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Niall Ferguson: Die Geschichte der Rothschilds - Die Propheten des Geldes

Der Terror beginnt jenseits des Terrains der Ökonomie, im rein ideologischen Raum, wo nur noch auf das transzendente Heilsversprechen spekuliert wird. Umgekehrt schützt der 'Basar’, also der Geldkreislauf, verlässlich vor den Exzessen des Hasses.

Albrecht Betz |
    Der Terror beginnt jenseits des Terrains der Ökonomie, im rein ideologischen Raum, wo nur noch auf das transzendente Heilsversprechen spekuliert wird. Umgekehrt schützt der 'Basar’, also der Geldkreislauf, verlässlich vor den Exzessen des Hasses.

    Matthias Horx, Zeitgeistakrobat und schwadronierender Prophet der Globalisierung, schreibt das in der "Welt". Nun kann es keinen Zweifel daran geben, dass insbesondere im letzten Jahrhundert mannigfaltige Heilsversprechen Anlass und Vorwand für furchtbaren Terror waren, aber die Ideologieproduktion beginnt da, wo diese Erkenntnis zur Rehabilitierung des Ökonomischen funktionalisiert wird. Mit anderen Worten: Hitler kann nicht verstehen, wer den Diktator zur Marionette der Großindustrie und der Junker reduziert, aber wer diesen Aspekt völlig ausklammert, verkennt ebenso das Wesen des Nationalsozialismus. Vergleichbares ließe sich zum aktuellen Thema Öl und Irakkrieg sagen. Horx setzt zu seinem ideologischen Tiefflug in einer Rezension von Niall Fergusons Geschichte der Rothschilds an. Unser Rezensent, Albrecht Betz, ist in Fergusons Werk auf eine durchaus differenzierende Argumentation gestoßen.

    Da kam Rothschild und zerstörte die Oberherrschaft des Bodens, indem er das Staatspapierensystem zur höchsten Macht erhob, dadurch die großen Besitztümer und Einkünfte mobilisierte und gleichsam das Geld mit den ehemaligen Vorrechten des Bodens belehnte. Er stiftete freilich dadurch eine neue Aristokratie, aber diese, beruhend auf dem unzuverlässigsten Elemente, dem Gelde, kann nimmermehr so nachhaltig mißwirken wie die ehemalige Aristokratie, die im Boden, in der Erde selber, wurzelte. Geld ist flüssiger als Wasser, windiger als Luft, und dem jetzigen Geldadel verzeiht man gern seine Impertinenzen, wenn man seine Vergänglichkeit bedenkt ..., er zerrinnt und verdunstet, ehe man sich dessen versieht.

    So hellsichtig sah Heinrich Heine bereits 1840, im Pariser Exil, die unfreiwillig revolutionäre Rolle der Rothschilds; ohne indessen blind zu sein für die andere Seite ihrer Rolle: die der "Agenten der Reaktion", und auch hierfür fand er ein berühmt gewordenes, kulturkritisch gemeintes Wortspiel:

    Das Geld ist der Gott unserer Zeit, und Rothschild ist sein Prophet.

    Jede Bank hat eine Geschichte, doch nur die Rothschilds haben einen Mythos. Dank ihres märchenhaften Aufstiegs innerhalb zweier Generationen wurden sie zur Legende des Kapitalismus, wurden sie bewundert und angefeindet. Als Münzhändler haben sie begonnen, und seit mehr als 200 Jahren handeln sie mit Geld. Der Gründungsvater, Mayer Amschel Rothschild aus der Frankfurter Judengasse, diente sich im 18. Jahrhundert hoch - vom Münzhändler zum Bankier des hessischen Kurfürsten - und schuf ein multinationales Finanzunternehmen, das heute in der achten Generation noch immer in Familienbesitz ist: eine Dynastie.

    Der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson, in Oxford lehrend und calvinistischer Herkunft, hat mehrere Jahre darangesetzt, Mythos und Wirklichkeit dieser legendenumwobenen Familie miteinander zu konfrontieren; vor allem in deren großem Jahrhundert, dem 19., das für Geschichtsschreiber bekanntlich bis zum Ersten Weltkrieg reicht. Als erster konnte Ferguson die verschlüsselte Privatkorrespondenz der europaweit operierenden Rothschilds verwerten: geschrieben in Judendeutsch mit hebräischen Schriftzeichen. Diese Korrespondenz ist nicht zuletzt deshalb so aufschlussreich, weil sie eines der Erfolgsgeheimnisse des Rothschild-Clans und seiner Dominanz der europäischen Geldmärkte zugleich offenbart und illustriert: das "Gebot unverbrüchlicher Eintracht" unter den Rothschild-Brüdern als den Teilhabern des Unternehmens, die geschäftlichen Absprachen, die wechselseitigen Gewinnbeteiligungen. Strategisch waren die "fünf Frankfurter", das heißt die fünf Söhne des Gründungsvaters, über Europa verteilt, mit Firmensitzen in London, Paris, Wien, Neapel und Frankfurt.

    Und sie hatten früh begriffen, wie wichtig im Zeitalter der Börse nicht nur die exakte Information, sondern die Schnelligkeit von deren Übermittlung ist. Zahlreiche ihrer Erfolge gehen auf Informationsvorsprünge gegenüber ihren Konkurrenten zurück. Sie suchten die Nähe von Entscheidungsträgern - Fürsten, Minister, Diplomaten - und kommunizierten ihr Insider-Wissen untereinander mittels der schnellsten - und sichersten - Kuriere. Sie schufen den Markt für internationale Anleihen in seiner modernen Form und wurden die wichtigsten Geldgeber für den kontinentalen Eisenbahnbau: dank ihrer Präsenz in den großen Finanzmetropolen und - dank ihrem Familienzusammenhalt.

    Eine rigide Heiratspolitik - bevorzugt wurden Ehen zwischen Cousins und Cousinen - trug zu Erhalt und Steigerung des Vermögens der Rothschilds bei. Vom eigentlichen Kern des Geschäfts - der in den Hauptbüchern und der Korrespondenz seinen Niederschlag fand - blieben sowohl die eingeheirateten Frauen ausgeschlossen wie die geborenen weiblichen Rothschilds und deren Ehemänner sowie Witwen und Erben außerhalb der direkten männlichen Linie.

    Es ist Fergusons Kunst als Geschichtsschreiber - und hier könnte sich mancher deutsche Historiker eine Scheibe abschneiden -, die Verwebungen von politischer und Familiengeschichte, von Finanz- und Diplomatiegeschichte durchsichtig und anschaulich zu machen. Er stützt sich dabei auf ein immenses Faktenmaterial und verzichtet darauf, den Leser belehrend an die Hand zu nehmen. Die sachliche, von hagiographischen Versuchungen freie Darstellung etwa der Bedeutung von Wohltätigkeit und Mäzenatentum und des Einsatzes für die jüdische Emanzipation: stets vor dem Hintergrund des europäischen Interessengeflechts in einer Epoche des lodernden Nationalismus: All dies trägt bei zur Faszination der Lektüre dieses eineinhalb Tausend Seiten starken Werkes, das gleichsam die Wegbereiter der Globalisierung porträtiert.

    Damit ist es aber nicht der Kritik enthoben. Im zweiten Band droht der Leser unterzugehen in der Fülle der Details; der Erzählstoff verblasst und mit ihm gelegentlich das Zeitkolorit. Das kann Ermüdung zur Folge haben. Einzelne strategische Fehler der Dynastie bleiben weithin undiskutiert; so jener, keine Niederlassung in den USA gegründet und das New Yorker Geschäft Pierpont Morgan und anderen überlassen zu haben. Die Beschränkung auf Europa, das im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege und einen mörderischen Antisemitismus entfachte, stutzte die Bedeutung der das 19. Jahrhundert dominierenden Bank. In das Wiener Rothschild-Palais zog 1938 Adolf Eichmanns Zentralstelle für die jüdische Auswanderung ein.

    Über die zahlreichen Übersetzungsfehler und -flüchtigkeiten muss man sich in der deutschen Ausgabe hinwegsetzen, bedauernd, dass offenbar kein sachkundiges Lektorat zur Korrektur bereitstand; offenbar wurde unter hohem Zeitdruck gearbeitet. Doch sollte dies keinen Interessenten von der Lektüre abhalten.

    Abschließend sei eine Anekdote erzählt, die sich nicht in Fergusons großer Studie findet, aber es erlaubt, den Bogen zurückzuschlagen zu Deutschlands größtem Exilschriftsteller im 19. Jahrhundert, der die Welt des Geldes hasste, aber sie kannte. Heine sitzt, bei einem Gala-Diner in Rothschilds Pariser Palais, an einer lagen Tafel dem Hausherrn schräg gegenüber. Mit seiner charmanten Tischdame plaudert er über die Vorzüge und Nachteile der jeweiligen Religionen und resümiert seine Ansicht zum Christentum in einem Satz, den Rothschild hören muss:

    Sehen Sie, gnädige Frau, das Christentum stellt uns einen Wechsel aus - auf die Auferstehung nach dem Tode. Aber diesen Wechsel: Hat ihn Rothschild unterschrieben?

    Albrecht Betz über: Niall Ferguson: Die Geschichte der Rothschilds - Die Propheten des Geldes. Das zweibändige Werk ist bei der Deutschen Verlagsanstalt in München erschienen, umfasst insgesamt 1.539 Seiten und kostet € 98.