrfach bricht.
"Sie selbst sitzt als exotischer Vogel in dieser afrikanischen Landschaft und zwischen diesen afrikanischen Menschen. Und sie betrachtet diese Menschen. Aber sie wird ja auch angeschaut, zurück angeschaut. Die betrachten auch sie. Und die Kinder tun das vielleicht noch am schamlosesten. Und diese Kinder gucken auf diese weiße Frau, und aber auch auf all das, was sie eben an exotischen Dingen, für sie ist ja sie das Exotische eben, mitgebracht hat.
Und der exotische Vogel sitzt ja auch noch mal in der Uhr. Für die Kinder ist das ja die fremde Welt. Die sind nicht aus Afrika weggereist, aber ein Stück fremde Welt kommt zu ihnen. Dann schnallst da raus, macht noch dieses komische Geräusch, auch kein Vogelgeräusch ihrer Umgebung, und im Schrecken und Entzücken und überwältigt vom Exotismus dieses Dinges laufen sie davon.
Das ist, glaube ich, auch ein Kern des Schreibprozesses: Ich gebe Laut, aber wie mach ich das? Wenn ich dieser seltsame Vogel bin in dieser Landschaft, der auf diese Weise angestarrt wird, und der auch, bei dem, was sie doch greifen möchte, genau diese Reaktionen auslöst. Die starren mich an, die warten auf mich und in dem Moment, wo ich erscheine, sehe ich nur noch die Rücken, die rennen alle weg."
Dass aus dem angestaubten Titel "Afrika – Dunkel lockende Welt" nun eine ganz neue deutsche Version "Jenseits von Afrika" wurde, ist sehr zu begrüßen. Denn Blixen erschreibt sich einen Kontinent, den es so ja nicht gibt. Es ist vielmehr eine literarische Topografie, die eben "jenseits" vom Kontinent Afrika liegt und auf keinem Atlas zu finden ist.
Tania Blixen: "Jenseits von Afrika." Aus dem Dänischen übersetzt von Gisela Perlet.
Nachwort von Ulrike Draesner. Manesse Verlag, Zürich 2012, 688 Seiten, 24,95 Euro.
Während Blixens Vater Wilhelm Dinesen aus dem Gutsherrenadel stammte, selbst literarisch ambitioniert war und als Offizier am Krieg teilnahm, gehörte die Mutter Ingeborg Westenholz dem Kopenhagener Großhandelsstand an. Diese soziale Schwellenexistenz sowie der Selbstmord des Vaters, als Blixen zehn Jahre alt war, bewirkten eine Art innerer Heimatlosigkeit, die ihre Biografie und ihr Schreiben prägt.
"Ich finde die Biografie von ihr, die ist schon sehr geschickt aufgebaut und geheim gehalten. Es gibt immer so Daten, die gestreut sind, wo immer nicht ganz klar ist, was war das jetzt eigentlich. Diese Heirat ist ein unglaublicher, eigentlich geradezu literarischer Akt. Sie heiratet den Zwillingsbruder des Mannes, den sie eigentlich liebt. Also man kann neben ihm im Bett liegen, und man kann glauben, es ist der Eigentliche. Dieser Zwillingsbruder lässt sich aber darauf ein, also er möchte sie schon heiraten. Was für ein Dreieck. Gleichzeitig sind diese Zwillingsbrüder auch noch die Söhne der Cousine ihres Vaters. Man ist auch noch, nicht soweit voneinander entfernt, miteinander verwandt."
In der Tat heiratet Blixen 1914 an ihrer wirklichen Liebe vorbei und tritt mit ihrem Ehemann, dem schwedischen Adligen Bror Blixen, die Flucht nach vorn an: Ihr Ziel ist Britisch Ost-Afrika, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Spielwiese der englischen Aristokratie ist. Die Kolonie – auch "Happy Valley" genannt - entpuppt sich als Domäne des weißen Mannes, wo eine weiße Frau aus dem kleinen Königreich Dänemark eigentlich nichts zu suchen hat.
Zumal diese Randeuropäerin auch noch als Boss eine Kaffeeplantage betreiben will. "Ich hatte eine Farm in Afrika am Fuß des Njong-Gebirges", wird rückblickend jener legendäre Satz aus "Jenseits von Afrika" lauten. Wobei vom Scheitern ihres Afrikatraumes bereits wenige Seiten später zu lesen ist:
"Tatsächlich lag die Gegend für Kaffee etwas zu hoch, und die Bewirtschaftung machte große Mühe."
"Diese Frau lebt ja in einer ganz eigenen Rollenzusammensetzung. Und entwickelt auch einen durchaus kritischen Blick mit auf ihre britische weiße Umgebung. Wenn sie so beschreibt, wie die sich alle immer so zusammenrotten. Wie die in so einer weißen Blase leben. Das tut sie ja nicht. Sie lebt ja in so einer ganz eigenen Blase auf ihrer Farm, umgeben von diesem, kistenweise herbeigeschleppten dänischen Porzellan und einer echten Kuckucksuhr."
Siebzehn Jahre lang lebt Blixen in Afrika, bis ihre Farm in Konkurs geht und sie 1931 mittellos und als kranke Frau – sie war 1914 an Syphilis erkrankt - nach Dänemark zurückkehrt. Ihre Farm verkaufte sie an einen Geschäftsmann aus Nairobi, der das Gebiet der ehemaligen Kaffeeplantage danach urbanisieren ließ. Noch heute ist die Siedlung ein vornehmer Wohnort von Nairobi und nennt sich, in Erinnerung an die extravagante Dänin, "Karen".
1934 veröffentlichte sie unter dem Namen Karen Blixen ihre "Seven Gothic Tales" und fährt zeitgleich fort, die Erinnerungen an ihre Afrikazeit aufzuschreiben. Doch "Jenseits von Afrika" wird kein Buch des Scheiterns. Der Prozess des Schreibens allerdings eine literarische Sensation.
"Es ist ja auch irre, wie dieses Buch entstanden ist. Ich staunte, als ich das las. Da kehrt sie nach Dänemark zurück und beginnt dort ihre Schreibversuche über Afrika ernsthaft fortzusetzen und schreibt erst mal auf Englisch, dann lässt sie sich das von jemandem ins Dänische übersetzen. Das ist ihre Muttersprache, aber nein. Sie braucht dann das fremde Dänisch. Damit arbeitet sie dann weiter. Und baut parallel zwei vollkommen andere Bücher. Für das dänische Publikum das eine und für das englische Publikum das andere.
Und die Dänen, die brauchen offensichtlich aus Blixens Sicht sehr viel mehr so kulturelle Unterfütterung aus dem Literaturschatz und dem Religionsschatz Dänemarks, deswegen bekommen sie eine Menge Zitate in das Buch hinein, das ist aus heutiger Sicht sehr pathetisch und so aufgeschwurbelt."
Der nahezu 700 Seiten umfassende Text gliedert sich in fünf Kapitel, die einen eigenwilligen Zugriff auf das Afrika-Material in Textgestalt und Sprache zeigen. Viel Raum wird den Episoden eingeräumt, die von den Massai und den somalischen Viehhändlern und Kaufleuten handeln. Blixen erinnert die Geschichte vom kranken Kikuyujungen Kamante, der ein merkwürdig "nachdenklicher Mensch" war.
Vielleicht, so schreibt sie, "hatten seine jahrelangen, frühen Leiden eine Neigung in ihm geweckt, die Dinge zu reflektieren". Im Kapitel "Aus dem Tagebuch einer Emigrantin" finden sich einige jener Passagen, mit denen Blixen die Kritiker auf den Plan rief, die von kolonialer Arroganz sprachen. Zum Beispiel, indem sie über die Beziehung "zwischen der weißen und der schwarzen Rasse" nachdenkt, die "in vieler Hinsicht der Beziehung zwischen den beiden Geschlechtern" ähneln würde. Auch spricht Blixen stets von den "Negern" oder meint, dass die Massai schmutzig seien. Betont aber im nächsten Satz, dass sie die Eingeborenen vom ersten Tag an geliebt hat.
"Es ist ja auch schwierig, wenn man sich diesem Buch nähert und das im Jahr 2010 oder 2012 liest. Mit unserer Sensibilisierung auch aus den letzten 30 Jahren über den kolonialen Blick und die ganzen impliziten Diskriminierungen, die auch in Sprache stecken. Dann trifft man auf einen Text aus den 30er-Jahren und auf ein Leben in den 10er und 20ern in Afrika, und es ist manchmal schwierig, das nachzuvollziehen, die Schichtungen, die da drin stecken.
Und sie benutzt natürlich auch koloniale Strukturen. Und das ist ein ganz übles Gemenge, und man sitzt sozusagen im Falschen. Man sitzt in etwas, das strukturell falsch ist, bemüht sich aber darin besser und gut zu sein. Oder sich den Eingeborenen anders zu nähern, offener, aber es sind eben trotzdem die Eingeborenen. Man steht ja trotzdem außerhalb."
Für Ulrike Draesner liegt darin auch ein großer Gewinn. Denn Blixen versucht nicht, die ethnischen und kulturellen Spannungen "zuzukleistern". Sie baut ein "Mosaik", das aus tausend Splittern besteht, die Schatten und Licht erzeugen und eine brüchige Art der Narration. In der Stimme des weiblichen Erzähler-Ich, die alle Episoden zusammenhält, zeigt sich eine erstaunlich moderne Art des Erzählens.
"Ich nenne das einen Selbstberichts-Roman, das tut an vielen Stellen so als wäre es ein authentischer, sehr direkter, unmittelbarer, also Kamera-Bericht von einem bestimmten Ereignis. Und zoomt dann ganz schnell weg oder wechselt einfach die Perspektive. Schneidet ja auch was Anderes rein.
Man spürt die Heterogenität auch der Quellen, die eingeflossen sind. Für mich wurde das keine runde, abschließbare fiktive Figur, dieses Ich, was sie in einem Roman werden würde, sondern eher wie so ’ne – das gibt es doch manchmal, das ist aus Elfenbein gemacht worden, früher, das sind dann Kugeln aus Elfenbein, also der Zahn genommen und dann eine Kugel ausgehöhlt, und dann so irgendwelche Figuren reingemacht. Ganz filigran: Genau so eine Art von Ich ist das. Und das füllt sich eigentlich nur durch die Imagination des Lesers, wenn er sich dann sozusagen noch den Lebenslauf von Blixen dazu nimmt. Der ihn aber auch als fiktive Geschichte hier und dorthin führt und so ein paar dunkle Stellen lässt."
Die vorliegende Neuausgabe ist eine spannende Lektüre. Sie folgt in der Übersetzung durch Gisela Perlet der dänischen Fassung "Den afrikanske Farm" von 1937. Also der ersten textkritischen und vor allem ungekürzten Ausgabe. Bislang galt als Grundlage für die deutsche Übertragung unter dem Titel "Afrika – Dunkel lockende Welt" die englische Version mit etlichen inhaltlichen wie sprachlichen Abweichungen.
Zudem wird diese Ausgabe von einem Nachwort begleitet, das nicht nur zu einem erweiterten Textverständnis beiträgt. Ulrike Draesners kluger Essay liefert weitaus mehr. Sie schaut Blixen beim Schreiben über die Schulter, sitzt mit im Raum, tastet, riecht, lässt sich treiben. Sie ergründet Blixens Textgewebe, ohne es zu zerreden.
Am Beispiel von Blixens Kuckucksuhr, die wie das dänische Porzellan und die wertvollen Gläser, zum heimischen Inventar der "Emigrantin" in Afrika gehört, vermag Draesner anschaulich zu machen, wie aus einem realen Gegenstand ein narrativer Spiegel wird, in dem sich der fremde Blick der Heimatlosen mehrfach bricht.
"Sie selbst sitzt als exotischer Vogel in dieser afrikanischen Landschaft und zwischen diesen afrikanischen Menschen. Und sie betrachtet diese Menschen. Aber sie wird ja auch angeschaut, zurück angeschaut. Die betrachten auch sie. Und die Kinder tun das vielleicht noch am schamlosesten. Und diese Kinder gucken auf diese weiße Frau, und aber auch auf all das, was sie eben an exotischen Dingen, für sie ist ja sie das Exotische eben, mitgebracht hat.
Und der exotische Vogel sitzt ja auch noch mal in der Uhr. Für die Kinder ist das ja die fremde Welt. Die sind nicht aus Afrika weggereist, aber ein Stück fremde Welt kommt zu ihnen. Dann schnallst da raus, macht noch dieses komische Geräusch, auch kein Vogelgeräusch ihrer Umgebung, und im Schrecken und Entzücken und überwältigt vom Exotismus dieses Dinges laufen sie davon.
Das ist, glaube ich, auch ein Kern des Schreibprozesses: Ich gebe Laut, aber wie mach ich das? Wenn ich dieser seltsame Vogel bin in dieser Landschaft, der auf diese Weise angestarrt wird, und der auch, bei dem, was sie doch greifen möchte, genau diese Reaktionen auslöst. Die starren mich an, die warten auf mich und in dem Moment, wo ich erscheine, sehe ich nur noch die Rücken, die rennen alle weg."
Dass aus dem angestaubten Titel "Afrika – Dunkel lockende Welt" nun eine ganz neue deutsche Version "Jenseits von Afrika" wurde, ist sehr zu begrüßen. Denn Blixen erschreibt sich einen Kontinent, den es so ja nicht gibt. Es ist vielmehr eine literarische Topografie, die eben "jenseits" vom Kontinent Afrika liegt und auf keinem Atlas zu finden ist.
Tania Blixen: "Jenseits von Afrika." Aus dem Dänischen übersetzt von Gisela Perlet.
Nachwort von Ulrike Draesner. Manesse Verlag, Zürich 2012, 688 Seiten, 24,95 Euro.