Ist Qualitätssiegeln zu trauen? Gibt es Jeans ohne enormen Wasserverbrauch und Schokolade ohne Sklavenarbeit? Solche Fragen hat sich ein neues Medien-Startup aus Hamburg-St. Pauli vorgenommen: "Let’s flip it" übersetzt so viel wie: "Gehen wir es anders an". Das ist auch für die Macher Christian Salewski und Felix Rohrbeck anders - zwei Wirtschaftsjournalisten, die bisher bei großen Medienhäusern gearbeitet haben.
"Wir kommen ja aus dem investigativen Wirtschaftsjournalismus und haben immer Skandale aufgedeckt, Probleme beschrieben. Und dann waren wir eigentlich fertig. Die Leute haben sich aufgeregt und dann war die Sache für uns zu Ende. Und die Grundidee ist, da jetzt nicht aufzuhören, sondern gemeinsam mit unseren Lesern, unserer Community auch nach Lösungen zu suchen", sagt Felix Rohrbeck.
Und das läuft so: Einmal in der Woche verschickt die "Flip"-Redaktion einen Newsletter. Darin nimmt sich das Team ein Thema vor, etwa: Jeans. Es folgt dabei einer festen Struktur. Am Anfang steht das Problem: Jeans zum Beispiel werden unter hohem Wasserverbrauch hergestellt und selten recycelt. Das Team präsentiert eine Lösungsidee: hier ein Jeans-Abo aus den Niederlanden. Und fragt Experten: Könnte so eine Lösung aussehen? Und am Ende sollen dann die Leserinnen und Leser auf einer Skala von eins bis zehn bewerten: eher ein "Flop" oder ein "Flip"? Aus diesem Rückkanal ergibt sich der "Flip-Score". Dieser Wert kann als Wegweiser, als Orientierungshilfe dienen.
Positiv, nicht werblich soll es sein
Dass es durchaus auch mal etwas Positives zu berichten gebe, sei für die investigativen Reporter eine ziemliche Umstellung gewesen: "Sich das auch mal zu erlauben, ein kommerzielles Unternehmen nicht in Grund und Boden zu stampfen, sondern zu sagen: Ey, was ihr macht, ist am Ende cool, es hilft, es wirkt. Das fiel uns selber schwer. Und fällt uns manchmal immer noch schwer. Gerade wenn man das Gefühl hat, irgendetwas Kritisches muss noch auch rein. Meistens findet man auch irgendwas, aber es ist schon so: Manchmal muss man auch sagen, sie machen einen guten Job."
Positiv könne die Analyse schon ausfallen, werblich hingegen nicht. Da bleiben sie journalistischen Prinzipien treu. Christian Salewski nennt das "investigativ, partizipativ, lösungsorientiert". "Das ist die Schnittmenge, von der wir glauben, im Wirtschaftsjournalismus, dass es die noch nicht wirklich gibt – anderswo. Oder gibt es vielleicht mal, aber nicht als Kernkonzept, und das soll 'Flip' machen."
Wenn nötig, mit Kooperationen
Außer den beiden Journalisten gehören noch die Zwillingsbrüder Christian und Dominik Sothmann zum Gründungsteam. Sie bringen das Wissen um Geschäftsmodelle und Digitalplattformen mit. Investigativer Journalismus ist aufwändig und teuer. Für größere Recherchen arbeitet das kleine Team deshalb mit etablierten Medienhäusern wie der "Zeit" oder dem NDR zusammen.
"In Zukunft wollen wir auch wieder mehr Greenwashing aufdecken, irgendwelche Unternehmen, die sagen - was weiß ich - sie sind die Supertollsten und lösen dies und jenes Problem und eigentlich machen sie gar nichts. Das würde auch wieder mehr im Newsletter vorkommen. Und die große Kunst ist - glaube ich - dieses alte Wir-gucken-ganz-kritisch-hin-und-wir-schlagen-auch-drauf-wenn-es-Mist-ist, und dieses, was wir jetzt mehr machen, dieses Konstruktive So-kann-es-besser-werden, das irgendwie zusammenzuführen", sagt Rohrbeck.
Abomodell denkbar
Mut mache den "Flip"-Gründern, dass auch in den USA Newsletter florieren. Dort haben einzelne Autoren zum Teil Hunderttausende zahlende Abonnenten, zum Beispiel über den vielbeachteten Dienst Substack. Auch "Flip" hebt sich als Newsletter-Magazin von gängigen Medienangeboten ab. Der gesamte Inhalt kommt per Mail, auf der Website sind die Inhalte hingegen nicht zu finden. Christian Salewski: "Das ist eigentlich ein schönes Modell, und dass das sozusagen jetzt in den USA so fliegt und da auch irgendwie viel Geld verdient wird und ganz viele auch Verlage draufspringen, bestärkt uns ja nur darin, dass wir da einen richtigen Weg wählen."
Die Anschubfinanzierung kommt aus Stiftungsgeldern und Rechercheförderungen. Dauerhaft wäre etwa ein Abo-Modell für den Newsletter denkbar. Langfristig soll das Projekt nach dem Wunsch der Gründer eben nicht nur inhaltlich, sondern auch finanziell nachhaltig aufgestellt sein.