Macron teilte am Abend in Paris mit, er könne angesichts des Wahlausgangs nicht so tun, als sei nichts geschehen. Er habe die französische Nationalversammlung aufgelöst. Nach Gesprächen mit dem Kabinett äußerte sich Macron heute früh erneut. Er schrieb auf X: "Ich vertraue auf die Fähigkeit des französischen Volkes, die richtige Wahl für sich selbst und für künftige Generationen zu treffen. Mein einziges Bestreben ist es, unserem Land, das ich so sehr liebe, nützlich zu sein."
DLF-Frankreich Korrespondentin Christiane Kaess nannte Macrons Vorhaben eine riskante Strategie. Er setze auf "alles oder nichts" und versuche einen Befreiungsschlag. (Audio-Link)
In Frankreich haben die Rechtspopulisten die Europawahl klar gewonnen. Die rechtsnationale Partei Rassemblement National erreichte über 32 Prozent. Das ist mehr als doppelt so viel wie das Bündnis Renaissance um Macron, das auf knapp 15 Prozent kam. Es liegt damit nur knapp vor den Sozialisten. Die Vorsitzende des Rassemblement National, Le Pen, begrüßte die Entscheidung Macrons. Sie sagte, man sei bereit, Regierungsverantwortung auszuüben. Die rechtsextreme Partei Reconquête mit Le Pens Nichte Maréchal als Spitzenkandidatin zeigte sich bereits offen für eine Koalition.
Macron ohne eigene Mehrheit im Parlament
Seit knapp zwei Jahren hat Macrons Regierungsbündnis in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr. Das Regieren gestaltete sich seitdem schwierig. In Frankreichs jüngerer Geschichte war die Nationalversammlung bisher fünfmal aufgelöst worden. Macrons Schritt ist nun die erste Auflösung der Parlamentskammer in mehr als 25 Jahren.
Konservative lehnen Koalition ab
Wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf das Umfeld des Präsidenten meldet, will Macrons Bündnis nach der Wahl möglicherweise mit neuen Partnern kooperieren. Von den konservativen Républicains kam am Abend jedoch bereits eine klare Absage für eine mögliche Zusammenarbeit mit Macron.
Der Sozialist Glucksmann warf Macron vor, politischen Poker zu spielen, der den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht werde. Die französische Linken-Politikerin Aubry rief zur Geschlossenheit auf. Sie forderte, Umweltschützer, Kommunisten und Sozialisten auf, eine strategische Verbindung einzugehen, wie die Zeitung Le Monde berichtet.
Erneut Kohabitation in Frankreich?
Sollte Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National die Mehrheit im Parlament erlangen, müsste Macron jemanden aus ihren Reihen zum Ministerpräsidenten oder zur Ministerpräsidentin ernennen. Dieser bestimmt dann die Ressortkollegen. Eine so genannte "Kohabitation" wäre die Folge, bei der der Präsident und der Regierungschef unterschiedlichen Parteien angehören.
In dieser Konstellation behält der Präsident als Oberbefehlshaber die Führungsrolle in der Verteidigung und in der Außenpolitik. Aber er würde die Befugnis verlieren, die Innenpolitik zu bestimmen. Dies geschah zuletzt 1997, als der Mitte-Rechts-Präsident Jacques Chirac das Parlament auflöste. Er glaubte, eine stärkere Mehrheit erlangen zu können, verlor aber gegen eine von der sozialistischen Partei angeführte Linkskoalition. Seit 1958 gab es in Frankreich insgesamt drei Kohabitationsperioden.
Folgen für die französische Innenpolitik
Eine Kohabitation zwischen einem überzeugten Europa-Befürworter wie Macron und einer EU-skeptischen, nationalistischen Partei wie dem Rassemblement National wäre Neuland. Im Wahlprogramm für 2022 hatte sich Le Pen Partei unter anderem dafür ausgesprochen, den Zugang zu Sozialwohnungen für französische Staatsangehörige zu fördern, Asylanträge außerhalb Frankreichs zu bearbeiten und die Erbschaftssteuer für Familien der Mittelschicht und mit geringem Einkommen abzuschaffen.
Diese Nachricht wurde am 10.06.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.