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Newcomer gegen Tanker
Wie GB News versucht, der BBC Konkurrenz zu machen

Kurz vor ihrem 100. Geburtstag bekommt die BBC Konkurrenz. Der neue rechtskonservative TV-Kanal GB News tut alles, um ein starker Gegenpol zur britischen Institution zu werden – und spaltet wieder einmal die Gesellschaft. Der Start verlief holprig. Aber auch die BBC bietet Angriffsflächen.

Von Christine Heuer |
Ein Schild mit der Aufschrift "The British Broadcasting Corporation" an einer Hauswand
Die BBC ist in England eine Institution und hat Fernsehen und Radio weltweit geprägt (picture alliance / Daniel Kalker)
GB News ist noch nicht auf Sendung, da singt der erste Fan schon ein Loblied auf den neuen britischen Fernsehkanal. GB News versteht sich als Alternative zum etablierten Fernsehen im Königreich. Und als Angriff namentlich auf die BBC. Die finden sie zu links beim rechtskonservativen neuen Kanal. GB News will denen eine Stimme geben, die angeblich überhört werden von dem, was seine Macher die "Londoner Medien-Blase" nennen.
Spiritus Rector, Chef und Chef-Moderator bei GB News ist Andrew Neil: journalistisches Urgestein, für viele der beste Interviewer im Land. Die letzten 25 Jahre war Neil Anchorman im BBC-Fernsehen. Unter anderem moderierte er dort zur Primetime eine politische Talkshow unter seinem Namen. Als die abgesetzt wurde, brach der 72-Jährige zu neuen Ufern auf.
Am Abend des 13. Juni geht GB News erstmals on air. Die einzigen Farbakzente im karg möblierten Sendestudio: Blau-Weiß-Rot, wie der Union Jack, die britische Nationalflagge. Andrew Neil sitzt im schwarzen Anzug vor schwarzem Hintergrund an einem schwarzen Schreibtisch und legt eine Stunde lang die Philosophie des neuen Senders dar. "Wir sind stolz, britisch zu sein. Unser Name ist Programm. Wir werden nicht vergessen, wofür das B in unserem Namen steht."
Moderator Andrew Neil sitzt im Studio vor einem Laptop.
GB News-Moderator Andrew Neil ist zugleich auch Vorstandschef des Senders - das verstößt gegen die Regeln der Medienaufsicht (picture alliance / empics | Yui Mok)
Und britisch: Das ist für Neil eben in erster Linie nicht die Hauptstadt, aus der er selbst sendet, sondern die Provinz. Das, was Otto-Normalbürger umtreibt – nicht, was die Elite so bespricht. Das, was die "einfachen" Engländer denken – und nicht, was als "woke" gilt. Neils Kern-Team: meinungsstarke Anchor-Männer und -Frauen, die die Ereignisse des Tages mehr kommentieren als präsentieren. Wie Dan Wootton, den GB News vom Boulevard-Blatt "Sun" abgeworben hat.
"Morgen Abend wird Boris das Ende des Lockdowns verschieben und uns sagen: Es geht nur um weitere vier Wochen. Von wegen! Es wird immer die nächste Variante geben, die nächste Gruselgeschichte, die Einflüsterungen paranoider Gesundheitsexperten, bis zum Erbrechen kritiklos wiederholt von BBC und ITV. Warum berichten sie nicht über das Positive?"
Oder wie Kirsty Gallacher und Darren McCaffrey, beide früher bei Sky TV. Auf GB News spielen sie ein Video ab, in dem der oberste Pandemie-Berater der Regierung von jungen Männern bedrängt wird. Alle betrunken, keiner mit Maske. Anschließend diskutieren die Moderatoren, ob Chris Whitty in der Szene wirklich belästigt wird? "Es sieht ziemlich unangenehm aus, oder? Ich würde nicht sagen, dass sie ihn belästigen."

Holpriger Start mit peinlichen Pannen

Er sei nicht der Typ, der sich GB News anschaut, antwortet Rasmus Kleis Nielsen auf die Frage, wie ihm das neue Programm gefällt. Nielsen ist Direktor am Reuters-Institut für Journalismus an der Universität Oxford. Gillian Reynolds, die 85-jährige Doyenne der Rundfunk-Kritik in Großbritannien, wird noch deutlicher: "Awful!"
Die Journalistin hat selbst beim Rundfunk gearbeitet. Berühmt wurde sie aber mit ihren Zeitungskolumnen über Radio und Fernsehen in Großbritannien. Seit den 70er-Jahren schreibt Gillian Reynolds ihre Kritiken für die wichtigsten englischen Zeitungen. Beim Start von GB News ist ihr nicht viel Gutes aufgefallen. "Schon technisch passte nichts. Der Ton stimmte nicht mit dem Bild überein. Die Nachrichten waren veraltet. Und die Moderatoren sind nicht fürs Fernsehen geschult. Sie sitzen auf ihren Stühlen herum wie Puppen."
Besonders die technischen Fehler sorgen für Spott im Netz. Unter dem Twitter-Account "GB News fails" – "GB News scheitert" laden Zuschauer die schlimmsten Pannen hoch. "Are we live? Here is the weather." Aber die Wettervorhersage kommt nicht.
Und der Chef bleibt nicht. "Wir hatten einen schwierigen Start", räumt Andrew Neil bald ein – und verabschiedet sich ohne Angabe von Gründen in eine längere Pause. Am zwölften Tag von GB News. Seit Niels Abschied schalten nur noch eine statt gut zwei Millionen Briten GB News ein. Tendenz sinkend. Währenddessen spekuliert die Medien-Szene darüber, was Andrew Neil aus dem Sendestudio getrieben hat: Gibt er auf? Ist er krank? – Weder noch, sagt Medienexpertin Gillian Reynolds. Der Kopf von GB News müsse pausieren, weil er gegen die Regeln der britischen Medienaufsicht verstoßen habe.
"Man hat ihn sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vorstandschef eines Senders nicht gleichzeitig als Moderator in Erscheinung treten darf. Deshalb nimmt er frei, während sie das Problem zu lösen versuchen. – Er ist die Hauptattraktion. Wenn er nicht zurückkommt, sind sie erledigt."
Es läuft nicht gut für GB News, das mit einem Kapital von 60 Millionen Pfund an den Start ging. Die wichtigsten Investoren sind das US-Medienunternehmen Discovery und die in Dubai ansässige Investmentfirma Legatum. Wird sich ihr Einsatz für ein neues Fernsehformat in England lohnen? Kann man damit auch Geld verdienen? Medienwissenschaftler Rasmus Kleis Nielsen glaubt das schon. Publizistisch betrachtet hält er GB News jedoch für ziemlich uninteressant. Das Format sei nichts Neuartiges, sondern wiederhole und ergänze lediglich, was es besonders im englischen Privatradio bereits zuhauf gebe. Der oft angestellte Vergleich mit Fox News in Amerika hinke.
"Fox News ist in den USA gestartet, als es sehr wenige rechtsgerichtete, kommentierende Nachrichtensendungen gab. Sie haben ein unterversorgtes Zielpublikum angetroffen. GB News startet jedoch in einem Umfeld, in dem es das schon lange gibt. Und deshalb muss es mit anderen Anbietern um ein alterndes, konservatives, meist männliches Publikum konkurrieren."

BBC feiert bald 100. Geburtstag

An einem November-Nachmittag 1936 startet das Fernsehprogramm der BBC mit einer großen Gala. Der Musical-Star Adele Dixon singt den "Television"-Song. Radio machte die British Broadcasting Corporation da schon 14 Jahre lang. Seit 1927 ist der Sender öffentlich-rechtlich organisiert. Heute betreibt er Dutzende Rundfunk-Programme und ein reichhaltiges Online-Angebot in und außerhalb Großbritanniens. Mit fast 23.000 Angestellten und einem Jahresbudget von rund 5 Milliarden Pfund. Die BBC ist ein sehr großer Tanker. Nächstes Jahr feiert "the Beeb", wie die Briten sie liebevoll nennen, 100. Geburtstag.
Die BBC hat Fernsehen und Radio weltweit geprägt. Und tut es noch. Der Sender steht prototypisch für ebenso unabhängigen wie verantwortungsvollen Rundfunk. Die BBC gilt als Vorbild für objektiven, faktentreuen und unbestechlichen Journalismus. Und als besonders hartnäckig.
Im BBC-Fernsehen interviewt Jeremy Paxman 1997 den konservativen Innenminister Michael Howard. Es geht um einen Gefängnis-Direktor. Paxman hat nur eine Frage an den Politiker: "Haben Sie gedroht, ihn zu entlassen?" – Er stellt sie zwölfmal in 90 Sekunden.
Ein anderes Interview wurde berühmt, weil es erst gar nicht geführt wurde. Vor der Unterhaus-Wahl 2019 weigerte sich Boris Johnson – anders als die anderen Spitzenkandidaten – der BBC Frage und Antwort zu stehen. Eingeladen hatte ihn, damals noch bei "The Beeb" – Andrew Neil.
"Ein Interview fehlt noch: Das mit Premierminister Boris Johnson. Aber es ist nicht zu spät. Wir haben ein Interview vorbereitet. Unsere Fragen drehen sich um das Thema Vertrauen. Und darum, warum ihn so viele, auch in seinem näheren Umfeld, für nicht vertrauenswürdig halten."
Hätte es noch eines Anlasses bedurft, um Boris Johnson zum erklärten BBC-Gegner zu machen: Hier wäre er gewesen. Aber dem Premierminister und seiner konservativen Partei war der Sender schon lange davor ein Dorn im Auge. In der Brexit-Debatte warfen sie ihm vor, zu europafreundlich zu sein. Johnsons langjähriger Berater Dominic Cummings hatte die BBC bereits Anfang der 2000er als "Todfeind" gebrandmarkt und dazu aufgerufen, ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Hier wurzelt der Vorwurf, die BBC sei parteiisch. Er hat das Potential, sie zu zerstören. Denn in Großbritannien ist dem Rundfunk politische Parteinahme strikt untersagt.

Selbstkritik auf dem Sender

Der Oxford-Professor Rasmus Kleis Nielsen kennt keine wissenschaftliche Untersuchung, die den Vorwurf der Regierung stützen würde, die BBC sei parteiisch. "Unsere Forschung zeigt, dass die BBC in der Lage ist, ein großes und diverses Publikum anzusprechen. Linke, Rechte und die in der Mitte nutzen die BBC. Unsere Forschung zeigt auch, dass die BBC im gesamten politischen Spektrum großes Vertrauen genießt: bei den Rechten, bei den Linken und bei denen in der Mitte."
Doch die Kritik aus Downing Street kommt für die BBC zu einem heiklen Zeitpunkt. Nächstes Jahr wird ihre Finanzierung neu verhandelt und 2027 die Royal Charter, ihr rechtliches Fundament. Der neue BBC-Generaldirektor Tim Davie hat seine Mitarbeiter vorsorglich nochmals zu strikter Neutralität ermahnt. In diesem Klima wird schon eine spöttische Bemerkung zur Staatsaffäre. Nach einem Fernsehinterview mit Bauminister Robert Jenrick machen sich die BBC-Moderatoren über einen überdimensionierten Union Jack im Ministerbüro lustig.
Die Moderatoren werden zur Ordnung gerufen und entschuldigen sich öffentlich. Aber es hilft nichts. Eine Sitzung im Unterhaus mit BBC-Chef Tim Davie gerät zu einem regelrechten Verhör durch den konservativen Abgeordneten James Wild.
"In ihrem Rechenschaftsbericht vom letzten Jahr: Wissen Sie, wie oft da der Union Jack in den Grafiken vorkam? – Ich habe keine Ahnung. – Nicht einmal. Überrascht Sie das? – Ich finde, das ist eine seltsame Messlatte. Die BBC vertritt Großbritannien in der ganzen Welt, und wir sind stolz darauf. – Und im neuem Bericht: Wie oft ist die Flagge da abgebildet? – Ich habe nicht nachgezählt. – Wieder kein einziges Mal. Vielleicht können Sie das beim nächsten Mal ändern."
Warum die Medienkontrolle staatsfern ist
Die Pressefreiheit zählt zu den wichtigsten Prinzipien im deutschen Grundgesetz. Ein Blick in die Geschichte zeigt, welche Gefahren mit einer staatlichen Kontrolle der Medien verbunden sind.
Die BBC bietet aber auch echte Angriffsflächen. Zuletzt hat der Skandal um das Interview Schlagzeilen gemacht, das Martin Bashir 1995 für den Sender mit Prinzessin Diana führte. Der Journalist hatte Unterlagen gefälscht, um sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Als die BBC davon erfuhr, unternahm sie nichts. Bis vor kurzem war Bashir festangestellter Mitarbeiter des Senders. Jetzt hat er sich vorzeitig in den Ruhestand verabschiedet. Und BBC-Chef Tim Davie räumte reumütig schwere Verstöße gegen die Regeln und das Ethos seines Senders ein. Tagelang übten seine Mitarbeiter auf allen Kanälen Selbstkritik. In der Sendung News Watch las Moderatorin Samira Ahmed vernichtende Zuschauermails wie diese vor:
"Das Martin-Bashir-Interview ist unverzeihlich. Ihr braucht eine Komplett-Überholung, wenn Ihr Vertrauen zurückgewinnen wollt." Und eine andere Zuschauerin schreibt: "Martin Bashir widert mich an und die BBC auch, weil sie sein Vorgehen vertuscht hat. Ich werde der BBC nie wieder vertrauen."

"Die BBC gehört keiner Regierung"

Der Bashir-Skandal ist Wasser auf die Mühlen der BBC-Feinde in Downing Street. Bisher habe sich noch jede Regierung an der BBC abgearbeitet, sagt die Medien-Kolumnistin Gillian Reynolds. Aber keine sei dabei so aggressiv vorgegangen wie die von Boris Johnson. "Diese Regierung mag die BBC nicht und will sie schwächen. Sie versucht, ihre Finanzbasis langfristig zu zerstören. Das ist sehr besorgniserregend. Denn die BBC gehört keiner Regierung, sondern sie gehört jedem, der in diesem Land lebt. Wir bezahlen dafür die Rundfunkgebühr."
Umgerechnet 15 Euro monatlich zahlt jeder britische Haushalt für die BBC. Wer es nicht tut, kann strafrechtlich verfolgt werden. Nun droht die konservative Regierung, das Gebührensystem abzuschaffen. Die BBC könne ja wie Netflix und andere Streamingdienste Abonnements verkaufen.
Warum arbeitet sich ausgerechnet Boris Johnson, der konservative Brexit-Premier, der stets die Nation im Munde führt, so wütend an einer britischen Institution ab? "Er tut es, weil die BBC ein großes Tier ist. Man kann ein großes Tier treten, und das tut er. Aber er ist ein Zwerg, der einen Elefanten tritt. Die Menschen mögen die BBC, sie respektieren sie. Sie ist größer als er."
Der Britische Premierminister und Parteichef der Konvervativen Boris Johnson (mitte) bei einer Wahlkampf-TV-Debatte in der BBC mit Labour-Chef Jeremy Corbyn (links).
Die BBC ist Boris Johnson, dem britischen Premierminister, ein Dorn im Auge (Jeff Overs/BBC)
Vielleicht deshalb übt Boris Johnson zunächst an einem kleineren großen Tier: Channel 4. Nächstes Jahr feiert das Fernsehprogramm, das in Großbritannien als besonders innovativ gilt, seinen 40. Geburtstag. Channel 4 ist in staatlichem Besitz, verdient sein Geld – anders als die BBC – aber mit Werbung. Der Sender ist besonders bei jungen Zuschauern sehr beliebt. Jetzt prüft die Regierung seinen Verkauf.
"Das ist äußerst beunruhigend. Denn Channel 4 ist weltweit einzigartig. Es ist ein Herausgeber-Programm. Es hat die BBC inspiriert und das Talent weltweit gefördert. Der Staat hat eine Verantwortung, so etwas zu erhalten. Solche Institutionen müssen gehegt und gepflegt und nicht an den höchsten Bieter verhökert werden."
Für Gillian Reynolds ist Channel 4 der Lackmustest auf die Zukunft von "the Beeb". Sein Verkauf könnte das zentrale Argument für eine Privatisierung der BBC werden. Für den Ausverkauf des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Großbritannien. Es wäre das Ende einer der Unparteilichkeit verpflichteten Berichterstattung, warnt die Medienkennerin. Und fügt hinzu: Der Premierminister solle sich gut überlegen, ob er sich das wirklich wünscht.
"Ich würde nicht darauf wetten, dass ihm GB News überall hin folgt. Passt auf, wann die zu schreien beginnen."