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"Nicht klar, wer für welche Entscheidung wann verantwortlich gewesen ist"

Es könne nicht sein, dass ein Millionenschaden entstehe und niemand merke etwas, sagt Tom Koenigs. Der Grünen-Abgeordnete fordert einen Untersuchungsausschuss, der die Verantwortungen für das Drohnendebakel offenlegt. Erst dann könne man entscheiden, ob de Maizière zurücktreten müsse.

Tom Koenigs im Gespräch mit Mario Dobovisek | 11.06.2013
    Mario Dobovisek: Fehler räumt Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière zwar ein, einen Rücktritt schließt er aber aus. Geht es nach ihm, dann bleibt das viele Hundert Millionen Euro schwere Drohnendebakel politisch folgenlos, vor allem für ihn. Bereits zum zweiten Mal nahm er gestern vor dem Verteidigungsausschuss des Bundestages Stellung. Morgen soll er ein weiteres Mal erscheinen, um Fragen rund um den Euro-Hawk zu beantworten. SPD und Grünen reicht das nicht, sie wollen noch vor der Sommerpause einen Untersuchungsausschuss einsetzen.
    Am Telefon begrüße ich Tom Koenigs, für die Grünen sitzt er im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Koenigs!

    Tom Koenigs: Guten Morgen, Herr Dobovisek.

    Dobovisek: Warum wollen Sie einen Untersuchungsausschuss?

    Koenigs: Ich glaube, dass, was in der Weise-Kommission schon sehr deutlich gesagt worden ist, stimmt: Eine allgemeine Verantwortungsdiffusion macht eine stringente Steuerung unmöglich. Das heißt es dort wörtlich. Und es hat sich bei allen Befragungen genau auch wieder gezeigt, dass die Verantwortung hin- und hergeschoben wird und es nicht klar ist, wer für welche Entscheidung wann verantwortlich gewesen ist.

    Dobovisek: Das klingt ja ganz nett, Verwaltungsdiffusion. Können Sie uns das vielleicht noch mal übersetzen, was das konkret im Fall Euro-Hawk heißt?

    Koenigs: Es heißt, dass auch die Struktur selbst nicht so klare Verantwortungen hat, dass jeder weiß, wann er den Minister zu informieren hat. Wiederum in der Weise-Kommission ist gesagt worden, gerade im Beschaffungswesen müsse ein funktionierendes Risikomanagement eingeführt werden. Das ist ein Instrument, um zu sehen, ob an irgendeinem Punkt ein großer Verlust oder ein großer Schaden auf die Organisationen zukommt, und daran fehlt es bei Weitem. Es kann doch nicht sein, dass sich ein Schaden von 600 oder noch mehr Millionen anhäuft und keiner es gemerkt hat und keiner es der Leitung sagt. Da stimmt etwas nicht und dem muss man auf den Grund gehen, und darum wird herumgeredet. Mal wird gesagt, personelle Konsequenzen, dann aber nicht wo, dann wird wieder gesagt, eigentlich wäre alles außer dem Verfahren richtig gelaufen. Na ja, das Verfahren ist ja schon einiges. Am Schluss steht der Steuerzahler mit einem gewaltigen Verlust da und keiner ist es gewesen. Da soll ein Untersuchungsausschuss Klarheit bringen und auch die Möglichkeit, das dann zu korrigieren.

    Dobovisek: Mit Neuentwicklungen für die Rüstung betreten Forschung und Industrie ja immer Neuland. Die Militärs können schließlich ihre Drohnen nicht einfach im Supermarkt bestellen oder dort kaufen. Projekte wie diese sind teuer und können auch scheitern, wenn die Umsetzung am Ende zu schwierig ist. Wie soll sich das durch ein, wie Sie sagen, besseres Risikomanagement in Zukunft vermeiden lassen?

    Koenigs: …, dass man Schritt für Schritt weiß, wo sich ein Fehlgriff oder ein Fehler oder ein Verlust aufbaut, und dass man dann informiert, auch das Parlament übrigens, und sich fragt, ob es noch richtig ist, diesen Weg weiter zu verfolgen, oder ob man einen Schlussstrich ziehen muss.

    Dobovisek: Aber wie soll sich das erkennen lassen, Herr Koenigs, wenn es immer heißt, die Fehler oder die Probleme seien lösbar?

    Koenigs: Ein funktionierendes Risikomanagement sagt, nicht nur die Probleme sind lösbar, sondern mit welcher Wahrscheinlichkeit lassen sie sich lösen, und man sieht ja, dass diese Wahrscheinlichkeit sukzessive abgenommen hat, aber keiner dafür verantwortlich war zu sagen, entweder die Reißleine zu ziehen, oder wenigstens eine Entscheidung der Führung herbeizuführen, beziehungsweise hat die Führung die Sache verschlunzt, auf Flurfunk nicht gehört, Informationen nur halb wahrgenommen und dann nicht nachgefragt. Und da muss man reingehen, da muss man gucken, wer hat was gesagt, wer hat was gewusst, wer hat was gemacht und wann was nicht gemacht.

    Dobovisek: Was soll denn dabei dann rauskommen, wenn gerade mal dreieinhalb Monate bis zu den Bundestagswahlen bleiben und Sie nun diesen Untersuchungsausschuss einsetzen wollen? Viel Zeit rund um die Sommerpause bleibt da nicht.

    Koenigs: Es bleibt nicht viel Zeit. Trotzdem kann man in dieser Zeit als Mindestes noch mal bestätigen, dass es dringend notwendig ist, die Verantwortungsstrukturen zu klären, um eine stringente Steuerung möglich zu machen, und dass man ein professionelles Risikomanagement im Beschaffungswesen schafft, das dann auch aufzeigt, wie weit die Industrie dort hereinwirtschaftet, wie weit von anderen Kräften, anderen Interessen in diesen Bereich hineingewurstelt wird, sodass man klar machen kann, das ist öffentliches Interesse und das ist industrielles Interesse, und dann kann man das miteinander in Übereinstimmung bringen.

    Dobovisek: Unser erster Impuls gestern hier in der Redaktion, als wir über den Untersuchungsausschuss, den möglichen, sprachen, war: oh, das ist Wahlkampf! Und genauso sieht es offenbar ja auch Jürgen Koppelin von der FDP, der ja, Sie haben es vorhin im Bericht gehört, gleich Steinbrück und Trittin laden will. Könnte denn - unter Rot-Grün wurden die Beschaffungsverträge ja unterzeichnet – die Drohne am Ende, wie ein Bumerang auf Sie zurückfallen?

    Koenigs: Die Beschaffungsverträge wurden nicht unter Rot-Grün unterzeichnet, sondern unter Schwarz-Rot 2007. Die Notwendigkeit, diese Fähigkeit zu bekommen, die ich auch noch strittig finde – aber das ist ein anderes Thema -, diese wurde unter Rot-Grün festgestellt und man hat angefangen, daran zu arbeiten. Für die Verträge und die Überwachung der Verträge und das Management der Verträge ist ausschließlich die Große Koalition oder dann Schwarz-Gelb zuständig. Dass sich das so zugespitzt hat, ohne dass man es gemerkt hat, dafür ist Herr de Maizière und sein Ministerium zuständig, und wer verantwortlich ist, das werden wir dann klären.

    Dobovisek: Kann es dann aus Ihrer Sicht auch sein, dass am Ende de Maizière doch seinen Hut wird nehmen müssen?

    Koenigs: Es kann alles sein. Man sollte da überhaupt nichts ausschließen. Was aber wichtiger ist, ist, dass in das Verteidigungsministerium glasklare Entscheidungsstrukturen hereinkommen, die ein so schwieriges Amt führbar und steuerbar machen. Das ist das eigentliche Ziel.

    Dobovisek: Ihr Fraktionschef Jürgen Trittin sagt, die jüngsten Vorgänge zeigten, wie wenig tragbar dieser Minister sei. Die SPD nennt ihn unglaubwürdig und fordert den Rücktritt de Maizières. Bei Ihnen klingt das alles ein bisschen abwartender, ein bisschen zurückhaltender, ein bisschen prüfender. Übertreiben Ihre Oppositionskollegen?

    Koenigs: Nein! Aber ein Untersuchungsausschuss ist meines Erachtens dazu da, zu untersuchen und ein Ergebnis zu produzieren, und dann werden wir das sehen, wer welche und wie viel Verantwortung hat. Natürlich ist ein Minister für das ganze Haus zuständig, insbesondere wenn er eine Kommission einsetzt, die ihm sagt, was er machen soll, und er dann offensichtlich damit nicht zurecht kommt. Dann muss man sich fragen, wer kommt dann damit zurecht.

    Dobovisek: Das können wir Sie ja genauso fragen. Wer soll denn am Ende kontrollieren, wenn nicht die Politiker selbst und auch nicht die Industrie auf der anderen Seite, die ja klare Interessen hat?

    Koenigs: Ein Ministerium und ein Minister, das diese Kontrolle auch erlaubt. Es ist ja der Verteidigungsausschuss, das Parlament in diese ganzen Dinge erst im allerletzten Moment einbezogen worden. Das ist vielleicht nicht so richtig. Vielleicht wäre da mehr Transparenz auch im Sinne des Risikomanagements erfolgreicher gewesen.

    Dobovisek: Wie weit darf Transparenz bei Rüstungsgeschäften und Rüstungsentwicklungen gehen?

    Koenigs: Das ist ja nicht eine Sache von großer Geheimhaltung, sondern das ist eine Sache, die es in jedem Industrieunternehmen auch gibt. Da wird eine große Beschaffung getätigt, da wird eine Entwicklung finanziert und das muss natürlich überwacht werden. Da ist ja wenig Geheimnis drin. Es geht ja nun nicht darum zu fragen, wie nun was und ganz genau funktioniert, sondern es war ja öffentlich bekannt, dass man diese Überwachungsdrohne kaufen wollte. Das Verfahren ist leider intransparent.

    Dobovisek: …, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Koenigs: Danke sehr, Herr Dobovisek.

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