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Nicht allzu verkitscht

Der Autor Mark Haddon zeigt einen 15-Jährigen mit Asperger-Syndrom, der sich auf die Suche nach seiner Mutter begibt. Am Schauspiel Dresden wird dabei klar, dass ein solcher Charakter nicht nur rührend ist.

Von Hartmut Krug |
    Der Außenseiter oder Sonderling, mittlerweile vor allem der durch eine Krankheit zugleich gehandicapte wie mit besonderen Fähigkeiten ausgestattete Mensch, ist eine beliebte Figur in Film, Literatur und Theater. Was sie erzählt, ist vorhersehbar. Und wer von ihr berichtet, bedient gesellschaftliche Übereinkünfte und positive Erwartungshaltungen. Und: Er menschelt mächtig.

    Ein Rezensent von Mark Haddons Buch warnte, nicht zu Unrecht, vor einem Bambi-Effekt. Während das Staatsschauspiel Dresden für Simon Stephens Bühnenfassung mit Adjektiven wie "rührend, mitreißend, spannend, herzenswarm" warb und damit unfreiwillig an den Film "Rainman" erinnerte, in dem Dustin Hoffman einen Mann mit Asperger-Syndrom immer hart am Darstellungskitsch entlang führt.

    Doch Mark Haddons Geschichte über den 15-jährigen Christopher, der ebenfalls am das soziale Kommunikation heftig beeinträchtigenden Asperger-Syndrom leidet, ist mehr als nur rührend. Zwar geht auch bei ihm alles gut aus. Und der Junge findet mutig seinen Weg hinaus ins teils selbstbestimmte Leben, doch nur sympathisch wird er uns nicht. Weil die Konflikte zwar ansatzweise gelöst werden, aber Christophers Egoismus und die Härte der Probleme weiter bestehen bleiben. Dabei werden die Probleme eines soziales Milieus mitverhandelt.

    Christopher schreibt ein Buch, in dem er von seinem Leben erzählt. Seine ihm sensibel zugewandte Lehrerin liest ihm und uns auf der Bühne vor. Und dann wechselt das Geschehen immer wieder zwischen Erzählung und Spiel. Wobei auch die Spielszenen deutlich von einem Erklärwillen bestimmt sind. Weshalb sich der junge Dresdner Hausregisseur Jan Gehler, der mit seiner schönen Uraufführung von Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" gezeigt hat, dass er jugendlichen Außenseitern in Coming-of-Age-Geschichten ein sinnliches Bühnenleben schenken kann, durchaus erfolgreich um eine spielerisch sinnliche Bebilderung bemüht.

    Auf einer Bühne aus aufeinandergetürmten Quadern, also Formen, mit denen sich Christopher zeichnend beschäftigt, springen die Figuren kurz in und aus ihren Szenen. Christopher schreibt auf die Quader zunächst nur Zahlen, später, wenn er sich hinauswagt in die Welt, werden es Hinweiszeichen und dann sogar Buchstaben und Geschichten. Zunächst aber macht sich Christopher auf die Suche nach dem Mörder des Nachbarhundes. Deshalb redet er mit Nachbarn:

    "- Magst du Computer?
    - Ja, ich mag Computer, ich habe einen Computer zuhause in meinem Zimmer. Und ich mag Mathe. Ich mag das Weltall, und ich bin gern allein.
    - Du bist sicher sehr gut in Mathe.
    - Ja. Ich mach im nächsten Monat die Abschlussprüfung in Mathe und ich kriege eine eins.
    - Wirklich?
    - Ja. Ich lüge nicht. Ich bin der einzige, der an unserer Schule eine Abschlussprüfung macht. Es ist nämlich eine Förderschule."

    Jonas Friedrich Leonardi gibt den Christopher mit eckigen, leicht verklemmten Bewegungen und oft weggeducktem Kopf als einen ganz normalen Jungen mit besonderen Schwierigkeiten. Er präsentiert dem dankbaren Publikum eine schöne Identifikationsfigur. Christopher entdeckt, dass sein Vater den Hund getötet hat. Und dass seine Mutter nicht tot ist, wie der Vater erzählt, sondern diesen verlassen hat und in London lebt.

    Also läuft er dem zugleich fürsorglichen wie überforderten Vater fort, nach London. Die laute und dunkle Welt mit in Kapuzenjacken vermummter Menschengruppe, wie sie die Inszenierung zeichnet, verstört ihn, doch er findet die Mutter und deren neuen Freund. Die Mutter, die ihrem Sohn unentwegt Briefe geschrieben hat, die aber der Vater zurückhielt, versucht ihren Sohn in ihr Leben zu integrieren.

    Cathleen Baumann gibt dieser Figur eine schöne Zerrissenheit und vergebliche Sehnsucht, das Leben mit Christopher zu meistern. Darüber zerbricht ihre Beziehung und ihre soziale Situation verschlechtert sich mächtig. Als sie mit Christopher in seinen Heimatort zurückkehrt, bleibt sie auf der Strecke. Während der Vater immerhin eine komplizierte, wenn auch von der Abwehr des Jungen bestimmte Beziehung zu Christopher aufbaut. Dieser schaut selbstbewusst in seine Zukunft:

    "Und dann mache ich einen erstklassigen Hochschulabschluss in meinem Spezialfach. Und dann werde ich Wissenschaftler. Und das bedeutet: Ich kann alles."

    Die Inszenierung ist meist schwungvoll und tobt dabei nicht über die Widersprüche der Figuren hinweg. Vor allem aber: Sie verkitscht die Schwierigkeiten, die ein Mensch mit dem Asperger-Syndrom besitzt und anderen bereitet, nicht allzu viel.

    Das Leben mit Christopher ist nicht einfach. Und er ist nicht nur lieb, sondern auch hart und egoistisch. Wenn diese Verhaltensweisen auch von seiner Krankheit bestimmt sind. Nicht alles ist und wird gut werden.