"Die Songs auf dem Album sind aus meinen Zwanzigern. Die Zwanziger sind eine harte Zeit und ich dachte, entweder kann ich langweilige Taylor-Swift-Songs schreiben oder ich mache mir meine Erfahrungen zu eigen und versuche, kein Opfer meines Lebens zu sein. Und eben auch stolz auf alle meine Kratzer, Blessuren und Beulen zu sein, die ich in meinem Leben gesammelt habe."
Für Adia Victoria ist die Popwelt zu perfekt
Adia Victoria über ihr Album "Beyond the Bloodhounds", im Mai 2016 ist es erschienen. Gerade ist die afroamerikanische Musikerin aus Nashville auf Tour. Ihre Musik bewegt sich zwischen Rock und Country, wurzelt aber im Blues. Mit Mitte 20 bezeichnete sie ihre Musik als "back-porch-blues-swamp-cat-lady-howlin‘-at-the-moon”.
"Ja, das war ein kleiner Witz. Denn ich habe viele meiner frühen Stücke auf der Veranda meiner Mutter im Mondlicht geschrieben und da waren auch Katzen. Meiner Schwester sagte, dass meine Stimme wie die einer gruseligen, alten Lady klingen würde, sehr kratzig.”
Musik: "Head Rot"
Victoria Spivey, Skip James und die Blues-Legende Robert Johnson sind für Adia Victoria musikalische Referenzen und Vorbilder. Fasziniert ist sie davon, dass diese Musiker traurige Geschichten mit Ironie verknüpfen. Die schmale Musikerin mit dunklen Augen fühlt sich mit ihnen mehr verbunden, als mit der idealisierten Popmusik. Die heile Popwelt, ist aus Adias Sicht oberflächlich. Sie hat viel ausprobiert: Ballett getanzt, im Call-Center gearbeitet, Tuba gespielt und nach der Schule versucht, sich ein Leben in New York City aufzubauen – daran ist sie gescheitert und hat dadurch die Musik gefunden, mit der sie sich ausdrücken will:
"Ich bin auf den Blues gekommen, als ich 21 Jahre alt war. Ich war gerade in den Süden zurückkehrt und hatte New York City hinter mir gelassen. Ich war sehr deprimiert. Ich war zurück in der kleinen Stadt, lebte bei meiner Mutter und dachte, es sei ein großer Fehler gewesen, New York verlassen zu haben. Zu dieser Zeit entdeckte ich die Blues-Musik für mich und die Musiker erzählten mir darin Geschichten. Diese Männer und Frauen, die Glück und Geld verloren hatten, die die Liebe verloren hatten - und sie wanderten im Süden herum. So wie ich. Das war das erste Mal, dass ich Musik gehört habe, die wirklich darüber sprach, wie es mir erging."
Musik: "Invisible Hands"
Gottesdienst und Kurt Cobain
Aufgewachsen ist die heute 30-jährige Musikerin in einem streng christlichen Umfeld in Spartenburg in South Carolina. Die Wirkung ihrer Stimme wurde ihr beim Singen im Gottesdienst bewusst. Nach der Trennung der Eltern zog Adia Victoria zu ihren Großeltern, ging auf eine öffentliche Schule, wodurch der religiöse Einfluss geringer wurde – und Adia entdeckte Kurt Cobain. Im Nirvarna-Sänger sah sie damals einen Seelenverwandten.
"Ich fühle heute nicht mehr so, jetzt mit 30 Jahren, aber ich habe immer noch eine Schwäche für Nirvana."
Die Faszination zur Grunge-Ikone spiegelt sich im Sound von Adia Victorias Musik wider. So scheppern beim Live-Auftritt schon mal die Gitarren-Akkorde im Stück "Dead Eyes", um kurz darauf im schnellen Beat voranzupreschen. Adia Victoria neigt in ihren zwölf Stücken ihres Debüts zu Kontrasten in Dynamik, Tempo und mit der Stimme, die mal kraftvoll, mal zerbrechlich klingt.
Musik "Dead Eyes"
Kompliziertes Verhältnis zum Süden Amerikas
Adia Victoria ist auch beim Interview in einem Café sehr wechselhaft. Sie lacht laut, bekommt mal glasige Augen, nippt beschämt an ihrem Wein und im nächsten Moment gestikuliert sie aufgebracht, so dass ihre langen Rastazöpfe gegen das Mikrofon schleudern. Zu ihrer Heimatregion, den Südstaaten geprägt durch die Sklaverei, hat sie ein kompliziertes Verhältnis:
"Ich fühle hier meine Wurzeln, das Land hält mich in gewisser Weise. Es inspiriert mich. Es ist meine Muse. Aber es gibt auch viel Dunkelheit in Bezug auf den Süden. Vieles ist tabu. Es wird nicht darüber gesprochen, was im Süden in der Vergangenheit passiert ist. Also ist es meine Aufgabe als Südstaatlerin das anzusprechen. Zwar ist viel Böses geschehen, aber wenn wir uns damit konfrontieren und mutig sind, dann können wir anfangen klarer darauf zu blicken und wirklich anfangen über Lösungen zu sprechen."
Adia Victorias Kindheit war von dem Gefühl geprägt: Als schwarzes Mädchen ohne Eltern mit viel Geld bist du nichts wert. Daraus zieht sie aber auch etwas Positives: ihre Dickköpfigkeit und eine Gelassenheit darüber, was andere Menschen über sie sagen. In der Blues-Ballade "Stuck in the South" singt sie die Zeilen: "Ich weiß nichts über Schönheiten des Südens, aber ich kann dir einiges über die Hölle des Südens erzählen" - und spickt diese Wut mit brachialen Gitarrenriffs.
Musik "Stuck in the South"
Auch beim Live-Konzert mit ihrer vierköpfigen Band in Köln kann sie vor allem mit diesem Stück überzeugen. Ihre Ansagen zwischen den Lieder sind aufgrund von schlechter Akustik nicht verständlich, die wenigen Zuhörer reagieren nicht. Ein Missverständnis und Adia Victoria wirkt irritiert und verunsichert - ganz anders als im Interview und auf dem Album.
"Ich will, dass meine Musik junge Frauen anspricht"
Drei Jahre hat Adia Victoria an ihrem Debüt gearbeitet, entstanden ist ein abwechslungsreiches Album einer jungen schwarzen Musikerin. Sie konzentriert sich in ihren Liedern auf die Schattenseiten ihres bisherigen Lebens - eingebettet in Blues mit zuweilen verzerrten Gitarren-Sounds aber auch fragilen und sensiblen Nuancen - wirkt sie dabei glaubhaft und selbstbewusst. Sie möchte auch ein Vorbild für junge Frauen sein:
"Ich will, dass meine Musik junge Frauen anspricht und ihnen erzählt, dass du nicht alleine bist mit deinem Ärger oder deiner Frustration, es ist auch meine Geschichte und sie passt nicht in irgendeine Schublade."