Weißer Vollbart. Baskenmütze. Und statt Priestergewand Klamotten in olivgrünen Tarnfarben. Ernesto Cardenal, er war seinerzeit das bekannteste Gesicht der sandinistischen Revolution. Ein Revolutionär, der sich auf Gott beruft, hier irgendwo im Regenwald in Nicaragua in den 70er Jahren. Vor ihm bewaffnete Guerillakämpfer. Sie sitzen auf der Erde und hören dem Geistlichen gebannt zu:
"Mit Christus begann das revolutionäre Denken. Wo es eine Revolution gibt, hat das Gericht begonnen. Alle diese Waffen sind Waffen für Christus, der arm war. Um dem Kleidung und Bildung und Essen zu geben, der nichts hat."
Politische Kirchenvertreter
Ernesto Cardenal ist ein Vertreter der so genannten Befreiungstheologie – eine überwiegend katholische Strömung, die vor allem in Lateinamerika linke Bewegungen unterstützt hat – so eben auch die in Nicaragua. Der ehemalige Kulturminister und der heutige Staatschef Daniel Ortega – sie waren gemeinsam im Kampf gegen die Somoza-Diktatur.
Dass katholische Geistliche in dem zentralamerikanischen Land also wie aktuell auch eine dezidiert politische Haltung einnehmen, das hat gewissermaßen Tradition. Allerdings: die katholische Kirche trat selten mit einer Stimme auf. Ernesto Cardenal zum Beispiel distanzierte sich schon in den 90er Jahren von Daniel Ortega. Zu autoritär war ihm sein Führungsstil geworden.
Beschützerrolle
Die Befreiungstheologen sind im heutigen Nicaragua aus dem öffentlichen Bild verschwunden. Ganz anders der konservative Flügel der Kirche. Er stand dem Präsidenten zwar kritisch gegenüber. Aber paktierte trotzdem mit ihm, wie der Politikwissenschaftler Rubén Aguilar im mexikanischen Fernsehen erklärt:
"Die katholische Kirche ist lang als Komplize von Ortega aufgetreten. Unterwürfig und ausgeliefert war sie. Im Gegenzug gab es kleine Gefälligkeiten von Ortega, wie das absolute Abtreibungsverbot. Aber die jetzigen Kirchenvertreter spielen eine außergewöhnliche Rolle für den Schutz der Menschen."
Viele Geistliche gehen zur Zeit zusammen mit den Protestlern auf die Straße. Nicht für, sondern gegen den ehemaligen Revolutionsführer. Seit Mitte April kommt das Land nicht zur Ruhe. Damals hatte Ortega eine studentische Protestaktion blutig niederschlagen lassen. Nicaragua versinkt in Gewalt. Knapp 450 Tote hat es laut Menschenrechtlern in den letzten drei Monaten gegeben. Weitgehend junge Menschen, die an Protestmärschen teilgenommen oder Straßenbarrikaden errichtet hatten.
Wen unterstützt die Kirche?
Aber auch Geistliche sind Ziel von Anschlägen geworden. Kardinal Leopoldo Brenes wurde von Schlägertrupps verletzt, ein
anderer Bischof in seinem Auto beschossen. Die Angriffe auf Geistliche seien erstunken und erlogen, behauptet indes Präsident Ortega. Mehr noch: Bei einer Rede vor seinen Anhängern sagt der ehemalige Revolutionär: Die Bischöfe sind Teil des Putsches gegen ihn. Ortega:
anderer Bischof in seinem Auto beschossen. Die Angriffe auf Geistliche seien erstunken und erlogen, behauptet indes Präsident Ortega. Mehr noch: Bei einer Rede vor seinen Anhängern sagt der ehemalige Revolutionär: Die Bischöfe sind Teil des Putsches gegen ihn. Ortega:
"Viele Gotteshäuser wurden als Kartelle missbraucht, als Waffenlager, mit Bomben und als Stützpunkt, um Menschen anzugreifen und zu töten."
Die Vorwürfe weisen Vertreter der katholischen Kirche wie der Priester Erick Alvarado zurück:
"Die Kirche hat nie einen Putsch unterstützt. Sie ist ein Vermittler im Dialog zwischen Regierung und Opposition, so wie es die Regierung auch gewollt hat. Wir haben beiden Seiten Raum gegeben, um zu einem Kompromiss zu kommen. Das Ziel der Kirche ist immer Frieden."
Dieser Dialog ist allerdings seit Wochen auf Eis gelegt. Und es sieht auch nicht so aus, als würden die opponierenden Parteien sich in näherer Zukunft wieder an einen Tisch setzen. Währenddessen dreht sich die Gewaltspirale weiter. In diesem Konflikt scheint nichts mehr heilig.