Die traditionelle Berichterstattung über die EU schmecke zu oft nach Haferbrei – mit Politico solle sich das ändern. Das sagt Mathew Kaminski, ehemaliger Wallstreet-Journal-Korrespondent in Brüssel und jetzt Chefredakteur der Europa-Ausgabe von Politico. Seit April versucht er den Beweis zu erbringen, dass man mit Berichterstattung über die EU Leser erreichen und Geld verdienen kann:
"Wir glauben, Politik ist sexy und grundsätzlich interessant. Es gibt so viele wichtige Themen: Migration, Griechenland, ob Großbritannien in der EU bleibt – das sind wirklich wichtige Diskussionen, die das Schicksal ganzer Nationen und von Millionen Menschen beeinflussen und die spielen sich vor unserer Nase ab."
Für Kaminski stehen hinter jeder politischen Entscheidung auch immer Menschen – die will er in den Fokus rücken. Wer kämpft mit oder gegen wen für welche Entscheidung und warum? Da geht es um den Einfluss deutscher Autokonzerne auf europäische Gesetzgebung, ausgebeutete Praktikanten im EU-Zirkus oder um den ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis, der eh alles schon immer besser gewusst habe. Und um eine gute Dosis Gossip, über einen schwitzenden französischen Premier oder einen russischen Präsidenten beim Teepäuschen.
"Das hat etwas von Boulevard – im besten Sinne. Einige der besten Journalisten sind Boulevardjournalisten, denn sie sehen Dinge, die interessant sind und schreiben darüber. Journalisten wissen viel, worüber sie nicht schreiben. Wir wollen sicherstellen, dass wir darüber berichten, was wir wissen."
Bisher berichtet Politico jeden Donnerstag in einer gedruckten Ausgabe. Neben dem Abo ist die in Berlin, London und Paris erhältlich. Gleichzeitig stellt die Redaktion ihre Artikel für jeden kostenlos abrufbar ins Netz. Darunter war bisher schon der ein oder andere Scoop. Wenn in Brüssel wichtige Dokumente geleaked werden, findet man die auch schon mal bei Politico.
Bezahlte Spezial-Informationen für Entscheider in der EU
Finanzieren soll sich das Projekt – so wie auch das Vorbild in den USA – vor allem durch hoch spezialisierte Newsletter. Das Versprechen: Wer Fachinformationen aus bestimmten Politikbereichen haben möchte, findet sie hier zuerst. Das hat auch seinen Preis, meint Florian Eder, Mitglied der Chefredaktion:
"Wie viel das genau kostet, ist sehr davon abhängig, wie viele Themenbereiche jemand will und wie viele Accounts – also wie viele Zugriffe – man haben will. Deswegen steht auf der Webseite keine Zahl, aber es geht um eine mittlere vierstellige Summe im Jahr."
Eine genaue Zahl will Eder dann aber nicht nennen. Klar ist: diese Spezialdienste unter dem Namen Politico Pro richten sich nicht an den herkömmlichen Leser:
"Wir wollen gern in die europäischen Institutionen kommen, die sollen uns lesen. Wir wollen gern in die Chefetagen der Konzerne kommen, die Energiepolitik machen, die Energieversorger sind, oder die Technologiefirmen, die ein großes Interesse daran haben zu wissen, was hier in der europäischen Kommission vor sich geht."
Dafür leistet sich Politico eine etwa 40-köpfige Redaktion. So haben einzelne Redakteure die Möglichkeit, sich auf Themen zu spezialisieren und Entwicklungen mit zu verfolgen, für die Korrespondenten sonst gar keine Zeit haben, betont Chefredakteur Kaminski:
"Wir wollen nicht alles für jeden bieten. Aber wenn wir es schaffen, zur Pflichtlektüre für Experten im Bereich Politik oder Technologie oder Energie zu werden, dann bekommen wir viele neue Leser, die sich sagen: Wow, diese Leute sind gut informiert. Wenn Angela Merkels wichtigster Berater Politico liest, dann sollte ich das auch, denn hier erfahre ich Dinge, die ich nirgendwo sonst bekomme."
Publizistisch scheint der Plan aufzugehen. Nach eigenen Angaben hat Politico Europe etwa eine Million Leser pro Monat auf seiner Webseite. Mit dem Leserstamm der European Voice, dem Vorgängerblatt, das für die Gründung von Politico Europe aufgekauft wurde, gibt es außerdem eine gute Basis für die Printausgabe. Mit viel Geld und viel Personal hat sich Politico in Brüssel etabliert und einen Namen gemacht.
Ob Politico auch finanziell zum Erfolg wird, wird sich in den kommenden Monaten entscheiden. Dann muss sich zeigen, wie viele Unternehmer und Politiker die teuren Spezialdienste abonnieren werden.