Ein Dutzend Sängerinnen und Sänger tragen ein Stück von Arvo Pärt vor. Sie stehen im Raum verteilt, an den Wänden ziehen sich vom Boden zur Decke Farbbahnen von Gerhard Richter, die an bunte Teppiche zum Ausklopfen erinnern. Dazu läuft ein kryptischer Film von Richter und Corinna Belz, und in Pausen erklingt eine Komposition von Steve Reich. Mittendrin spaziert das Publikum herum. «Reich Richter Pärt», so der Titel dieser multimedialen Darbietung, ist nur eines der Werke aus dem umfangreichen Eröffnungsprogramm von New Yorks neuem Kulturzentrum am Ufer des Hudson River. The Shed, zu Deutsch «Der Schuppen» ist natürlich das genaue Gegenteil einer bescheidenen Hütte. Es ist ein 475 Millionen Dollar teurer mit sämtlichen technischen und technologischen Raffinessen ausgestatteter Bau der Stararchitekten Diller Scofidio + Renfro und der Rockwell Gruppe. Alles an diesem durchsichtig schillernden Palast lässt sich verschieben, darunter das Dach, wodurch sich Teile des Inneren in eine Freiluftarena verwandeln.
Ort für verschiedenste Disziplinen
Nun mangelt es New York ja weder an imposanter Architektur noch, bei 1200 Kulturinstitutionen, an musischen Attraktionen. Doch, sagt der künstlerische Berater des Shed Hans Ulrich Obrist: "Was fehlt, und das fehlt nicht nur hier, sondern in den meisten Städten, ist eine Institution, wo sich die verschiedensten Disziplinen begegnen können, und wo eben in diesem Sinne Dialoge und Kollaborationen entstehen können, auch Projekte entstehen können, die sonst nicht stattfinden können."
Mit dem Shed-Direktor Alex Poots will Obrist bildende und darstellende Künste zusammenbringen, Avantgarde und Pop, Prominenz und Unbekannte, Philosophie und Streetdance. Fünfzig Projekte für fünfzig Millionen Dollar sind für das erste Jahr geplant, alles Weltpremieren. Denn die Leiter des Shed haben vor, nur Auftragswerke zu zeigen. Was die dauerhafte Finanzierung dieser Festival-Strategie betrifft, meint Hans Ulrich Obrist: "Es ist so, dass es natürlich sehr viel Fundraising gibt hier, aber gleichzeitig sind es auch sehr viele Koproduktionen. Wichtig ist, dass viele der Projekte, die hier entstehen, sind ja Zusammenarbeiten mit anderen Institutionen. Es ist sehr wichtig, denke ich, im 21. Jahrhundert, dass wir neue Allianzen schaffen."
Betuchte und Minderbemittelte
Beworben wird The Shed nicht nur als Ort für alle Künste, sondern auch als Ort für alle sozialen Schichten. "Uns glaub ich ist es ganz wichtig, dass es ein Ort ist, wo alle willkommen sind, und es ist dieser Ort in New York, wo das möglich wurde", sagt Obrist. In harmonischer Eintracht sollen Gutbetuchte und Minderbemittelte hier in den Genuss einer dramatischen Umsetzung von Verdis Requiem kommen und sich interaktive Dokumentarfilme über Gentrifizierung anschauen. Schon für 10 Dollar sind Eintrittskarten zu manchen Veranstaltungen erhältlich. Die Frage ist, wer den Weg zu diesem Tempel der Inklusion finden wird. The Shed gehört nämlich zu den Hudson Yards, dem mit 25 Milliarden teuersten Immobilienprojekt in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Dieses Biotop aus Luxusresidenzen, Hightech-Büros, Restaurants und Geschäften wurde vor wenigen Wochen eingeweiht. The Shed liegt potentiellen und bereits gewonnenen Sponsoren buchstäblich zu Füßen. Gut möglich, dass sich das traute Miteinander von Kapital, Konsum und Kultur als fruchtbar erweist. Doch wird man den Verdacht nicht los, dass dieses ambitionierte Unternehmen um einiges exklusiver ist, als es sich gibt.