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Newsblog zu Afghanistan
+++ Die Entwicklungen vom 1.9. bis 6.9. +++

Die Taliban haben eigenen Angaben zufolge das bisher von Widerstandskämpfer beherrschte Pandschir-Tal eingenommen +++ Die Bundesregierung will Hilfslieferungen nach Afghanistan über die Luftbrücke der Weltgesundheitsorganisation ins Land bringen +++ Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Högl, will die am Evakuierungseinsatz beteiligten Bundeswehr-Soldaten auszeichnen +++ Mehr im Newsblog.

    Katar, Doha: Antony Blinken (2.v.r), Außenminister der USA, und Lloyd Austin (l), Verteidigungsminister der USA, stehen für ein Foto zusammen mit mit dem stellvertretenden katarischen Premierminister und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani (r) und dem stellvertretenden katarischen Premierminister und Verteidigungsminister Dr. Khalid bin Mohammed Al-Attiyah (2.v.l) im Außenministerium.
    Blinken hält sich derzeit in Katar auf. (Olivier Douliery/Pool AFP/AP/dpa)
    Montag, 6. September
    +++ Der Anführer der Widerstandsgruppe im afghanischen Pandschir-Tal, Massud, hat zu einem nationalen Aufstand gegen die Taliban aufgerufen. Im Internet wurde eine Audiobotschaft von ihm veröffentlicht. Die Taliban hatten heute früh erklärt, sie hätten das Pandschir-Tal erobert – und damit auch die letzte afghanische Provinz. Massud sagte in seiner Videobotschaft, die Menschen sollten in jeder möglichen Form kämpfen. Es gehe um Heimat, Ehre, Freiheit und Stolz, erklärte der Milizen-Chef.
    Unklar ist, ob die Taliban tatsächlich die Kontrolle über die Provinz Pandschir übernommen haben. Massuds Nationale Widerstandsfront (NRF) hatte dieser Darstellung widersprochen.
    Seit Tagen liefern sich Taliban und Nationale Widerstandsfront im Pandschir-Tal Gefechte. Die Region im Nordosten Afghanistans hat eine große symbolische Bedeutung im Kampf um die Macht im Land. Wir erklären, warum das so ist.
    +++ Die Taliban haben eigenen Angaben zufolge das bisher von Widerstandskämpfer beherrschte Pandschir-Tal eingenommen. Ein Taliban-Sprecher sagte, das Tal sei nun vollständig unter Kontrolle. In sozialen Netzwerken posierten Taliban-Kämpfer schwer bewaffnet vor der Provinzverwaltung. Zuvor hatte die sogenannte "Nationale Widerstandsfront" unter dem Milizenführer Ahmad Massud den Taliban einen Waffenstillstand vorgeschlagen.
    +++ Der Umgang der Bundesregierung und weiterer westlicher Staaten mit den Taliban stößt auf Kritik. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Röttgen, sagte der Zeitung "Die Welt", die Länder hätten sich in demütigender Weise zum Bittsteller gemacht. Er habe in dieser Lage kein Verständnis für öffentliche Angebote und Forderungen an die Taliban. Der Grünen-Außenpolitiker Nouripour sagte in Richtung von Außenminister Maas, es sei naiv und praktisch nicht umzusetzen, Entwicklungszusammenarbeit anzubieten und darauf zu hoffen, dass sich die Taliban an die Bedingungen hielten.
    +++ Die Bundesregierung will Hilfslieferungen nach Afghanistan über die Luftbrücke der Weltgesundheitsorganisation ins Land bringen. Das kündigte Entwicklungsminister Müller in der "Rheinischen Post" an. Der CSU-Politiker sagte, er habe WHO-Chef Tedros zugesagt, dass Deutschland das Vorhaben unterstütze. Zudem verstärke man die Hilfe für das Welternährungsprogramm, das Kinderhilfsprogramm UNICEF und Nichtregierungsorganisationen. Damit solle eine Hungerkatastrophe in Afghanistan verhindert werden.
    +++ Der Nothilfekoordinator der Vereinten Nationen, Griffiths, hat angesichts der drohenden humanitären Katastrophe in Afghanistan die Führung der Taliban in Kabul getroffen. Laut UNO sprach Griffiths mit dem stellvertretenden Talibanchef Baradar, der nach der Machtübernahme der Islamisten als künftiger Regierungschef gehandelt wird. Der Nothilfekoordinator habe den Willen der internationalen Gemeinschaft betont, Afghanistan mit Hilfsgütern zu versorgen, hieß es. Zudem habe er die Taliban aufgerufen, die Rechte von Frauen und Minderheiten zu respektieren. Die Islamisten sagten laut Vereinten Nationen zu, die Sicherheit aller humanitären Helferinnen und Helfer zu gewährleisten.
    +++ Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Högl, spricht sich dafür aus, die am Evakuierungseinsatz in Afghanistan beteiligten Bundeswehr-Soldaten auszuzeichnen. Die SPD-Politikerin sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Soldatinnen und Soldaten müssten auf jeden Fall geehrt werden. Sie habe sich bei Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer dafür eingesetzt. Högl schlug beispielsweise ein Ehrenkreuz oder eine Einsatzmedaille vor. Mehr als 5.000 Menschen seien von der Bundeswehr in Afghanistan gerettet worden, das sei eine Höchstleistung.
    +++ Die Taliban haben nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan strenge Regeln für Frauen an privaten Hochschulen erlassen. In einem langen Regelwerk der für höhere Bildung zuständigen Behörde der Islamisten wird Studentinnen ein Besuch nur mit einem "Niqab" gestattet. Dabei handelt es sich um eine Kopf- und Gesichtsbedeckung, die nur einen schmalen Schlitz für die Augen frei lässt. Zudem müssen die Frauen räumlich getrennt von Männern unterrichtet werden. Ist dies nicht möglich, müssen die Geschlechter durch einen Vorhang getrennt werden.
    Sonntag, 5. September
    +++ Bundeskanzlerin Merkel hat erneut bekräftigt, dass die deutsche Regierung mit den islamistischen Taliban in Afghanistan über die Ausreise von Ortskräften verhandeln will. Es gehe jetzt etwa darum, Menschen, die für Entwicklungsorganisationen gearbeitet haben, außer Landes bringen zu können. Zudem müsse es Möglichkeiten für Hilfsorganisationen geben, die Bevölkerung in Afghanistan zu versorgen. Zuvor hatten die Taliban Deutschland zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen aufgefordert. Man wünsche sich starke Beziehungen zur Bundesrepublikl ebenso wie finanzielle Unterstützung und humanitäre Hilfe.
    +++ Im Pandschir-Tal im Nordosten Afghanistans gibt es weiterhin schwere Gefechte zwischen den Taliban und Widerstandskämpfern. Über die militärische Lage gibt es widersprüchliche Angaben. Die sogenannte Nationale Widerstandsfront unter dem Milizenführer Ahmad Massud erklärte, sie habe den Taliban schwere Verluste zugefügt und rund 1.000 ihrer Kämpfer eingeschlossen. Viele der Islamisten seien getötet oder gefangengenommen worden.
    Die Taliban gaben ihrerseits bekannt, sie seien weiter vorgerückt und kontrollierten nun fünf der sieben Bezirke des Tals. Es ist die einzige Provinz im Land, die noch nicht von den Taliban kontrolliert wird.
    +++ Angesichts der anhaltenden Notlage vieler Afghanen hat Papst Franziskus die Staatengemeinschaft aufgerufen, vor allem den Schwächsten unter ihnen Aufnahme und Schutz zu gewähren. Zudem forderte er beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz dazu auf, den Binnenvertriebenen Unterstützung und Hilfe zu gewähren.
    Eigens mahnte das Kirchenoberhaupt für alle jungen Menschen im Land eine gute Bildung und Ausbildung an; das sei für ihre Entwicklung wesentlich. Alle Afghanen, ob im Land selbst, auf der Ausreise oder im Ausland lebend, müssten in Würde, Freiheit und Geschwisterlichkeit leben können.
    +++ Der afghanische Menschenrechtler Abdul Ghafoor warnt vor der Gefahr für abgeschobene und freiwillig zurückgekehrte Afghanen nach der Machtübernahme der Taliban. "Die Taliban sehen die Rückkehrer als Verräter und Ungläubige", sagte der Direktor der afghanischen Menschenrechtsorganisation Amaso dem Evangelischen Pressedienst. Nicht nur Afghanen, die vor kurzem abgeschoben wurden, sondern auch Menschen, deren Rückführung schon länger zurückliegt, seien gefährdet.
    +++ Der Vorsitzende des Generalstabs der US-Streitkräfte, General Milley, hat vor einem Bürgerkrieg in Afghanistan gewarnt. Er wisse nicht, ob die Taliban in der Lage sein werden, ihre Macht zu konsolidieren und eine Regierung aufzubauen, sagte der hochrangige Offizier dem Fernsehsender "Fox News". Milley gab zu bedenken, dass dies in den nächsten drei Jahren zu einer Neukonstituierung von Al-Kaida oder einer Erstarkung der Terrorgruppe IS führen könne.
    Im Pandschir-Tal in Afghanistan gibt es derzeit Kämpfe zwischen den Taliban und der sogenannten Nationalen Widerstandsfront von Afghanistan, in der sich Kräfte unter dem Milizenführer Ahmad Massud zusammengeschlossen haben.
    +++ Die islamistischen Taliban fordern nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan die Bundesregierung zur Aufnahme von diplomatischen Beziehungen auf. Da Berlin weiterhin afghanische Ortskräfte und gefährdete Personen aus dem Land am Hindukusch herausholen will, muss man auch auf die Forderung nach Finanzhilfen angemessen reagieren.
    Man wünsche sich starke Beziehungen zu Deutschland ebenso wie finanzielle Unterstützung und humanitäre Hilfe, sagte Taliban-Sprecher Mudschahid der Zeitung "Welt am Sonntag. Er sprach ferner von einer Kooperation bei Gesundheit, Landwirtschaft und Bildung. Die Deutschen seien in Afghanistan immer willkommen gewesen, so Mudschahid. Leider hätten sie sich den Amerikanern angeschlossen.
    Samstag, 4. September
    +++ Die UNO plant für den 13. September eine internationale Hilfskonferenz für Afghanistan. Nach Angaben eines Sprechers der Vereinten Nationen soll sie in Genf stattfinden. Dabei wolle Generalsekretär Guterres auch einen unbeschränkten Zugang für internationale Hilfseinsätze fordern. Afghanistan stehe vor einer humanitären Katastrophe, hieß es weiter. Jede dritte Person wisse nicht, wo sie ihre nächste Mahlzeit herbekommen solle.
    +++ Der Generalsekretär der deutschen Hilfsorganisation Care, Zentel, mahnte eine schnelle humanitäre Hilfe für die Menschen in Afghanistan an. Ansonsten drohe eine große Katastrophe im Land, sagte Zentel im Deutschlandfunk. Das liege nicht nur an der Machtübernahme der Taliban, sondern vor allem an einer Dürre. Er ergänzte, im Winter drohe eine deutliche Verschlechterung der Lage. Denn es gebe teilweise Temperaturen von minus 20 Grad - mit Menschen auf der Flucht, Nahrungsmittelknappheit, Armut und Währungsverfall sei das ein grausames Szenario. Nach UNO-Angaben dürften die Nahrungsmittelreserven des Welternährungsprogramms bis Ende September reichen.
    +++ Nach dem Rückzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan ist der Flughafen der Hauptstadt Kabul nach Angaben des Emirats Katar wieder geöffnet worden. Die Startbahn sei in Zusammenarbeit mit afghanischen Behörden repariert worden, sagte der katarische Botschafter dem Sender Al-Dschasira. Der Sender berichtete außerdem, Inlandsflüge in die Städte Masar-i-Scharif und Kandahar seien wieder aufgenommen worden. Katar hatte angekündigt, gemeinsam mit der Türkei und den Taliban an einer Wiederinbetriebnahme des Flughafens von Kabul zu arbeiten.
    +++ Im Pandschir-Tal in Afghanistan gerät eine Widerstandsbewegung, die sich den Taliban entgegenstellt, zunehmend unter Druck. Der Vizepräsident der Nationalen Widerstandsfront, Saleh, wies zwar Behauptungen zurück, die Taliban hätten das Tal bereits erobert. In einer Videobotschaft räumte er aber ein, dass die Situation schwierig sei. Seit Tagen liefern sich die islamistischen Taliban und ihre Gegner in der Gegend Gefechte. Das Tal gilt seit den 90er Jahren als Hochburg des Widerstands gegen die Taliban. Schon Massuds Vater hatte dort gegen die Islamisten gekämpft. Mehr Informationen dazu lesen Sie hier.
    +++ Bei einer Demonstration für Frauenrechte in der afghanischen Hauptstadt Kabul ist es zu Zusammenstößen gekommen. Mindestens eine Frau sei dabei verletzt worden, berichteten lokale Journalisten. Sie teilten das Video einer Frau, der Blut vom Kopf läuft. Videos von lokalen TV-Sendern und Aktivistinnen zufolge kam es bei der Demonstration zu chaotischen Szenen. Rund zwei Dutzend Frauen hatten zunächst friedlich in der Nähe des Präsidentenpalastes demonstriert. Wie auf in sozialen Medien geteilten Bildern zu sehen war, wurden sie daraufhin von mindesetens 50 Taliban umzingelt und angegriffen.
    +++ US-Außenminister Blinken wird in der kommenden Woche auf dem US-Militärstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz erwartet. Von dort aus will er zusammen mit Außenminister Maas eine Schaltkonferenz mit mehr als 20 Ländern leiten, die Schutzsuchende aus Afghanistan aufnehmen.
    Große grau angestrichene Transportflugzeuge der US-Luftwaffe stehen auf dem Militärflugplatz in Ramstein
    Transportflugzeuge der US-Luftwaffe stehen auf dem Militärflugplatz in Ramstein (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    +++ Unionskanzlerkandidat Laschet hat gefordert, den Druck auf die Taliban zu erhöhen und Hilfen für Afghanistan an Bedingungen zu knüpfen. Das Land hänge sehr von internationaler Hilfe ab, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Wenn man diese an Bedingungen knüpfe, könne die Ausreise gefährdeter Gruppen und die Einhaltung menschenrechtlicher Mindeststandards erreicht werden. Kanzleramtsminister Braun (CDU) sprach sich in der "Fuldaer Zeitung" für Gespräche mit den radikalislamischen Taliban aus. Die Entwicklungshilfe dürfe jetzt nicht vollkommen eingestellt werden. Zugleich versprach er fluchtwilligen Afghaninnen und Afghanen, die als Ortskräfte tätig waren und bisher das Land nicht verlassen konnten: "Wir werden sie nicht im Stich lassen."
    Der Grünen-Politiker Nouripour sagte der "Passauer Neuen Presse" ebenfalls, es gebe im Konflikt in Afghanistan keine andere Möglichkeit, als mit den Taliban zu verhandeln. Zugleich müsse Druck auf die neuen Machthaber in Afghanistan in Bezug auf deren geplante Regierung ausgeübt werden: "Wenn es eine Chance gibt, dass die Regierung breiter aufgestellt wird, dann nur, wenn man den Taliban klarmachen kann, dass sie sonst kaum international anerkannt werden." Sonst würden andere ethnische Gruppen und Frauen wohl nicht berücksichtigt.
    Freitag, 3. September
    +++ Mit den Evakuierungsflügen aus Afghanistan sind nach Angaben von Bundesinnenminister Seehofer auch 20 polizeibekannte Personen nach Deutschland eingereist. Einige von ihnen seien vor Jahren abgeschoben worden, erklärte der CSU-Politiker in München. Unter den eingereisten Afghanen seien unter anderen verurteilte Vergewaltiger. Zwei Personen wurden laut Seehofer aufgrund offener Haftbefehle in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Der Minister begründete die unerwünschte Einreise damit, dass auf dem Flughafen in Kabul nach der Machtübernahme der Taliban eine Notsituation geherrscht habe. Deswegen hätten manche Papiere erst nach der Ankunft in Deutschland überprüft werden können.
    +++ Die Taliban setzen auf China, um internationale Anerkennung zu erlangen. Die chinesische Regierung wolle ihre Botschaft in Kabul weiterbetreiben und "unsere Beziehungen im Vergleich zur Vergangenheit stärken", auch durch humanitäre Hilfe, erklärte ein Sprecher der Taliban auf Twitter. Die chinesische Regierung bestätigte die Aussagen. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte, neben dem Aufbau "offener und integrativer politischer Strukturen" und einer "gemäßigten Innen- und Außenpolitik" hoffe China auf einen "klaren Bruch der Taliban mit allen terroristischen Gruppen".
    +++ Die britische Regierung plant die Einführung von Integrationskursen für Tausende Afghanen, die als Folge der Machtübernahme der Taliban nach Großbritannien gekommen sind oder noch kommen sollen. Neben Sprachunterricht und Hilfe beim Einstieg in den Arbeitsmarkt sollen dabei auch Inhalte zur britischen Kultur sowie dem zivilgesellschaftlichen und politischen Leben vermittelt werden, teilte Innenstaatssekretär Jenrick einem Bericht der "Times" zufolge mit. Das als Pilotprojekt gedachte Programm orientiere sich unter anderem an den Integrationskursen in Deutschland, so die "Times" unter Berufung auf Regierungskreise.
    +++ Knapp drei Wochen nach der Taliban-Machtübernahme in Afghanistan nimmt die Regierung der radikalen Islamisten Form an. Der Chef des Taliban-Politbüros, Mullah Baradar, werde die Regierung in Kabul leiten, verlautete aus Taliban-Kreisen. Der Sohn des gestorbenen Taliban-Gründers Mullah Omar, Mullah Mohammad Jakub, werde eine hochrangige Position in der Regierung einnehmen, sagten drei mit den Vorgängen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Mit der Vorstellung einer Taliban-Regierung wird in Kürze gerechnet.
    +++ EU-Außenminister verständigen sich auf Bedingungen für Zusammenarbeit mit Taliban
    Der EU-Außenbeauftragte Borrell sagte nach Beratungen in Slowenien, die Taliban müssten eine Regierung unter Einbindung auch anderer politischer Kräfte im Land bilden und die Ausreise von schutzbedürftigen Menschen ermöglichen. Zudem sollen sie die Einhaltung von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit gewähren, humanitäre Hilfe ermöglichen und garantieren, dass Afghanistan nicht wieder zu einer Basis für international operierende Terrorgruppen wird. Er sagte weiter, man müsse mit der neuen afghanischen Regierung in einen Dialog treten. Das bedeute aber keineswegs eine politische Anerkennung. Wenn es die Sicherheitslage in Kabul erlaube, wollen die EU-Staaten eine gemeinsame diplomatische Präsenz vor Ort einrichten.
    +++ Das Bundesverteidigungsministerium hat laut einem Zeitungsbericht die Löschung aller Akten und Dateien zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr untersagt.
    Die Zeitung "Die Welt" berichtet, es entspreche damit einer Forderung der Grünen vergangene Woche im Verteidigungsausschuss des Bundestages. Die FDP verlangt der Zeitung zufolge Einsicht in einen geheimen Drahtbericht der deutschen Botschafterin in Washington, Haber, an das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium vom 6. August. Die Liberalen wollen demnach wissen, ob die Bundesregierung in dem Drahtbericht bereits über den bevorstehenden Einsatz der USA in Kabul informiert wurde und die eigene Evakuierungsmission verspätet begonnen hatte.
    +++ Bundesaußenminister Maas hält es für möglich, die gestoppten Entwicklungshilfe-Zahlungen für Afghanistan wieder aufzunehmen.
    Voraussetzung sei eine Regierung, die nicht nur aus Taliban bestehe, sagte der SPD-Politiker gestern Abend zu Beginn des EU-Außenministertreffens in Slowenien. Zudem müssten grundlegende Menschen- und Frauenrechte gewahrt werden. Afghanistan dürfe auch nicht zu einem "neuen Hort für Terrorismus" werden.
    +++ Rund 17.000 Menschen aus Afghanistan warten in Deutschland auf US-Stützpunkten auf ihre Weiterreise in die USA.
    Auf dem US-Drehkreuz Ramstein in Rheinland-Pfalz werden aktuell 12.000 Personen überprüft, wie der Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, Wolters, bei einer Videoschalte im Pentagon sagte. Weitere 5.000 hielten sich in der US-Militäranlage in Kaiserslautern auf. Schutzsuchende wie etwa ehemalige Ortskräfte der USA in Afghanistan und ihre Familien werden auf den Stützpunkten der USA registriert und bei Bedarf medizinisch behandelt.
    +++ Die Vereinten Nationen nehmen nach eigenen Angaben ihren humanitären Flugdienst in Afghanistan wieder auf.
    Dadurch soll es 160 Hilfsorganisationen ermöglicht werden, ihre Arbeit in den Provinzen des Landes fortzusetzen. UNO-Sprecher Dujarric sagte, der vom Welternährungsprogramm organisierte Flugdienst für Passagiere verbinde die pakistanische Hauptstadt Islamabad mit den Städten Masar-i-Scharif im Norden und Kandahar im Südosten von Afghanistan. Seit Sonntag hätten bereits mehrere Flüge stattgefunden. Man arbeite daran, diese Einsätze wo schnell wie möglich auszuweiten.
    Donnerstag, 2. September
    +++ Afghaninnen haben vor dem Büro des Gouverneurs der westlichen Provinz Herat für Frauenrechte demonstriert.
    Sie forderten die neue Regierung auf, die erreichten Fortschritte bei Frauenrechten nach der Machtübernahme der Taliban beizubehalten. Frauen sollten eine politische Teilhabe an der neuen Regierung haben und im Ältestenrat, der Loja Dschirga, vertreten sein. Einige örtliche Familien hätten es Frauen aus Furcht um deren Sicherheit nicht erlaubt, sich an der Demonstration zu beteiligen, sagte eine Organisatorin. Circa 35 Frauen nahmen an der Kundgebung teil. Weitere Proteste seien geplant.
    +++ Die Dachverbände der christlichen Kirchen in Europa haben die EU aufgerufen, Flüchtlingen aus Afghanistan zu helfen.
    Die Konferenz Europäischer Kirchen und die Kommission der Bischofskonferenzen veröffentlichten in Brüssel einen gemeinsamen Appell. Darin heißt es, man fordere die Europäische Union auf, von den Taliban bedrohte Menschen nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Konkret solle die EU bei der Schaffung von humanitären Korridoren und anderen sicheren Übergängen mitwirken, um Flüchtlinge an sichere Orte außerhalb Afghanistans zu bringen. Afghaninnen und Afghanen, die bereits in der EU seien, müssten einen sicheren Aufenthalt erhalten und Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt werden.
    +++ Sieben der von der Bundeswehr ausgeflogenen Menschen aus Afghanistan sind laut Innenminister Horst Seehofer (CSU) in Deutschland bei Sicherheitsüberprüfungen aufgefallen.
    "Drei hatten gefälschte Dokumente dabei, und vier waren schon einmal als Straftäter von Deutschland nach Afghanistan abgeschoben worden", sagte Seehofer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Bundeswehr hatte nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban insgesamt fast 4500 Menschen über den Kabuler Flughafen ausgeflogen.
    +++ Die AfD will generell nicht, dass weitere Afghanen in Deutschland Asyl beantragen.
    Er sei für "Abweisung an der Grenze", sagte der Parteivorsitzende Tino Chrupalla im Interview der Deutschen Welle. Wer über die Landesgrenze nach Deutschland komme, habe zuvor einen "sicheren Drittstaat" passiert. Eine Einreise von Asylsuchenden per Flugzeug lehne seine Partei ebenfalls ab, ergänzte Chrupalla.
    Wir haben die unterschiedlichen Haltungen zum Thema afghanische Flüchtlinge hier für Sie zusammengefasst.
    +++ Die Regierung von Katar ist zuversichtlich, dass der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul bald wieder den Betrieb aufnehmen kann.
    Der Außenminister Katars, Al-Thani, sagte in Doha, man verhandele darüber mit den Taliban. Diese müssten dafür sorgen, dass Ausreisewillige das Land sicher verlassen könnten. Die Türkei werde technische Hilfe leisten. Nach einem Bericht des Senders Al-Dschasira könnten morgen zunächst Inlandsflüge wieder aufgenommen werden.
    +++ Die Grünen wollen in der Sondersitzung des Bundestages nächste Woche erneut über die Vorgänge in Afghanistan debattieren.
    Das Plenum müsse sich mit der dramatischen Lage in dem Land befassen, erklärte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin, Haßelmann, in Berlin. Die Bundesregierung habe monatelang gezögert, afghanische Ortskräfte und bedrohte Menschen rechtzeitig auszufliegen. Sie sei dafür verantwortlich, dass die Evakuierungen nun unter schwierigsten Bedingungen stattgefunden hätten. Dieses Desaster müsse in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden, fügte Haßelmann hinzu.
    Der Plenarsaal der 237. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin
    Die Grünen möchten, dass sich der Bundestag erneut mit Afghanistan befasst. (dpa / Geisler-Fotopress / Frederic Kern)
    Mittwoch, 1. September
    +++ Die Vereinten Nationen warnen vor dem Versiegen von Nahrungsmittelhilfen für Millionen notleidende Afghanen.
    Bis Ende September würden die Vorräte, die das Welternährungsprogramm im Land habe, aufgebraucht sein, sagte der stellvertretende UNO-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Alakbarov. Er betonte, dass die humanitäre Hilfe nicht mit den nötigen finanziellen Mitteln der Mitgliedsstaaten ausgestattet sei - es würden akut mindestens 200 Millionen US-Dollar benötigt. Die Vereinten Nationen versuchen nach eigenen Angaben, im gesamten Land etwa 18 Millionen Notleidende mit Hilfsgütern zu versorgen - momentan könnten aber nur etwa neun Millionen Menschen erreicht werden.
    +++ Die USA haben mit ihrem Militäreinsatz in Afghanistan nach Einschätzung des russischen Präsidenten Putin nichts erreicht.
    Putin erklärte, zwei Jahrzehnte lang hätten die US-Soldaten versucht, westliche Normen in Afghanistan zu verankern. Im Ergebnis habe dies zu einer schieren Tragödie mit vielen Verlusten geführt - sowohl auf seiten der USA als auch auf Seiten Afghanistans. Der russische Präsident betonte, es sei unmöglich, Afghanistan etwas von außen aufzuzwingen.
    +++ Die britische Regierung ist nach eigenen Angaben vom schnellen Vordringen der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan überrascht worden.
    Die Einschätzung sei gewesen, dass es "unwahrscheinlich" sei, dass die Taliban noch 2021 die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul übernehmen, sagte Außenminister Raab in London in einem Parlamentsausschuss. Vom Abzug der Alliierten an sei zwar mit einer ständigen Verschlechterung der Situation gerechnet worden. "Es war unwahrscheinlich, dass Kabul dieses Jahr fallen würde", so Raab. Diese Einschätzung sei auch von den Nato-Partnern geteilt worden und habe lange Bestand gehabt
    +++ US-Präsident Biden hat nach dem Ende des knapp 20-jährigen Militäreinsatzes in Afghanistan Konsequenzen für künftige Missionen angekündigt.
    Die Ära großer Armee-Operationen zur Umgestaltung anderer Länder sei zu Ende, sagte Biden in einer Ansprache im Weißen Haus in Washington. Aus den Fehlern der Vergangenheit müsse gelernt werden. Seinen Kritikern hielt der Präsident entgegen, er habe den Krieg nicht ewig verlängern wollen. Er stehe zu seiner Entscheidung, das Land zu verlassen und den Konflikt nicht zu schüren. Zugleich dankte Biden den amerikanischen Soldaten für ihre Arbeit und würdigte die inzwischen eingestellten Evakuierungsflüge aus der Hauptstadt Kabul als herausragende Leistung.
    "Auch für Joe Biden gilt America first", meint der Politikwissenschaftler Carlo Antonio Masala im Dlf-Interview.
    +++ UNO-Generalsekretär Guterres hat vor einer humanitären Katastrophe in Afghanistan gewarnt.
    Guterres erklärte in New York, er bitte die Mitgliedsländer der Vereinten Nationen darum, den Menschen in Afghanistan in der dunkelsten Stunde der Not zu helfen. Fast die Hälfte der afghanischen Bevölkerung sei auf Hilfe angewiesen. Zu den Kriegsschäden kämen eine schwere Dürre und der bevorstehende Winter hinzu. Es müssten schnell Lebensmittel, Notunterkünfte und Medizinprodukte ins Land gebracht werden, betonte der Generalsekretär.
    +++ In der Frage der Flüchtlinge setzen die EU-Staaten vor allem auf eine Unterbringung in den Nachbarstaaten Afghanistans.
    Die EU-Innenminister beauftragten gestern in einer Sondersitzung in Brüssel die Europäische Kommission, einen Plan für finanzielle Hilfen für diese Länder auszuarbeiten. Besonders gefährdete Menschen wie Frauen und Kinder sollen zudem durch freiwillige Umsiedlungen in EU-Staaten aufgenommen werden können. Allerdings lehnen dies vor allem Österreich, Tschechien und Dänemark für sich ab.
    Pakistan, Iran, Katar - Wer sind die Partner der Taliban in der Region?
    +++ Der Migrationsexperte Gerald Knaus rechnet angesichts der humanitären Lage in Afghanistan mit einer größeren Fluchtbewegung.
    Eine massenhafte Zuwanderung nach Europa wie 2015 sei aber nicht zu erwarten, sagte Knaus der "Rheinischen Post". Die Grenze zwischen dem Iran und der Türkei sei heute mit Mauern, Drohnen und Zehntausenden Soldaten "hart abgeriegelt". Die Gefahr sei daher eher, dass auch viele Menschen gar nicht erst herauskämen, denen man Schutz bieten wolle und eine Einreise nach Deutschland versprochen habe. Entscheidend werde in diesem Zusammenhang auch das Verhalten von Ländern wie Iran und Pakistan sein.
    Zu den Entwicklungen vor dem 1. September geht es hier.