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Nicaragua sagt Nein

Als 1979 Daniel Ortega und seine Sandinisten Nicaraguas Diktator Somoza stürzten, da stand sein Name für den heldenhaften Widerstand gegen die Mächtigen. 1990 wurde er abgewählt, trat dann im Januar 2007 wieder als Präsident an und schockiert seitdem frühere Anhänger mit dem autokratischen Habitus eines Caudillo. Seit Wochen gibt es Massendemonstrationen - wegen der verheerenden Wirtschaftslage und des Verbots zweier Oppositionsparteien.

Von Peter B. Schumann |
    Trommelnd ziehen sie durch die Straßen der Hauptstadt Managua: Alte und Junge, einfache Leute, Familien mit Kindern, viele sind barfuss. Für diese Menschen wurde vor 29 Jahren in Nicaragua eine Revolution erfolgreich zu Ende geführt, mit Daniel Ortega an der Spitze. Heute demonstrieren sie zu Zehntausenden gegen ihn, und davon kann sie auch der Dauerregen an diesem Tag nicht abhalten. Die Jungen rufen die alten Parolen von Freiheit und Sieg. Aber sie rufen auch: "Schluss damit!"

    Schluss mit Daniel Ortega. Seit zwei Jahren herrscht er wieder über das Land, das nach Haiti zweitärmste Lateinamerikas. Und seither ist das Elend gestiegen: die Arbeitslosigkeit auf 60 Prozent, die Inflation auf zwölf Prozent.

    "Dieser Herr darf so nicht weitermachen", meint eine ältere Frau. "Er muss weg von der Regierung und rausrücken, was er uns geklaut hat. Er hat die Menschenrechte vergewaltigt und uns das Recht auf Arbeit geraubt. Wir Armen haben nichts mehr zu essen auf dem Tisch." Und ein Mann mit einer knallroten Teufelsmaske nennt Ortega "einen Diktator und Drangsalierer, den wir zum Präsidenten haben".

    Um zu verstehen, wieso aus dem strahlenden Revolutionär Ortega ein von 80 Prozent der Nicaraguaner verachteten Politiker geworden ist, müssen wir kurz zurückblicken. 1979 haben die Sandinisten den Diktator Somoza besiegt. Ein Jahrzehnt lang konnten sie fast uneingeschränkt regieren. Sie scheiterten schließlich am starken Widerstand des bürgerlichen Lagers, gestützt von den USA, aber auch an den alten Fehlern einer staatssozialistischen Politik sowie an der Korruption ihrer Führer und am totalen Machtanspruch Ortegas.

    "Mit autoritären Methoden hat Daniel Ortega jeden eliminiert, der seine Herrschaft in Frage stellte", so Sergio Ramírez, berühmter Romanautor und Vizepräsident der ersten Regierung Ortega. "Er hat mich und Gioconda Belli sowie Ernesto Cardenal als Verräter auf spektakuläre Weise verstoßen. Jeder, der Widerstand leistete oder andere Ideen hatte, wurde vertrieben - wie in den alten leninistischen Parteien."

    Wenn es um die Macht ging, kannte Ortega keine moralischen Skrupel. Er schloss sogar mit einem früheren politischen Todfeind einen Pakt: mit Ex-Präsident Alemán. Dieser wurde Ende der 90er Jahre wegen Betrugs und Geldwäsche zu 20 Jahren Haft verurteilt. Er blieb aber selbst im Gefängnis derart einflussreich, dass Ortega vor den letzten Wahlen 2006 mit ihm einen Deal aushandelte.

    "Nach den damaligen Umfragen wollten nämlich 65 bis 70 Prozent der Bevölkerung Daniel Ortega keinesfalls zum Präsidenten wählen", so Sergio Ramírez. "Deshalb verständigte er sich mit Arnaldo Alemán, dem er dafür Hafterleichterung versprach, auf eine Änderung des Wahlrechts. Sie ermöglichte es Ortega, bereits mit 35 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zu gewinnen. Denn in einem zweiten Wahlgang wäre ganz Nicaragua gegen ihn gewesen."

    Der für seine radikalen Reden berüchtigte Alt-Revolutionär fing plötzlich an, von Liebe, Eintracht und Versöhnung zu sprechen.

    "Daniel Ortega hat in der Stunde der Wahlen nicht nur seine Ideologie verraten, denn er bleibt trotz allem ein ganz traditioneller Marxist", so Ramírez. "Er begann auch, alle Prinzipien zu ignorieren, und hat sich sogar mit der katholischen Kirche angefreundet. Da sie die Abtreibung total bekämpft, erklärte sich auch Ortega zum Gegner der Abtreibung, selbst der therapeutischen Abtreibung, der reaktionärsten Position der katholischen Kirche. Er ging nämlich eine Allianz mit Kardinal Obando ein, der ihm den Zugang zur traditionellen, katholischen Wählerschaft ermöglichte."

    Mit 38 Prozent gewann Ortega 2007 knapp die Wahlen. Aber der Widerstand ist in der letzten Zeit beträchtlich gewachsen. Die Demonstrationen gegen seine Politik nehmen zu. Und nach den neuesten Umfragen kann er sich nur noch auf 20 Prozent der Bevölkerung stützen. Das ist das Potenzial der Alt-Sandinisten. "Wer für die Regierung ist, bleibt in diesen Tagen zu Hause", so ein junger Mann in der Menge. "Denn wir anderen füllen die Straßen mit unserem Protest gegen die ständigen Entbehrungen und gegen die hohen Lebensmittelpreise."

    Das alles kann Ortega nicht beeindrucken. Er sieht - wie sein großes Vorbild Hugo Chávez - die Probleme des Landes als Folge "der Haltung des Imperiums, egal wer da in den USA regiert, denn das Imperium bleibt das Imperium".

    Manifestation auf einem zentralen Platz von Managua. Die Reporterin berichtet, dass die Oberste Wahlbehörde zwei Parteien verboten hat: die Konservative Partei und die Sandinistische Erneuerungsbewegung, die zweitgrößte Oppositionskraft, zu der auch Sergio Ramírez und viele Sandinisten der ersten Stunde gehören. Zehntausende protestieren gegen diesen Willkürakt. Die Wahlbehörde, ausschließlich aus Alt-Sandinisten zusammengesetzt - so wird erklärt - haben diesen beiden Parteien "aus formellen Gründen die Rechtspersönlichkeit aberkannt". Das bedeutet: Beide können weder an den Kommunalwahlen im Herbst teilnehmen noch an irgendeiner anderen Wahl in den nächsten vier Jahren.

    "In dem dramatischen Kontext unseres Landes, das erneut von einer Familien-Diktatur bedroht wird", kann ich nicht erlauben, dass die Lieder, die vom Opfertod tausender Nicaraguaner inspiriert wurden, weiter als musikalischer Hintergrund einer beschämenden Tragikomödie in Nicaragua dienen." Carlos Mejía Godoy, der Volkssänger des Landes, untersagt der Regierung unter anderem die Verwendung seines berühmten Liedes La consigna - seine Antwort auf das Verbot der Parteien.

    "Demokratie ja, Diktatur nein!", schallt es wieder durch die Straßen von Managua, fast drei Jahrzehnte nach dem Sturz des Somoza-Regimes. Auch Kommandanten der Revolutionszeit wenden sich vom Präsidenten ab. Zwölf Tage lang hat die legendäre Dora María Téllez im Hungerstreik ausgehalten, um gegen "Ortegas Verrat" zu protestieren. An diesem Nachmittag - es ist der 29. Jahrestag der Revolution - steht sie auf einer Bühne in Masaya, der kleinsten Provinz des Landes.

    "Auf diesem Platz rufen wir mit aller Klarheit, und man soll uns gut zuhören: Schluss mit der Paktiererei und der Korruption! Vereint in der Allianz aller Kräfte der Erneuerung werden wir die Werte des Sandinismus wieder herstellen. Das ist die Botschaft dieses Tages."

    Es waren Jugendliche wie diese, die hier demonstrieren, die vor bald 30 Jahren das Gewaltregime gewaltsam beendeten. Ortega ist nicht Somoza. Heute gilt es, den Anfängen einer Diktatur zu wehren - mit demokratischen Mitteln.