Im Oktober 2021 versammeln sich Fans von Newcastle United vor ihrem Stadion und singen. Einige tragen traditionelle Gewänder aus der arabischen Welt. Die Fans feiern die Übernahme ihres Lieblingsclubs durch den PIF, den milliardenschweren Staatsfonds aus Saudi-Arabien.
John Hird schaut die Fernsehnachrichten und ist schockiert. Er ist in der Nähe von Newcastle in einer Arbeiterfamilie groß geworden. Er war in Gewerkschaften aktiv und setzt sich in seiner Freizeit für Menschenrechte ein. Dass nun sein Verein aus Saudi-Arabien gesteuert wird, will John Hird nicht akzeptieren: "Ich habe mich in den sozialen Medien umgesehen, auf Twitter und Facebook, damals noch während der Pandemie. Ich war auf der Suche nach Gleichgesinnten. In unserem ersten Online-Meeting waren wir ungefähr dreißig Leute. Von da an ging es Schlag auf Schlag."
Gruppe mobilisiert in sozialen Medien
John Hird und seine Mitstreiter gründen ein Netzwerk. Der Name, ins Deutsche übersetzt: "Newcastle United Fans gegen Sportswashing". Die Gruppe mobilisiert in sozialen Medien. Sie veröffentlicht Artikel, Videos und Petitionen zur Menschenrechtslage in Saudi-Arabien.
John Hird tritt auch an die lokalen Medien in Newcastle heran. Er sagt: "Am Anfang war es schwer, in die Berichterstattung zu kommen. Vor allem die Sportjournalisten waren froh, dass es mit Newcastle United finanziell aufwärts ging. Auch sie möchten ja lieber von der Champions League berichten. Beim Klub gehört es zur Strategie, Fangruppen einzuspannen. Zweimal war Newcastle für Testspiele in Saudi-Arabien. Mit dabei waren unkritische YouTuber und Fanmagazine. Ob sie dafür bezahlt wurden, wissen wir nicht. Aber sie prägen die Stimmung."
Im Norden von England ist die Wahrnehmung verbreitet, dass man gegenüber der Hauptstadt London im Nachteil sei. Was Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Sozialprogramme angeht. Die lokalen Medien stehen vor einem Dilemma, sagt Aaron Stokes, Reporter des Newcastle Chronicle, der größten Zeitung der Stadt. Auf der einen Seite sollten sie kritisch über den Einfluss aus Saudi-Arabien berichten. Auf der anderen Seite wollen sie die Aufbruchsstimmung in der Region dokumentieren.
Aaron Stokes nennt ein anderes Beispiel: Manchester City, seit 2008 unter der Kontrolle von Abu Dhabi: "In Manchester gibt es die Eastlands. Eine Gegend, die heruntergekommen war, mit viel Kriminalität und Armut. Manchester City hat dort für viele Millionen Pfund eine moderne Trainingsakademie gebaut. Dadurch wurde die ganze Gemeinde aufgewertet. So etwas wird in Newcastle nicht über Nacht entstehen, aber vielleicht langfristig. Neben dem Stadion wird zum Beispiel eine neue Fanzone gebaut. Kleine Dinge wie diese zeigen: Es gibt mehr Hoffnung für neue Investitionen."
Das Interesse der Politik geht zurück
Im September 2023 bestreitet das Fußballnationalteam Saudi-Arabiens zwei Testspiele in Newcastle. Ein Vorbote für weitere Investitionen? Werden sich saudische Logistikunternehmen Zugänge im Nordsee-Hafen von Newcastle sichern? Der Aktivist John Hird und die Gruppe "Newcastle United Fans gegen Sportswashing" protestierten gegen die Länderspiele. Und sie laden die saudische Exilantin Lina al-Hathloul für Veranstaltungen ein.
Darin geht es unter anderem um die mehrjährigen Haftstrafen für Aktivistinnen in Riad, berichtet John Hird: "Wir haben Abgeordnete des britischen Parlaments und Mitglieder des Stadtrates angeschrieben. Vor fünf Jahren noch hätten wir wahrscheinlich Dutzende Gespräche mit Politikern über Menschenrechte führen können. Und jetzt? Gerade mal ein Gespräch kam zustande, unglaublich. Wenn man schon mit der Übernahme eines Fußballklubs die Politik zum Schweigen bringen kann. Was passiert denn erst, wenn Mohammed bin Salman Zeitungen oder Radiosender kauft? Eine besorgniserregende Entwicklung."
"Newcastle United Fans gegen Sportswashing" wachsen
Die "Newcastle United Fans gegen Sportswashing" haben auf der Plattform X rund 7500 Follower. Eine kleine, kritische und offenbar gut organisierte Minderheit, die wächst. Und die größer ist als jene Minderheiten im Umfeld von Manchester City oder Paris Saint-Germain, das sich seit 2011 im Besitz von Katar befindet.
Aber wie lässt sich die Aufmerksamkeit in Newcastle hochhalten, wenn sich die Mehrheit der Fans mit Saudi-Arabien arrangiert? Colin Taylor aus der Newcastle-Gruppe von Amnesty International findet es wichtig, dass die kritischen Köpfe gemeinsam ihre Stimme erheben: "Wir besuchen und organisieren unterschiedliche Veranstaltungen. Wir verfassen Artikel für Online-Medien, die von lokalen Politikern wahrgenommen werden. Und wir schreiben Briefe an lokale Abgeordnete."
Colin Taylor ist seit Jahrzehnten Fans von Newcastle United. Er hätte gern eine Antwort dafür, warum das Auswärtstrikot des Klubs inzwischen grün ist und dem Nationaltrikot von Saudi-Arabien ähnelt. Doch Funktionäre, Trainer und Spieler sprechen selten über ihre Besitzer. Newcastle United hat zum letzten Mal 1927 die englische Meisterschaft gewonnen. Der nächste Titel ist nicht mehr unrealistisch. Die "Newcastle United Fans gegen Sportswashing" würden ihn gerne gewinnen, aber nicht mit Hilfe aus Saudi-Arabien.