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"Newsguard"
Warnschilder gegen gefälschte Nachrichten

Die Software "Newsguard" will das Erkennen von glaubwürdigen und zweifelhaften Nachrichtenseiten erleichtern. Dafür werden die Angebote mit grünen Häkchen oder roten Warnzeichen versehen. Kritiker finden, dass das wenig differenziert ist.

Von Susanne Hoffmann | 27.05.2019
    Ein Verkehrsschild mit der Aufschrift "Stop Falsch"
    "Newsguard" will Hinweise geben, ob eine Internetseite vertrauenswürdig ist. (Tobias Hase/dpa)
    "Hier sieht man, dass faz.net einen Wert von 100 hat. Die erfüllen alle Kriterien. Und PI-News hat einen Score von 17,5. Faz.net hat deswegen ein grünes Label und PI-News hat ein rotes", sagt Stephan Mündges. Der Journalist sitzt vor seinem Computer und scrollt durch die Labels, die er geschrieben hat. Er ist einer von rund zehn Journalisten, die für das amerikanische Start-Up "Newsguard" deutsche Medien im Internet bewerten.
    Seit vergangener Woche ist jede größere Nachrichtenseite mit einem kleinen Symbol versehen: Ein grüner Haken dient als Gütesiegel, ein rotes Ausrufezeichen als Warnsignal. Zu sehen bekommt die, wer sich ein kostenloses Plugin auf den Browser installiert.
    Einschätzung auf Grundlage verschiedener Quellen
    Das Ziel: Die Nutzer sollen schnell und eindeutig erkennen können, ob eine Seite vertrauenswürdig ist oder nicht. Wie kommen Mündges und seine Kollegen zu ihren Urteilen? Ein Blick auf die Startseite reiche nicht. "Es ist ein relativ langer Prozess und eine lange Recherche, wo man viel zusammenträgt. Was ist aktuell auf der Seite, was ist auch in den vergangenen Jahren passiert. Wir schauen dabei nicht nur auf die Seite selbst, sondern bedienen uns auch so ein bisschen bei anderen. Das heißt, wir gucken auch zum Beispiel bei anderen Factchecking-Seiten, wo offensichtliche Falschinformationen schon mal als solche entlarvt wurden. Wir gucken uns an beim Presserat: Gibt es da bestimmte Entscheidungen, die der getroffen hat?", erläutert Mündges das Vorgehen.
    Gegründet wurde "Newsguard" 2018 von den zwei US-Journalisten Steven Brill und Gordon Crovitz. Die Leitung des deutschen Teams übernimmt Alina Fichter, ehemaliges Mitglied der Zeit-Online-Chefredaktion. Die Bewertung basiert auf neun journalistischen Kriterien aus den Bereichen Glaubwürdigkeit und Transparenz. Jedes erfüllte Kriterium gibt Punkte. Der Höchstwert liegt bei 100. Erreicht ein Medium weniger als 60 Punkte, bekommt es ein rotes Label.
    Kommunikationswissenschaftler: Wenig differenziertes Urteil
    Die Symbole werden auf der Webseite und bei der Google-Suche angezeigt. Mit einem Klick können die Nutzer sehen, welche Kriterien die Seite erfüllt. Wer noch mehr wissen möchte, kann sich den Bewertungstext durchlesen. Mit einem roten Label sind Webseiten wie RT Deutsch gekennzeichnet. Die klassischen Nachrichtenmedien sind ausnahmslos grün markiert – von Süddeutsche.de über Bild.de bis hin zu Focus Online.
    Philipp Müller, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Mannheim, kritisiert, dass kaum eine Differenzierung zwischen den Verlagshäusern stattfindet. "Bei der Bild-Zeitung steht zum Beispiel als positiver Aspekt, dass eine klare Unterscheidung zwischen Meinung und Nachricht stattfindet. Das würde der Journalismusforscher gerade bei Bild.de nicht unbedingt so sehen. Ich glaube, da ist Angst bei "Newsguard" höher, es sich mit großen etablierten Verlagshäusern zu verscherzen, als dass sie wirklich eine sehr rigide Bewertung der journalistischen Angebote vornehmen würden."
    "Ich bezweifle, dass die Nutzer da so ein großes Bedürfnis haben"
    Müller lobt die Idee des Angebots. Er weist jedoch auch darauf hin, dass die Verbreitung von Fake News geringer sei als bisher angenommen. So zeige eine Studie des Oxford Internet Institute, dass Falschmeldungen zumindest in Bezug auf die Europawahl ein überschätztes Problem waren. Und Müller fragt sich, ob die Leser ein solches Tool wirklich wollen.
    "Ich bezweifle, dass die Nutzer da so ein großes Bedürfnis haben. Einfach auch, weil die Installation von "Newsguard" – die bewusste, aktive – bedeuten würde, man gesteht sich ein, dass man selbst nicht dazu in der Lage ist, Nachrichtenquellen richtig zu bewerten. Dies wird kaum jemand über sich selbst sagen, weil Menschen grundsätzlich erstmal dazu tendieren, sich selbst als kompetent einzuschätzen."
    "Newsguard" als Medienkompetenz-Vermittler?
    Christoph Neuberger, Kommunikationswissenschaftler an der LMU in München, bewertet "Newsguard" dagegen grundsätzlich positiv. Auch wenn sich Desinformation im Netz nicht verhindern ließe, könne das Tool zumindest Warnhinweise aussenden. "Es schärft, glaube ich, das kritische Bewusstsein der Nutzer. Es soll ja jetzt nicht darum gehen, naives Vertrauen jetzt wiederum auf "Newsguard" zu übertragen. Sondern gerade die Transparenz, das Offenlegen der Kriterien, auch die Möglichkeit, dass man Fehler korrigieren kann, sollte eigentlich dazu bringen, dass wir jetzt alle lernen, wie man mit Nachrichten umgeht, und dass quasi im Netz niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat."
    Unklar bleibt, wie viele Menschen das Plugin tatsächlich installieren werden. Bis jetzt ist es nur bei Microsoft Edge vorinstalliert, Gespräche mit anderen Plattformen wie Facebook laufen. Ob "Newsguard" Verbreitung findet, hängt wohl auch davon ab, wie viele der großen Technologiekonzerne kooperieren.