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"Nicht das Ende des Dialogs"

Nach Einschätzung Armin Laschets sollte der Boykott des Integrationsgipfels durch mehrere türkische Verbände nicht überbewertet werden. "Ab morgen geht der Dialog weiter", sagte der nordrhein-westfälische Integrationsminister. Allerdings nannte es der CDU-Politiker ungeschickt, wenn die Verbände ihre Kritik am Zuwanderungsgesetz nicht direkt im Kanzleramt vortrügen.

12.07.2007
    Jürgen Liminski: Desintegration vor dem Integrationsgipfel, Streit über das weitere Leben als Migrant in Deutschland. Wie angepasst, wie integriert, wie parallel darf, soll man leben? Darüber wird heute auf dem zweiten Integrationsgipfel im Kanzleramt gesprochen.

    Wir sprechen jetzt mit Integrationsminister Armin Laschet darüber, der heute Morgen auch zu dem Gipfel ins Kanzleramt geht und deshalb nicht in Düsseldorf, sondern schon in Berlin ist. Guten Morgen, Herr Laschet!
    Armin Laschet: Guten Morgen, Herr Liminski!
    Liminski: Herr Laschet, zunächst mal zum Gipfel selbst. Vier türkische Verbände haben ihre Teilnahme abgesagt, weil die Bundeskanzlerin auf ihre Bedingung nicht eingegangen ist, eine Änderung des Zuwanderungsgesetzes zuzusichern. Ist der Gipfel jetzt eine einseitige Angelegenheit, ein Monolog. Schließlich ist ja der vielleicht wichtigste Dialogpartner abhanden gekommen.
    Laschet: Nein, ich denke nicht, dass das jetzt ein Monolog wird, denn es sind 80 Vertreter da, und 40 davon sind von Zuwandererorganisationen. Die deutsch-türkische Industrie- und Handelskammer beispielsweise ist vertreten. Und das Ergebnis des Arbeitsprozesses, an dem ja die Verbände beteiligt waren, das ist heute das, was man verabschieden will. Insofern glaube ich, dass der Charakter des Dialogs weitergeht. Nur es ist bedauerlich, dass die größte Gruppe fehlt, und insofern ist ein Wermutstropfen da mit hineingegossen worden. Aber der Gipfel macht trotzdem Sinn.

    Liminski: Wenn sich nun diese türkischen Verbände einer Zusammenarbeit verweigern, drängt man die Türken dann nicht in die Parallele, um nicht zu sagen ins Getto?
    Laschet: Nein, glücklicherweise haben die Verbände ja gesagt, sie wollen heute nicht teilnehmen, das ist ein bisschen auch natürlich Symbolpolitik, dass man nicht teilnehmen will, um gegen dieses Gesetz zu protestieren. Aber ab morgen geht der Dialog weiter. Sie halten sich an alle Selbstverpflichtungen, die in diesem Jahr verabschiedet worden sind. Auch das ist eine wichtige Aussage. Und ich finde, man sollte jetzt auch das Ganze nicht eskalieren. Ab morgen wird weiter über Integrationspolitik gesprochen, ab morgen wird weiter auch von der DITIB, also der Religionsgemeinschaft, der islamischen, weiter in der Islamkonferenz gearbeitet. Und insofern ist das heute nicht das Ende des Dialogs.
    Liminski: Protest gegen das Gesetz, sagen Sie. Lässt sich denn am Einwanderungsgesetz noch etwas ändern, sodass man später mit den türkischen Verbänden wieder ins Benehmen treten könnte?
    Laschet: Also man wird ins Benehmen treten, ab morgen auch mit diesem Gesetz, denn das Gesetz ist beschlossen vom Bundestag, mit großer Mehrheit der Großen Koalition, vom Bundesrat. Es hat kein Bundesland dagegen gestimmt im Bundesrat, so dass es einen breiten Konsens gibt. Und das wird jetzt in Kraft gesetzt. Aber entscheidend ist die Praxis des Gesetzes. Es soll ja eben nicht Familienzusammenführung verhindern, es soll nicht Heiratsmigration verhindern, sondern es soll den Partner, der ins Land kommt, stark machen, dass er ein paar Grundkenntnisse der deutschen Sprache hat und sich in diesem Land bewegen kann. Und ich kann mir vorstellen, wenn die Praxis so ist, dass man merkt, nein, Familienzusammenführung wird nicht ausgeschlossen, dass sich dann auch der Protest legen wird.
    Liminski: Würden Sie denn das Verhalten der Verbände so ein bisschen als Erpressung bezeichnen?
    Laschet: Erpressung würde ich es nicht nennen, aber es ist aus ihrer eigenen Sicht ungeschickt, denn welcher Verband hat mal die Möglichkeit, selbst seine kritischen Bemerkungen an einem Tisch im Kanzleramt der halben Bundesregierung, sieben Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin offen vorzutragen? Also diese Chance haben sie sich nehmen lassen, weil sie heute nicht dabei sind. Und schon Herbert Wehner hat ja einmal gesagt, wer herausgeht, muss auch wieder hereinkommen. Also Boykotte sind selten eine Lösung, aber Erpressung würde ich das nicht nennen, das ist zu hoch gegriffen.

    Liminski: Die wirkliche Integration erfolgt in der Nachbarschaft, also in der Kommune. Muss der Bund den Kommunen nicht stärker unter die Arme greifen, auch finanziell? Das hat gestern der Präsident des Städtetags an dieser Stelle im Deutschlandfunk gefordert.
    Laschet: Ja, das ist in der Tat richtig, die Integration gelingt vor Ort, die gelingt in jeder Gemeinde in Deutschland, und in jeder Gemeinde gibt auch unterschiedliche Ansätze, die man wählen muss, weil die Gruppen zum Teil ja sehr unterschiedlich sind. In den Bundesländern gibt es völlig unterschiedliche Situationen. Wenn Sie sich vorstellen, Mecklenburg-Vorpommern hat 30.000 ausländische Staatsbürger, das hat jeder Kölner Stadtteil, um einmal eine Größenordnung klarzumachen. Und da brauchen die Kommunen natürlich Unterstützung, aber sie sind auch bereit, das zu leisten, ohne dass der Bund nun neues Geld gibt. Er hat gestern einige Maßnahmen bei den Integrationskursen beschlossen, die er ausdehnen will, die er besser finanziell ausstatten will. Und ich glaube, das hilft auch den Kommunen.
    Liminski: Sie reden wie ein Bundesminister, aber gehören ja doch einer Landesregierung an, deswegen noch mal die Frage: Muss der Bund den Ländern und den Kommunen nicht stärker unter die Arme greifen?
    Laschet: Also finanziell nicht, denn ist eine Aufgabe der Länder, da leisten wir auch unseren Anteil, die Bildung, die eine wichtige Integrationsfrage ist, ist ebenfalls Zuständigkeit der Länder. Und es geht heute nicht darum, von den Ländern aus neues Geld vom Bund zu verlangen. Wir nehmen unsere Aufgaben wahr und haben uns ja auch selbst verpflichtet, das jetzt noch stärker zu tun.

    Liminski: Die Bundeskanzlerin hat die Integration als Schlüsselaufgabe der Zukunft bezeichnet. Aber wer integriert in was? Lässt sich die Ungleichheit zwischen Bürgern und Fremden überhaupt ganz beseitigen?

    Laschet: Es wäre wünschenswert, dass sie jedenfalls soweit beseitigt ist, dass jeder, der in diesem Land lebt, ob er eine Zuwanderungsgeschichte hat oder ob er sie nicht hat, jede Bildungschance hat und damit jede Karrierechance in dieser Gesellschaft. Diese Ungleichbehandlungen muss man beseitigen. Es muss jedenfalls ein Anliegen von Politik sein, jedem, der hier geboren ist, jeden mit den gleichen Chancen auszustatten. Aber was er dann draus macht, ist seine Sache. Und da gibt es viele, denen das ganz gut gelingt, andere haben es da schwerer. Das ist aber auch in der Mehrheitsgesellschaft so, dass es manche gibt, die ihre Bildungschancen nutzen, und manche nicht. Nur dass die Chancen bereit stehen, das ist die Aufgabe, die der Staat zu leisten hat.

    Liminski: Wirft das, diese Integration, nicht auch die Frage der Leitkultur auf? Hat man in dieser Runde und in den Arbeitskreisen mal darüber gesprochen, oder gilt das als Tabu, faschistoid, nationalistisch?

    Laschet: Na, faschistoid ist das nicht, über Leitkultur zu sprechen. Da gibt es eine breite Diskussion ja auch drüber, nämlich die Frage, gibt es Werte, die man über das Grundgesetz hinaus braucht, die eine Gesellschaft zusammenhalten? Das ist jetzt vom Wort in den Texten des nationalen Integrationsplans nicht aufgetaucht, aber der Konsens darüber, dass man so etwas wie eine gemeinsame Leitkultur braucht, wo auch Mehrheitsgesellschaft und Zuwanderer sich auf Prinzipien verständigen, die in diesem Lande gelten und die den Zusammenhalt auch der Werteordnung garantieren, das hat natürlich stattgefunden, die Debatte, und die wird auch weitergehen.

    Liminski: Gemeinsame Leitkultur, sagen Sie. Ihr Titel ist Integrationsminister. Sind Sie, wenn man das so hört, nicht eigentlich ein Minister der kulturellen Vielfältigkeit oder kurz gesagt ein Multikulti-Minister?

    Laschet: Also kulturelle Vielfältigkeit schließt sich ja nicht aus. Wir haben beispielsweise unterschiedliche Religionszugehörigkeiten, und solange das auf dem Boden des Grundgesetzes passiert, ist das auch ein Beitrag der Vielfalt der Kulturen. Jeder soll auch seine eigene Kultur weiter bewahren, auch der, der zugewandert ist, aber es muss über diese eigene Kultur auch eine Basis der Gemeinsamkeit geben. Und das ist das, was ich da gemeinsame Leitkultur nenne. Da muss jeder seinen Beitrag leisten. Und wir müssen auch sagen als deutsche Gesellschaft, wir können auch manches von den Zuwanderern da lernen. Wenn Sie beispielsweise daran denken, wie Junge für Ältere einstehen, wie Generationen zusammenhalten. Da haben wir in der deutschen Gesellschaft manches verlernt, und da ist auch das, was Zuwanderer praktizieren, eine Bereicherung für unsere Gesellschaft.

    Liminski: Herr Laschet, wir brauchen Fachkräfte, jedenfalls klagt die Wirtschaft über einen Mangel daran, und wir hoffen, dass aus dem Ausland welche kommen. Aber wollen überhaupt so viele gut qualifizierte Fachkräfte kommen, wie wir brauchen? Vor den Toren der USA bewerben sich Millionen um eine Green Card, in Deutschland sind damals keine 20.000 gekommen, obwohl so viele grüne Karten bereit lagen.

    Laschet: Ja, das ist auch heute noch unser Problem. Das Zuwanderungsgesetz wollte ja die Eliten der Welt einladen, nach Deutschland zu kommen, wollte den Zugang erleichtern. Aber insgesamt sind 913 gekommen, und 800 waren schon im Land als Absolventen von Hochschulen. Also hier brauchen wir noch eine Nachbesserung beim Zuwanderungsgesetz. Eine Einkommensschwelle von 84.000 Euro, das hat kein Hochqualifizierter, wenn er eine Hochschule verlässt, als Jahreseinkommen. Und deshalb ist ja die Debatte auch von Frau Schavan angestoßen worden, diese Quote zu senken. Das ist nicht alleine die Lösung des Problems. Wir müssen als Standort attraktiver werden, wir haben jetzt sogar das Problem, dass manche Deutsche auswandern, und nicht, dass so viele zu uns einwandern, die wir eigentlich bräuchten. Also ich glaube, in der Attraktivität unseres Standorts, in den Gewinnen der Eliten, auch als Hochqualifizierte, da müssen wir noch einige Energie hineinstecken.

    Liminski: Das schwierige Geschäft der Integration. Das war kurz vor dem zweiten Integrationsgipfel im Kanzleramt der nordrhein-westfälische Minister für Integration, Armin Laschet. Besten Dank für das Gespräch, Herr Laschet.

    Laschet: Bitte schön. Auf Wiederhören.