Susanne Luerweg: Jeder dritte Deutsche daddelt oder feiner formuliert: ein Drittel der Bevölkerung beschäftigt sich mit digitalen Spielen. Und die müssen längst nicht immer Gewalt oder Krawall basiert sein. Inzwischen gibt es feministische Computerspiele, in denen die Spielerinnen in verschiedene Frauenrollen schlüpfen können, oder "Arsdoom", angelehnt an das Egoshooter Spiel "Doom". Nur bei "Arsdoom" schießen die Spielerinnen nicht auf Menschen, sondern auf berühmte Kunstwerke. Ist das vielleicht die Zukunft der digitalen Spiele? Die Kunst?
Auf dem Next Level Festival in Düsseldorf wird unter anderem auch diese Frage ab morgen verhandelt. Der Kurator, Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler Stephan Schwingeler hat Next Level von Beginn an begleitet, häufig bei der Programmgestaltung mitgemischt, die sozialen Medien betreut und diesmal wird er zwei Panels moderieren. Heute ist er aber noch in Stuttgart, wo ich ihn in einem Studio begrüße.
Bislang, da kennen viele von uns ja nur so Blockbuster unter den Computerspielen, wie "Call of Duty". Sind diese Ego-Shooter wirklich die Zukunft?
Stephan Schwingeler: Natürlich wird es immer weiter diese Blockbusterspiele geben, wie zum Beispiel "Call of Duty", "Battlefield", etc. Das sind aber nicht immer nur Ego-Shooter Spiele, sondern auch im Blockbusterbereich gibt es allerlei unterschiedliche Genres, Facetten des Computerspiels und ganz diverse unterschiedliche Arten von Computerspielen. Es ist aber herauszustellen, dass der Computerspielbereich, das Computerspiel als Medium, nicht nur besteht aus diesem Mainstream-Blockbusterbereich. Sonders: Da gibt es noch viel, viel mehr.
"Das Feld ist sehr facettenreich und mannigfaltig"
Luerweg: Also genauso wie der Filmbereich, der nicht nur aus Blockbustern, wie Marvel-Superhelden besteht, gibt es auch im Games-Bereich, die kleinen, feinen Kunstwerke.
Schwingeler: Genauso ist es. Diese Analogie zum Film und zum Filmsystem vor allem kann man sehr wohl ziehen. Das Hollywoodkino auf der einen Seite produziert Superheldenfilm nach Superheldenfilm. Aber es gibt natürlich im Filmbereich auch den Arthouse-Bereich, das unabhängige Kino. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Medium Film beschäftigen. Es gibt allerlei Arten. Es gibt zum Beispiel auch gewaltverherrlichende Filme, es gibt pornographische Filme etc. Das Feld ist sehr facettenreich und mannigfaltig, variantenreich. Und so verhält sich das bei Computerspielen eben auch: Wir haben auf der einen Seite den Mainstream. Wir haben auf der anderen Seite, vor allem in den letzten Jahren können wir das sehr gut beobachten, auch eine sich formierende, immer größer werdende so genannte Independent-, Indie-Szene. Also unabhängige Computerspieldesignerinnen und -designer, die nach ganz neuen Themen suchen, auf der Suche sind und das Computerspiel damit, könnte man sagen, zu neuen Ufern führen.
Luerweg: Sie sagen es gerade, es wird nach neuen Themen gesucht. Aber was sind das für Themen? Also es gibt eben beispielsweise inzwischen feministische Computerspiele, es gibt dieses "Arsdoom". Das ist inzwischen auch schon relativ alt, das wurde 1995 auf den Weg gebracht. Es gibt auch ein Spiel vom Videokünstler Bill Viola, da wird, glaube ich, der Spieler auf einer einsamen Insel ausgesetzt und muss mit seinen Gedanken neue Welten erschaffen. Also, in welche Richtung geht das? Ist das ganz divers auf dem freien Spielemarkt?
Schwingeler: Ja, es ist divers. Sie haben zwei Bereiche schon angesprochen. Der eine Bereich, das sind eben die Indie-Spiele, die zum Beispiel sozial relevante Themen sich vornehmen und da auf der Suche sind, sich zum Beispiel auch politisch auszudrücken. Das ist zum Beispiel ein feministisches Spiel wie "Perfect Women" von Lea Schönfelder und Peter Lu, in dem man ganz buchstäblich in Frauenrollen schlüpfen muss, sich verbiegen und verrenken muss vor der Spielkonsole, um bestimmten Abziehbildern eines weiblichen Stereotyps gerecht zu werden. Auf der anderen Seite gibt es politische Spiele, die zum Beispiel Missstände anprangern, die ganz explizite politische Botschaften haben. Da geht es um Migrationsfragen und -problematiken. Da geht es zum Beispiel in dem Spiel "Frontiers" drum, der österreichischen Künstlergruppe Goldextra. Es gibt ein Spiel "Phone Story" eines italienischen Designers namens Molleindustria in dem er die Produktionsprozesse des iPhones als Karikatur, als überspitze Satire darstellt und das in den AppStore von Apple hochlädt, sodass man dieses Spiel auf einer Metaebene auf seinem eigenen iPhone spielen kann.
Der Autor kommt zurück
Luerweg: Independentfilme haben es in der Regel schwer auf dem Markt. Ist das bei den Spielen, nehme ich mal an, ähnlich?
Schwingeler: Natürlich sind die Indie-Spiele und auch die künstlerischen Spiele nicht vergleichbar was die wirtschaftlichen Faktoren angeht, wie die schon eingangs erwähnten Blockbusterspiele der großen Publisher. Es ist aber so, und das kann auch eine Stärke eines Indie-Spiels oder eines künstlerischen Spiels sein, dass wir hier wieder die Figur des Autoren sehen, der gewissermaßen zurückkommt und der das gesamte Spiel, das gesamte Werk tatsächlich, aus einer Hand plant, designt, vertreibt und dafür steht.
Luerweg: Also ein Kunstwerk. Sie haben ihre Doktorarbeit zu dem Thema verfasst: "Kunstwerk Computerspiel". Und unter Umständen könnten auf dem Next-Level-Festival kunstvolle Computerspiele entdeckt werden?
Schwingeler: Ja, selbstverständlich. Ich hoffe, dass ich dort neue, spannende Sachen sehen werde. Das Next-Level-Festival steht für diesen Ansatz oder für dieses Denken und auch das Sprechen über Computerspiele. Nämlich dafür, dass Computerspiele nicht nur Mainstream-Computerspiele sind, sondern, dass sie ein facettenreiches Medium sind, dass eine längere Geschichte hat, als so mancher glaubt. Die ersten Computerspiele gibt es in den 1950er Jahren schon. In der Zeit bis heute hat sich ein Repertoire an computerspielspezifischen Mitteln entwickelt. Und die werden auf ganz kreative, unterschiedliche Art und Weise eingesetzt.
Luerweg: Das erste Mal, glaube ich, dass sich Künstler mit Computerspielen beschäftigt haben, heißt es, sei 1995 gewesen. 2012 hat das MoMa sogar Computerkunst gezeigt. Trotzdem ist es in den Köpfen vieler Menschen: Computerspielen ist irgendwie gesellschaftlich noch nicht so richtig anerkannt. Woran liegt das?
Schwingeler: Es ist eben die Frage aus welcher Perspektive man das betrachtet. Im breiten Mainstream der Öffentlichkeit ist vielleicht auch nicht unbedingt angekommen, dass Salvador Dalí und Luis Buñuel oder Eisenstein in den 20er Jahren Vertreter einer Avangardefilmbewegung waren. Computerspiele sind in der Öffentlichkeit besonders präsent durch ihre Mainstreamausformung, aber wie Sie schon gesagt haben, auch das MoMa interessiert sich dafür, auch das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe interessiert sich dafür. Es gibt das Computerspielemuseeum in Berlin etc. - und es gibt natürlich auch immer wieder Computerspiele im Feuilleton. Ähnlich, wie sich das im Film verhält. Das Medium Film ist auch mehr, als "Dr. Strange" oder "Spiderman".
"Die unabhängige Szene ist viel stärker geworden"
Luerweg: Kommen wir zum Abschluss noch einmal auf das Festival zu sprechen, das Next-Level-Festival, was morgen in Düsseldorf beginnt. Seit sieben Jahren findet das statt. Zunächst als Konferenz, jetzt als Festival - wird als geöffnet für die breitere Masse. Sie waren immer dabei. Wie hat sich das Computerspiel entwickelt? Ich nehme an rasant? Es hat sich viel verändert zwischen 2009 und heute?
Schwingeler: Ja, natürlich. Es hat sich viel verändert. Die unabhängige Szene ist viel stärker geworden. In der Zwischenzeit haben sich auch große Institutionen verstärkt beschäftigt mit Computerspielen. Inzwischen hat sich der Diskurs über Computerspiele in eine Richtung verschoben, die ich auf der einen Seite viel aufgeklärter und viel akademischer beschreiben würde, auf der anderen Seite gibt es aber auch im Internet das Thema Hate Speech und Ressentiments etc., da gibt es auch ganz schön Gegenwind gegen die aufgeklärten Gamedesigner, die zum Beispiel feministische Spiele machen.
Luerweg: Wann sind die Computerspiele komplett in der Gesellschaft angekommen?
Luerweg: Wann sind die Computerspiele komplett in der Gesellschaft angekommen?
Schwingeler: Die Tatsache, dass ich hier im Deutschlandfunk sitze und mit Ihnen darüber rede unterstreicht das ein bisschen. Dieser Satz, "Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", ist vor allem in der akademischen Szene, die sich mit Computerspielen auseinandersetzt so eine Art geflügeltes Wort, beziehungsweise so eine Art Running Gag. Seit man sich akademisch mit Computerspielen auseinandersetzt, fällt dieser Satz immer wieder.
Luerweg: Der Kurator, Kunsthistoriker und Medienwissenschaftler Stephan Schwingeler zur Zukunft der digitalen Spiele. Die übrigens ab morgen auf dem Next-Level-Festival im Düsseldorfer NRW-Forum verhandelt wird. Das Festival beginnt morgen und geht dann noch bis Sonntag.
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