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New Space
Goldrausch und Luftschlösser im Weltraum

"New Space" - das klingt nach "New Economy" und dem ganz großen Geschäft. Doch wo genau liegt dieser "neue Weltraum"? Wirklich auf fernen Planeten - oder doch eher in der Umlaufbahn, wo Kleinsatelliten demnächst das Internet neu erfinden werden?

Von Dirk Lorenzen |
    Satellit im Weltraum über der Erde.
    Satellit im Weltraum über der Erde: Wie bekommt die Branche die Satelliten günstig und umweltfreundlich ins All? (imago)
    In der Wüste von Nevada wird der Weltraumflug für Touristen geprobt, ganz Eifrige träumen schon von der Besiedlung des Mars. Fast schon bodenständig wirkt dagegen ein anderes Projekt: Ab Mitte der 2020er-Jahre sollen Konstellationen von Hunderten oder gar Tausenden von Satelliten die Erde umspannen und per Funk jeden Punkt auf unserem Planeten mit Internet versorgen. Kreisen bisher rund 1000 funktionstüchtige Trabanten im Orbit, so könnte sich diese Zahl in den nächsten Jahren vervielfachen. Dafür gehen Satelliten in Serie – ähnlich wie Flugzeuge.
    Bei der Raketentechnik kommen die Raumfahrer dagegen kaum voran. Zwar lassen sich Raketenstufen neuerdings wiederverwerten. Doch der große Durchbruch, um die aktuellen Kosten für einen Start auf ein Hundertstel oder mehr zu senken, ist nicht in Sicht. Auch die Gurus unter den Weltraumfahrern wie Elon Musk oder Richard Branson ahnen es: Am Ende könnte "New Space" mehr mit der Erde zu tun haben, als der Name verheißt.
    Die Langzeitfotografie zeigt Start, Rückkehr und glückliche Landung der Trägerrakete "Falcon 9" in Cape Canaveral in Florida am 21. Dezember 2015. Zwei frühere Landeversuche waren gescheitert.
    Die Langzeitfotografie zeigt Start, Rückkehr und glückliche Landung der Trägerrakete "Falcon 9" in Cape Canaveral in Florida am 21. Dezember 2015. Zwei frühere Landeversuche waren gescheitert. (picture alliance / dpa / SpaceX)

    Montag, 21. Dezember 2015, 20 Uhr 29 Ortszeit in Cape Canaveral: Eine Rakete stemmt sich in den Nachthimmel über Florida. Allmählich verblasst der helle Schein der Triebwerke in der Dunkelheit.
    Wenige Minuten später scheint das Geschehen rückwärts abzulaufen – am Himmel taucht ein Lichtschein auf, der schnell immer heller wird. Auf einem Feuerstrahl reitend kehrt die erste Stufe der Rakete zum Startplatz zurück.
    Als die Raketenstufe wieder auf dem Boden steht, kennt der Jubel der SpaceX-Verantwortlichen keine Grenzen.
    Der Falke ist gelandet, vermeldet der Startkommentator – und spielt auf das legendäre "The Eagle has landed" vom Mond an. In der Tat ist auch dieser Abend kurz vor Weihnachten 2015 einer für die Raumfahrtgeschichtsbücher: Zum ersten Mal ist mit der Falcon 9 eine Stufe einer Weltraumrakete heil zur Erde zurückgekehrt. 60 Jahre lang waren Raketen Wegwerfartikel – nun sollen zumindest große Teile mehrfach zum Einsatz kommen.
    Gründer und Chef von SpaceX ist Elon Musk. Von den Erfolgen beflügelt, gab er auf dem Internationalen Raumfahrtkongress im Herbst 2016 ein großes Ziel vor.
    Wir könnten noch zu unseren Lebzeiten zum Planeten Mars reisen, beschwor er das Publikum, das gebannt an seinen Lippen hing: Die Menschheit stehe am Scheideweg.
    "Die eine Möglichkeit ist: Wir bleiben für immer auf der Erde. Dann kommt irgendwann eine Katastrophe und löscht uns aus. (…) Die Alternative ist, eine Weltraum-reisende Zivilisation und multiplanetare Spezies zu werden. Ich hoffe, ihr stimmt mir zu – das ist der richtige Weg."
    Um die Jahrtausendwende ist Elon Musk durch die Entwicklung eines Online-Bezahlsystems reich geworden. Mit dem Geld hat er SpaceX gegründet. Nach anfänglichen Misserfolgen geht es mit seinen Weltraumgeschäften inzwischen steil nach oben. Vielen gilt Musk als eine Mischung aus Guru und Wernher von Braun, Vordenker und Heilsbringer des "New Space". Doch was genau der "neue Weltraum" ist, weiß so recht niemand: eine Floskel, die modern klingt – mehr ein Gefühl, ein Schemen als eine klar definierbare Größe.
    Die drei Gallionsfiguren des "New Space"
    Dass der "New Space" in aller Munde ist, hat sicher auch damit zu tun, dass drei durchaus schillernde Persönlichkeiten die Raumfahrt auf den Kopf stellen wollen:
    Eben Elon Musk, ehemals Paypal, jetzt SpaceX – twittert kräftig für neue Raketen, das Internet aus dem All und die Marskolonie.
    Richard Branson, vom Flugunternehmen Virgin – setzt jetzt mit Virgin Galactic auf Minutentrips an den Rand des Alls.
    Jeff Bezos, einer der Inhaber von Amazon – arbeitet mit seiner Firma Blue Origin irgendwie am Zugang zum All und hat auch schon eine Raketenstufe landen lassen.
    Auch für erfolgsverwöhnte Unternehmer wachsen die Raumfahrtbäume nicht automatisch in den Himmel. Elon Musk lässt bei SpaceX Raketenstufen mehrfach fliegen, was unbestritten eine eindrucksvolle technische Leistung ist. Doch der Nutzen ist begrenzt. Für den großen Durchbruch bräuchte es ganz andere Erfolge.
    Andreas Lindenthal: "Wobei natürlich gerade die Raketentechnik so ihre Grenzen hat."
    Andreas Lindenthal, gelernter Ingenieur, leitet beim Bremer Raumfahrtunternehmen OHB das operative Geschäft. Die Falcon-Raketen des Elon Musk sind im Prinzip nichts anderes als die Sputnik- und Apollo-Raketen – sie verbrennen große Mengen chemischen Treibstoff, um von der Erdoberfläche in die Umlaufbahn zu kommen.
    "Ich persönlich würde mich extrem freuen, wenn es mal elektrische Triebwerke für Trägersysteme gibt. Wird es aber nicht geben, weil da nun einmal die Physik dagegen spricht. Was Elon Musk mit Falcon 9 Reusable macht, wird schon als New Space erachtet, weil er natürlich die Preise, die in der Branche gezahlt werden, unter Druck gebracht hat. Aber nicht um Faktoren, sondern um Prozente. Da reden wir um 20 Prozent, 25 Prozent günstigere Preise als die Wettbewerber. Selbst das wird schon als große Herausforderung und sehr innovativ erachtet."
    Elon Musk, Chef von Tesla und SpaceX, bei einem Raumfahrt-Kongress in Guadalajara (Mexiko) im September 2016
    Elon Musk, Chef von Tesla und SpaceX, bei einem Raumfahrt-Kongress in Guadalajara (Mexiko) im September 2016 (dpa / picture alliance / EFE / Ulises Ruiz Basurto)
    Elon Musk setzt traditionellen Raumfahrtunternehmen wie Boeing oder Airbus durchaus zu. Doch die reagieren und planen künftige Projekte, etwa Europas neue Ariane-6-Rakete, erheblich günstiger als das Vorgängermodell. Umgekehrt verdient SpaceX sein Geld noch lange nicht mit Marsflügen – sondern vor allem dank milliardenschwerer NASA-Verträge, um die Internationale Raumstation zu versorgen.
    Richard Branson war einst der Topstar der reichen Wilden: Mit einer Weiterentwicklung des SpaceShipOne, das den X-Prize gewonnen hatte, ausgesetzt für ein Gefährt, das binnen zwei Wochen zweimal die Grenze zum Weltraum erreicht, will er in den Weltraumtourismus einsteigen. Doch 13 Jahre später lassen die kommerziellen Flüge an den Rand des Alls noch immer auf sich warten. Während also bei den New-Space-Galionsfiguren Wunsch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen, freut sich die Branche, dass die neue Konkurrenz für etwas Durchzug sorgt.
    Andreas Lindenthal: "Es ist eine Entwicklung, die ganz reizvoll ist. Für uns als Raumfahrtindustrie ist das ganz hervorragend, weil das einen Stimulus gibt, was auch auf die konventionelle Raumfahrt positive Wirkung hat."
    Die Schwerkraft kennt keinen Rabatt
    Raketen mögen das faszinierendste Element der Raumfahrt sein. Binnen weniger Minuten katapultieren sie Satelliten und Raumschiffe ins All. Doch die Technik ist schwierig – und eine scheinbar unverbrüchliche Erfahrung gilt hier nicht. Die Firmenbosse sind es gewohnt, dass alles billiger wird, wenn man es nur immer und immer wieder tut. Doch es gibt eine Ausnahme: Die Schwerkraft. Sie kennt keinen Rabatt. Der 1000. Flug ins All braucht genauso viel Energie wie der erste. Vielleicht haben sich die neuen Weltraumunternehmer vom Feuerschein der Raketen blenden lassen. Denn das Geschäft mit dem All läuft woanders, und das ausgerechnet im IT-Bereich, in dem Elon Musk einst zu Hause war.
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    Berlin, Kurfürstendamm 22. Kranzler-Eck. Die Adresse klingt nach Schwarzwälder-Kirsch und Sahnebaiser in plüschigem Ambiente – doch im zehnten Stock des futuristisch kantigen Glas-und-Stahl-Gebäudes residiert eine beeindruckende Raumfahrtfirma: Planet. Chef ist der Amerikaner Robbie Schingler – und der Name Planet ist Programm:
    "Wir betreiben von Berlin aus die größte Satellitenflotte, die es bisher in der Raumfahrt gegeben hat. Wir haben derzeit rund 150 Satelliten im Einsatz. Mit ihnen scannen wir täglich unsere Erde – und machen einmal am Tag ein Bild der ganzen Welt."
    Planet erstellt jeden Tag ein Bild der gesamten Landoberfläche der Erde – mit einer Auflösung von drei Metern. Riesige Datenmengen und über hundert Satelliten. Was noch vor wenigen Jahren ein Megaprojekt der Raumfahrt gewesen wäre, kommt jetzt geradezu provozierend bescheiden daher. Das "Kontrollzentrum" ist ein schmaler Büroraum, fünf Meter lang, zwei Meter breit.
    Dies sei ein moderner Kontrollraum, was nichts anderes heiße, als dass alles über das Internet gesteuert werde, erklärt Jesse Eyer fast entschuldigend. Immerhin kann der Raumfahrtingenieur bei Planet doch noch ein paar Monitore zeigen:
    "Auf dem ersten Bildschirm sind die Bahnen der gesamten Konstellation zu sehen, auf dem links daneben der aktuelle Zustand der Satelliten. Über die anderen Computer läuft der Kontakt zur Bodenstation in Spitzbergen. Zweimal am Tag schicken wir Befehle zur den einzelnen Satelliten. Den Rest erledigen sie vollautomatisch."
    "Wir liefern jeden Tag ein genaues Update der Erde"
    Die meisten Satelliten von Planet heißen "doves", Tauben. Das passt: Denn sie fliegen als Schwarm um die Erde und die Größe kommt auch ungefähr hin. Es sind Satelliten in Schuhkartongröße. Planets Tauben sind sehr einfach konstruiert: eine Kamera, ein Funksystem und Solarzellen für die Stromgewinnung. Die Minisatelliten fliegen sehr günstig als Trittbrettfahrer ins All – wenn ein traditioneller großer Satellit gestartet wird, in der Rakete aber noch Platz ist. Zehn Jahre lang hat Robbie Schingler bei der NASA gelernt. Was ihn heute interessiert, ist nicht der Weg ins All, sondern das Arbeiten im All:
    "Unsere Daten zeigen uns genau, was auf dem Planeten passiert. Wir sehen wie sich Felder entwickeln, wie viele Schiffe im Hafen sind, wo Container stehen, ob Parkplätze voll sind und so weiter. Wir liefern jeden Tag ein genaues und zuverlässiges Update der Erde – und können in einigen Jahren auch langfristige Entwicklungen erkennen. Diese Daten werden von Unternehmen genutzt, von Versicherungen, von staatlichen Stellen, für Forschungszwecke und so weiter. Der kommerzielle Nutzen wird immer interessanter und wir freuen uns, wenn künftig pfiffige Unternehmer unsere Datenmengen für Dienste nutzen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können."
    Agrarunternehmen greifen täglich auf die Planet-Daten zu, um den Zustand ihrer Anbauflächen zu kontrollieren und den Bedarf von Dünger und Bewässerung abzuschätzen. Versicherungen kaufen die Bilder, um einen Überblick über Schäden zu bekommen. Das Geschäft mit dem All brummt bereits – und der Standort des Unternehmens ist kein Zufall.
    "Ich bin nach Europa gezogen, weil ich meine, dass sich hier die wichtigen Entwicklungen abspielen. Die Europäische Kommission investiert Milliarden von Euros in ihr Erdbeobachtungsprogramm Copernicus. Dessen Sentinel-Satelliten sind phänomenal – und die Daten sind für alle frei verfügbar. Da wächst ein ganz neuer Wirtschaftszweig. EU-Programme mögen ihre Zeit brauchen, aber sie entwickeln eine ungeheure Dynamik. Zahllose Unternehmen sprießen aus der Erde, die die Daten und Informationen nutzen. Das geht jetzt richtig los."
    Europäische Kommission statt SpaceX, Erde statt Mars. Robbie Schingler ist von seinem Planeten so begeistert, dass er das erste Bild seines ersten Satelliten zum Hintergrundbild auf dem Smart-Phones gemacht hat. Natürlich will er Geld verdienen. Aber er sagt auch, es gehe ihm um mehr:
    "Wir müssen endlich schaffen, symbiotisch mit diesem Planeten zu leben. Dazu möchte ich beitragen. Andere Leute meinen, wir müssten zur multiplanetaren Spezies werden, um zu überleben. Das ist vielleicht ein guter Plan B, aber Plan A ist, dies hier zu tun."
    Der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop
    Der Planet Mars, aufgenommen mit dem Hubble-Teleskop (NASA/ESA)
    Ein kleiner Seitenhieb auf jene, die die Menschheit zum Mars oder sonst wohin schicken wollen. Raumfahrt als Selbstzweck hat bisher keinen Markt. Nur staatliche Agenturen schicken Menschen auf die Raumstation oder zum Mond – aber bei derzeit Hunderten Millionen Euro Reisekosten müsste sich Dramatisches tun, bis Raumflüge nicht nur für ein paar Superreiche bezahlbar wären. Das dämmert inzwischen auch SpaceX. Das Unternehmen setzt auf eine neue Geschäftsidee, die viele Satelliten mit vielen Raketenstarts vereint:
    Für das Internet aus der Umlaufbahn planen SpaceX und Google den Start von mehr als 4000 Satelliten.
    Auch Boeing will mitverdienen: Mehr als 1300 Satelliten sollen per Funk Internetverbindungen an jedem Punkt der Erde ermöglichen.
    Weniger bekannt als die beiden Mitbewerber – dafür aber im Rennen klar in Führung: OneWeb. Das "eine Netz" braucht mindestens 700 Satelliten. Deren Bau steht unmittelbar bevor.
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    Ein Industriegebiet im Südosten der französischen Stadt Toulouse: Auf dem weitläufigen Werksgelände von Airbus Defence and Space verteilen sich Bürogebäude und Konstruktionshallen. Ein Dutzend großer Satellitenschüsseln lauscht in den Himmel. Hier werden Forschungssatelliten und Raumsonden gebaut, Instrumente getestet und Daten aus dem All empfangen. Airbus, eines der größten Raumfahrtunternehmen der Welt, gehört zum klassischen "Old Space". Doch in einem der großen Gebäude befindet sich ein Reinraum, wie es ihn bisher nur einmal auf der Welt gibt – wer hinein will, muss Schutzkittel, Haarhaube und Überschuhe anziehen.
    Brian Holz: "Wir sind hier in der Fabrikhalle der Airbus OneWeb-Satelliten. Hier entsteht die erste Produktionsstraße für die Herstellung von Satelliten."
    In der langgestreckten Halle stehen fünf Fabrikationsstände, jeder eingerahmt von einem Gerüst aus dicken weißen Stahlträgern. Sie erinnern ein wenig an das Gerippe von Partyzelten, nur ohne Plane. Werkbänke, Computerbildschirme und Roboterarme. Kabel sind nicht zu sehen, hier und da blinken Warnlampen, überall wachen Kameras. Die ganze Anlage wirkt wie eine Mischung aus Operationssaal, minimalistischer Theaterkulisse und Maschinenraum eines Science-Fiction-Raumschiffes. Bisher läuft hier nur die Lüftung: Die Satellitenproduktion beginnt erst in einigen Wochen.
    "Der OneWeb-Satellit besteht aus Modulen. Jedes wird an einem Stand automatisch zusammengefügt. Hier integrieren wir drei Konsolen, die die Antennen und alle Verstärker enthalten. Danach kommen sie in eine Testkammer, um die Elektronik zu überprüfen."
    Brian Holz ist Vorstandschef bei OneWeb. Ingenieur, Jahrgang 1964. Jetzt steht er mit leicht ergrautem Bart und Schutzkittel über Jeans und T-Shirt in seiner futuristischen Satellitenhalle – und strahlt die Gewissheit aus, dass ihm auch dieser Streich gelingen wird.
    "2007 habe ich den Gründer von OneWeb getroffen und er hat mein Leben ganz schön umgekrempelt: Statt eines netten Jobs in einer traditionellen Raumfahrtfirma habe ich jetzt so was wie "Hey - lasst uns die Welt verändern!" – vor allem wie sie kommuniziert. Wir haben in einem kleinen Unternehmen einige Kommunikationssatelliten entwickelt und das alles später an eine große Firma verkauft. Dann hat mich Greg Wyler erneut angeheuert. Dieses Mal wollen wir weltweit zwei Millionen Schulen ans Internet anschließen, vor allem in Ländern der zweiten und dritten Welt."
    Ein die Erde umspannendes Satellitennetz wird Wirklichkeit
    Greg Wyler hat etliche Jahre in Afrika gearbeitet, etwa in Ruanda, um ländliche Gebiete ans Netz anzuschließen. Dabei wurde ihm klar, dass ein die Erde umspannendes Satellitennetz viel schneller ans Ziel führt, als mühsam überall Kabel zu verlegen oder Funkmasten aufzustellen. Aus der Vision wird nun Wirklichkeit – in spätestens zehn Jahren soll die OneWeb-Konstellation die Erde einhüllen. Himmlischen Perlschnüren gleich ziehen die Satelliten dann ihre Bahnen in 1200 Kilometern Höhe. Jeder Ort liegt zu jeder Zeit im Blickfeld einiger OneWeb-Satelliten. Sie versenden Bilder und E-Mails, posten Tweets, streamen Filme. In ein Bergdorf in Nepal ebenso wie in eine Hütte irgendwo im Regenwald des Kongo.
    Tom Enders: "Nein, ich habe nicht gedacht, das ist verrückt. Aber ich habe schon gedacht: das ist sehr ambitioniert."
    Hunderte von Satelliten, die zu einer Konstellation gehören: Klassischen Raumfahrern wird bei dieser Vorstellung schwindelig. Doch OneWeb hat mit Airbus einen erfahrenen Partner gefunden – und Airbus-Boss Tom Enders war von Greg Wylers Idee schnell zu überzeugen.
    "Verrückt deshalb nicht, weil wir von unserem Zivilflugzeuggeschäft gewöhnt sind, hunderte großer Flugzeuge im Jahr auszuliefern. Warum dann nicht auch Satelliten? Aber in der Raumfahrt-Community, in unserm Satellitenbau, haben wir, wenn es hoch kommt, im Jahr 10 bis 15 Satelliten und nicht hunderte. Das erforderte ein völlig neues Denken unserer Entwicklungs- und Fertigungsmannschaften, weil das ist nun wirklich Transformation live."
    Dieser Übergang von der Satelliten-Manufaktur, in der de facto Einzelstücke hergestellt werden, zur Serienfertigung soll noch im Spätsommer beginnen. Dann entstehen in Toulouse die beiden OneWeb-Qualifikationsmodelle. Zeigt sich, dass die Satelliten halten, was die Firmenchefs versprechen, läuft die Herstellung im großen Stil an.
    "Jede Produktionsstraße stellt innerhalb einer Acht-Stunden-Schicht einen Satelliten her. Mit dieser hier in Toulouse und den beiden, die wir in einem Werk in Florida bauen, können wir also problemlos drei Satelliten pro Tag zusammenbauen. Brauchen wir mehr, legen wir Extra-Schichten ein. Wir haben die Einzelteile stets für rund zwei Monate Produktion auf Lager. Wenn nötig, können wir die Herstellung also jederzeit hochfahren."
    Das wirklich Neue an dieser Form des "New Space" ist die Herangehensweise: Es war klar, dass binnen weniger Jahre Hunderte von Satelliten gebraucht werden, sagt Brian Holz:
    "Wir haben Leute aus der Flugzeugindustrie, vom Automobilbau und Fabriken für kommerzielle elektronische Geräte dazugeholt. Sie haben uns geholfen, unsere Satelliten und den Herstellungsprozess so zu gestalten, dass Schnelligkeit und Zuverlässigkeit Teil der Konzeption wird, was typischerweise bei Raumfahrzeugen nicht gemacht wird."
    In nur zwei Jahren wurden Satelliten entwickelt, Testverfahren ersonnen und der Produktionsprozess optimiert. Das alles gleichzeitig und nicht klassisch nacheinander, was wohl fast ein Jahrzehnt gedauert hätte.
    "An dieser Station bewegt ein robotischer Kran ein Antennenteil zur Satellitenstruktur. Ein Mensch verschraubt die beiden miteinander. Allerdings kommen automatische Drehmomentschlüssel zum Einsatz. Pro Satellit werden 6000 mal Schrauben festgezogen. Typischerweise manuell. Aber dann ist die Qualitätskontrolle sehr aufwendig. Wir erfassen bei der Herstellung genau, wann und wo welche Kraft zum Einsatz kam. Das wird dann ständig automatisch kontrolliert. Und so laufen diese 6000 Vorgänge an einem Tag ab und nicht in sechs Monaten wie bei einem normalen Satelliten."
    In der klassischen Raumfahrt werden Satelliten und Raumsonden monatelang intensiven Tests unterzogen – bei OneWeb wird dies nur mit den beiden Qualifikationsmodellen geschehen. Danach soll der präzise überwachte Fertigungsprozess dafür sorgen, dass die Satelliten im All auch bestens funktionieren:
    "Die Qualität, da bin ich sicher, wird nicht leiden. Aber wir rühmen uns immer, wenn wir Satelliten hochschießen, zum Beispiel, wenn das Commitment war, dass die fünf Jahre funktionsfähig bleiben und wenn sie dann zehn oder 15 Jahre funktionsfähig bleiben, dann rühmen wir uns, das ist ja ganz toll. Aber das ist eigentlich ein Overengineering. Hier werden wir versuchen, das zu vermeiden, müssen wir auch aus Kostengründen natürlich. So dass die Satelliten so lange leben, wie wir es wirklich brauchen."
    Das klingt vernünftig, aus Sicht eines Vorstandschefs. Doch was passiert mit den Satelliten, wenn sie niemand mehr braucht?
    Die Grafik der NASA zeigt den Weltraumschrott im Orbit der Erde
    Die Grafik der NASA zeigt den Weltraumschrott im Orbit der Erde (NASA)
    Nicht mehr funktionstüchtige Satelliten werden mit anderen zusammenstoßen
    Holger Krag leitet am Europäischen Weltraumkontrollzentrum ESOC in Darmstadt das Büro für Raumfahrtrückstände. Er verfolgt die Pläne für die vielen Satellitennetze mit Sorge. Bei der großen Zahl an Satelliten sind Ausfälle unvermeidlich – und ein Satellit, der nicht mehr zu steuern ist, stößt früher oder später mit anderen Objekten zusammen. Irgendwann wären die Folgen verheerend:
    "Es dauert doch relativ lange, bis das negative Folgen für die Konstellation selber hat. Die Konstellation würde vielleicht durch zusätzliche Kollisionen, die sie selbst verursacht hat, ein, zwei weitere Satelliten verlieren in den nächsten ein, zwei Dekaden, in denen der Business Case läuft, aber sie würden deutlich viel mehr Satelliten verlieren durch normale Ausfälle, das heißt die wären eventuell verkraftbar. Insofern schaffen die sich nicht unmittelbar ein eigenes Problem, sondern sie schaffen ein Problem für die Zukunft."
    Derzeit kreisen gut 1000 funktionstüchtige Satelliten um die Erde. Werden die geplanten Satellitenschwärme tatsächlich gestartet, so vervielfacht sich diese Zahl in den nächsten zehn Jahren. Und sind auf einer bestimmten Bahnhöhe erst einmal Trümmerteile unterwegs, so führen die im Laufe der Zeit zu immer weiteren Kollisionen. Die Müllmenge wächst an – erst ganz langsam, später fast lawinenartig.
    "Das Dramatische an dieser Problematik ist genau das, dass man jetzt handeln muss, um für zukünftige Generationen, wir sprechen da von 50 bis 100 Jahren, die Raumfahrt zu ermöglichen und nicht durch unverantwortliches Verhalten zu blockieren."
    Die Satelliten-Tauben des Erdbeobachtungsunternehmens Planet stellen kein Problem dar. Sie fliegen in nur rund 500 Kilometern Höhe – dort fegt sie allein die Reibung an der Restatmosphäre in weniger als zehn Jahren aus der Bahn. Doch das Satellitennetz von OneWeb soll 1200 Kilometer über der Erde kreisen. Da oben werde man aktiv den Müll vermeiden, verspricht Brian Holz:
    "Wir haben erhebliche Vorsorge im Design getroffen. Wenn bestimmte Teile ausfallen, sorgt ein Programm automatisch dafür, dass der Satellit allmählich aus der Umlaufbahn entfernt wird. Nach internationalen Regeln sollte ein Satellit auf erdnahen Umlaufbahnen nach 25 Jahren in der Atmosphäre verglühen. Defekte OneWeb-Satelliten werden dies in weniger als zwei Jahren tun. Wir gehen also sehr sorgsam mit dem Weltraum um – im Interesse der Sicherheit."
    Das Absenken der Bahn, das zum gezielten, frühzeitigen Absturz führt, funktioniert nur, solange der Satellit zumindest noch in einem Notmodus agiert. Und solche Sicherheitsvorkehrungen kosten Geld – es ist unklar, wie die anderen geplanten Konstellationen mit dem Müllproblem umgehen. Wenn beim himmlischen Internet die Gier über den Verstand siegt, wird aus New Space irgendwann No Space.
    Vielleicht setzt Elon Musk auch deshalb auf das Auswandern von der Erde. Der Mars ist eine Option. Aber er hat längst auch schon ein Superraumschiff für interplanetare Kreuzfahrten ersonnen, Tankstellen auf fernen Monden inklusive.
    Elon Musk: "Das System gibt uns die Freiheit, überall hinzureisen im weiteren Sonnensystem. Zum Kuipergürtel oder in die Oortsche Kometenwolke. Ich würde es aber nicht empfehlen für inter-stellare Reisen."
    Warten auf den Riesenpush
    Keine anderen Sterne. Welche Enttäuschung … - Elon Musks Ideen von der Kolonisierung des Mars mögen für Schlagzeilen sorgen und die perfekten Animationen seiner fantastischen Reisen Science-Fiction-Fans verzücken. Andere Unternehmer träumen vom Bergbau auf Monden und Asteroiden, um Edelmetalle und Rohstoffe zu gewinnen – und tun so, als müsse man nur noch losfliegen. Doch für alle diese Abenteuer bedarf es revolutionär neuer Technik, um preiswert in und durch das All zu kommen. So etwas hat es in der Raumfahrt noch nie gegeben, zumindest nicht in ihren bisherigen 60 Jahren, in denen sich doch alles äußerst langsam entwickelt hat, erklärt Andreas Lindenthal von OHB in Bremen:
    "Es wird nach meiner Einschätzung nicht die großen Technologiedurchbrüche geben, zumindest sehe ich sie heute nicht, auch nicht ansatzweise, die wirklich eine Veränderung um einen Faktor 10 oder 5 in den Startkosten ermöglichen würden. Das wäre schön – das würde einen Riesenschub geben. Da kann ich als Satellitenbauer den Kollegen von der Raketenbranche nur die Daumen drücken, bitte tut das, denn das würde einen Riesenpush geben für den Satellitenbau, wenn auch der Transport günstiger und umweltfreundlicher würde und alles Mögliche zu bewerkstelligen wäre. Ich fürchte, darauf müssen wir noch warten."
    Was also bleibt vom New Space? Es ändert sich nicht die Raumfahrt per se – nur der Bau von Satelliten wandelt sich radikal. Und selbst das beschränkt sich auf die großen Netze. Weltraumteleskope oder Raumsonden zu fernen Planeten werden auch weiterhin ganz klassisch einzeln mit größter Sorgfalt gebaut werden. "New Space" ist der kommerzielle Weltraum, in dem sich Geld verdienen lässt – und zwar auf der guten alten Erde, und nicht auf dem neuen Mars.