Ralf Krauter: Einer der Forscher, der live im Kontrollzentrum dabei ist, an der Johns-Hopkins-Universität in Maryland, Dr. Martin Pätzold von der Uni Köln. Ich habe ihn vor ungefähr einer Stunde gefragt, wie er letzte Nacht geschlafen hat.
Martin Pätzold: Ich habe eigentlich in den letzten 48 Stunden wenig geschlafen, und dementsprechend fertig bin ich jetzt. Wir haben das letzte Bild vor dem Vorbeiflug gestern Morgen um sechs Uhr gesehen, hier unserer Zeit. Das war fantastisch, dieses Bild. Alle Kollegen sind aufgesprungen und haben gejubelt und gejohlt und geschrien, haben sich benommen wie kleine Kinder. Dieses Bild zeigt bereits große Details - Einschlagkrater, Gräben, Eisflächen -, und wir waren da noch eine Million Kilometer von Pluto entfernt. Danach hat die Raumsonde eine automatische Sequenz begonnen für mehr als 24 Stunden, und es bestand keine Verbindung, alles passierte automatisch: das Fotografieren der Oberflächen von Pluto und Charon und der anderen Monde, die Spektrometeraufnahmen ...
Krauter: Und dann gab's das spannende Ereignis heute Nacht unserer Zeit gegen drei Uhr, das erste Funksignal von der Sonde wieder.
Pätzold: Ja, genau. Das war das Ende dieser automatischen Sequenz, die Raumsonde hat sich gedreht und hat die Antenne zur Erde gezeigt und hat gesagt, so wie E.T.: Nach Hause telefonieren! Und das war so jetzt der Beginn des Runterladens der Daten, die die Raumsonde gesammelt hat. Der Datenspeicher ist voll, und natürlich kommen jetzt zuerst Datensätze herunter, die eine gewisse Priorität haben. Darunter fällt also auch das Bild vom nahen Vorbeiflug und einige wichtige Spektrometerdaten. Und dieses Bild, was jetzt eigentlich vielleicht schon unten ist und von den Kollegen prozessiert wird, wird in der Auflösung zehnmal besser sein als das Bild, was Sie zurzeit überall in der Presse sehen. Da werden dann richtig Details zu sehen sein.
Krauter: Das heißt, Datentransfer und die Datenanalyse laufen gerade. Gibt's trotzdem heute schon was, was Sie jetzt über Pluto wissen, das Sie gestern oder vorgestern noch nicht wussten?
Pätzold: Die ganze Woche wurde spekuliert über die Größe von Pluto und Charon. Aus den Fotografien wurde das abgeleitet, und man ist sich jetzt eigentlich ziemlich sicher, dass Pluto größer ist, als man gedacht hat. Der Durchmesser ist wahrscheinlich 40 Kilometer größer, als man bisher gedacht hat, und das ist psychologisch für das Team wichtig.
Der Start der Raumsonde war 2006, und das Team, das startete zum neunten Planeten. Kein Jahr später wurde Pluto zu einem Zwergplaneten quasi degradiert. Das hat das Team also kalt erwischt - die sehen in Pluto immer noch den Planeten. Und jetzt wissen wir, Pluto ist 40 Kilometer größer und damit größer als das Objekt Eris, wo man bei der Entdeckung gedacht hatte, Eris ist größer als Pluto und das die ganze Diskussion über Planeten und Zwergplaneten eigentlich in Gang gebracht hat.
Also hier ist jeder superglücklich, die Moral ist hoch, Pluto ist der größte Vertreter aller dieser Planetoiden im äußeren Kuiper-Belt-Gürtel, und das war hier eigentlich ein richtiger Boost für die Moral.
Krauter: Sie sind ja auch beteiligt an einem Experiment, das auf der Raumsonde mitfliegt, der Name ist REX, da wird mit Radiowellen die Atmosphäre von Pluto und von dem Mond analysiert. Wissen Sie jetzt schon, ob das wie geplant funktioniert hat?
Pätzold: Wir wissen dadurch, dass das Radiosignal um 21 Uhr unserer Zeit hier pünktlich kam, dass wohl die automatische Sequenz funktioniert hat und durchgelaufen ist. Ob das so ist, wird man auch erst mit den Housekeeping-Daten erfahren heute, aber wir gehen davon aus, dadurch, dass die Bodenstation pünktlich ihr Radiosignal gefunkt hat, dass dieses Experiment auch funktioniert hat.
Krauter: Wie geht's jetzt weiter für Ihre Arbeit ganz konkret, wissen Sie schon, wann Sie die Daten bekommen, auf die Sie warten?
Pätzold: Wahrscheinlich werden wir schon früh - heute oder morgen - eine dieser Atmosphärensondierungen bekommen und die anderen Daten wohl im Laufe der nächsten Wochen und Monate. Für die Massenbestimmung bekommen wir die Daten sofort, weil die am Boden gemessen werden mit den großen NASA-Antennen, da werden wir aber wahrscheinlich noch 14 Tage durchmessen müssen, bis wir da was sagen können.
Krauter: Sie haben, Herr Pätzold, ja schon an mehreren Weltraummissionen mitgearbeitet, unter anderem waren Sie auch bei der ESA-Mission "Mars Express" zum Roten Planeten beteiligt. Wie bewerten Sie die Bedeutung von New Horizons? Ist diese Pluto-Mission wirklich so aufregend, wie uns die NASA Glauben macht, oder verkaufen die das einfach nur gut?
Pätzold: Oh nein, das ist ein wichtiger historischer Meilenstein, den wir hier haben. Wir haben jetzt von den klassischen neun Planeten - nennen wir ihn noch mal Planet - den letzten noch unbekannten Planeten mit einer Raumsonde besucht. Wir haben ein Labor vor Ort gebracht und studieren den Planeten aus ganz naher Entfernung und seine unmittelbare Umgebung. In einem Teleskop ist Pluto praktisch nur als mehrere Pixel zu sehen, aber hier haben wir jetzt ein Labor vor Ort und können richtig detaillierte Studien betreiben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Erforschung, für die Exploration des Sonnensystems.
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