Manfred Kloiber: Diese Woche hat die Kommission der Europäischen Union die Bürger aufgefordert, Stellung zu nehmen – und zwar online. Das Thema der Bürgerbefragung lautet "Netzneutralität" und die Kommission plant wohl, in Zukunft zu regulieren, ob und wieweit Netzbetreiber in den Datenverkehr des Internets eingreifen dürfen, um ihn für bestimmte Daten zu beschleunigen und für andere abzubremsen. So könnten dann neue Angebote entstehen, die Beispielsweise Videodaten in besserer Qualität nach Hause bringen oder Downloads ausbremsen. Die Diskussion über die Netzneutralität ist schon recht alt – aber neu daran ist, dass die EU-Kommission sie in maximal breiter Öffentlichkeit führen will. Darüber will ich mit dem Netzpolitik-Experten Professor Wolfgang Kleinwächter von der dänischen Universität Aarhus sprechen, mit dem ich in Meißen verbunden bin. Herr Kleinwächter, ist die EU-Kommission mit dieser Online-Befragung in eine neue Form der Netzdiskussion eingestiegen?
Wolfgang Kleinwächter: Zu diesem konkreten Projekt erst einmal, muss man zwei Dinge sicher separat diskutieren. Das eine ist, was Sie schon angesprochen haben, das Prozedere. Und das zweite ist die Substanz, also das Thema, um das es geht. Was das Prozedere betrifft, so ist es nicht unüblich, dass die Kommission auch früher Fragebogen verschickt hat oder Hearings veranstaltet hat. Was aber glaube ich schon bemerkenswert ist, ist die Breite, die Streubreite, mit der diesmal dieses Mal dieser Fragebogen verschickt wird. Und ich glaube, die Europäische Kommission in Brüssel hat gelernt, dass in unseren offenen, transparenten Informationszeitalter, man wesentliche Entscheidungen, die die Bürger betreffen, nicht ohne adäquate Bürgerbeteiligung vorantreiben kann. Die Kommissarin Groß hatte dann mal vor ein paar Monaten in Berlin gesagt, dass also diese Proteste gegen ACTA ein Wake-up-Call für Brüssel gewesen sind. Und ich glaube, dieser Wake-up-Call hat dazu geführt, dass offensichtlich viele in der Kommission sagen: Bevor wir wesentliche Entscheidungen treffen, müssen wir uns mit den Bürgern konsultieren.
Kloiber: Muss man denn diese Form als ehrliches Angebot der Politik verstehen – oder könnte es auch einen Beruhigungspille sein?
Kleinwächter: Das hängt ein bisschen vom Betrachter ab. Natürlich bleibt dann abzuwarten, inwiefern die Meinungen, die jetzt in dieser breiteren Befragung geäußert werden, in die letztendlichen Entscheidungen tatsächlich miteinfließen. Das heißt, man wird erst dann beurteilen können, wenn man das Resultat auf dem Tisch sieht, ob diese Bürgerbefragung einen zusätzlichen Wert gebracht hat, dass sich also das Endergebnis tatsächlich unterscheidet von dem, was vielleicht entstanden wäre, wenn man hinter verschlossenen Türen zwischen Regierung und Industrie verhandelt hätte.
Kloiber: Nun ist ja dieser Fragebogen sehr, sehr umfangreich. Jedenfalls der, der sich auch an Privatpersonen richtet. Und die Fragen sind nicht mal eben so aus dem Bauch heraus zu beantworten. Spitzt sich das dann nicht eigentlich nur auf ein paar Netzaktivisten zu, die den Fragebogen dann tatsächlich ausfülle können?
Kleinwächter: Möglicherweise ja. Und ich glaube auch, bei allen Themen, die globaler Natur sind heute, spitzt sich das zu auf eine Gruppe von Leuten – ich würde nicht sagen ein paar, das sind schon erhebliche Gruppen, die sich da in den letzten Jahren entwickelt haben – die über spezifisches Wissen verfügen. Das ist in der Umweltbewegung, bei der Energiefrage, ja auch nicht anders, dass dort also Leute, die sich damit beschäftigen – in welcher Weise auch immer – sozusagen das Interesse des Bürgers zum Ausdruck bringen, dass die ihre Stimme erheben. Man kann nicht erwarten, dass also sich vielleicht die 300 Millionen Europäer an so einer Fragebogen-Aktion beteiligen. Aber ich glaube, dass dort, wo auch teilweise die Expertise ist: also die Betroffenen und beteiligten, die jetzt nicht in einem Unternehmen direkt arbeiten, oder die nicht in der Regierung sitzen, aber die von den Entscheidungen betroffen sind, dass denen Kanäle angeboten werden müssen, um an dieser Entscheidung mitzuwirken in einer entsprechenden Form. Und wie gesagt: Der Test hat dann zu bewerten: Wenn also dieser Einfluss sich niederschlägt in entsprechenden Formulierungen einzelner Artikel dieser geplanten Direktive – wenn es denn eine Direktive werden sollte.
Kloiber: Aber steckt in dieser sehr breiten Befragung nicht auch das Risiko, dass ein völlig falsches Bild entsteht und das dann, weil es sich ja an jeden Bürger richtete, auch eine falsche Legitimität bekommt?
Kleinwächter: Ich glaube, dieser Multi-Stakeholder-Ansatz, der dort drin steckt, dass man also alle Betroffenen und Beteiligten befragt, hat genügend Korrekturpotenzial in sich, so das also extreme Meinungen, die von einzelnen Gruppen geäußert werden, gewissermaßen ausgebremst werden durch andere Meinungen. Keine Gruppe kann natürlich den Anspruch erheben, für alle zu sprechen und ihre Ansicht durchzubringen. Aber indem die Regierungen Überlegungen anstellen, Überlegungen, die verschiedene Unternehmen anstellen – die Netzwerkbetreiber haben häufig eine andere Meinung als zum Beispiel die ISPs oder Unternehmen der Internet-Economy, in dem also die Nutzer, verschiedene Nutzergruppen, Menschenrechtsgruppen, die sich also mit dem Schutz der Privatsphäre beschäftigen und so weiter – wenn all diese Argumente auf den Tisch kommen, dann kann man davon ausgehen, dass es doch zu einem relativ ausgewogenen Ergebnis kommt, wenn denn der politische Wille besteht, also tatsächlich jede geäußerte Meinung auch in entsprechender Weise ernst zu nehmen.
Das gesamte Interview können Sie bis mindestens 28. Dezember 2012 im Bereich Audio on Demand nachhören.
Wolfgang Kleinwächter: Zu diesem konkreten Projekt erst einmal, muss man zwei Dinge sicher separat diskutieren. Das eine ist, was Sie schon angesprochen haben, das Prozedere. Und das zweite ist die Substanz, also das Thema, um das es geht. Was das Prozedere betrifft, so ist es nicht unüblich, dass die Kommission auch früher Fragebogen verschickt hat oder Hearings veranstaltet hat. Was aber glaube ich schon bemerkenswert ist, ist die Breite, die Streubreite, mit der diesmal dieses Mal dieser Fragebogen verschickt wird. Und ich glaube, die Europäische Kommission in Brüssel hat gelernt, dass in unseren offenen, transparenten Informationszeitalter, man wesentliche Entscheidungen, die die Bürger betreffen, nicht ohne adäquate Bürgerbeteiligung vorantreiben kann. Die Kommissarin Groß hatte dann mal vor ein paar Monaten in Berlin gesagt, dass also diese Proteste gegen ACTA ein Wake-up-Call für Brüssel gewesen sind. Und ich glaube, dieser Wake-up-Call hat dazu geführt, dass offensichtlich viele in der Kommission sagen: Bevor wir wesentliche Entscheidungen treffen, müssen wir uns mit den Bürgern konsultieren.
Kloiber: Muss man denn diese Form als ehrliches Angebot der Politik verstehen – oder könnte es auch einen Beruhigungspille sein?
Kleinwächter: Das hängt ein bisschen vom Betrachter ab. Natürlich bleibt dann abzuwarten, inwiefern die Meinungen, die jetzt in dieser breiteren Befragung geäußert werden, in die letztendlichen Entscheidungen tatsächlich miteinfließen. Das heißt, man wird erst dann beurteilen können, wenn man das Resultat auf dem Tisch sieht, ob diese Bürgerbefragung einen zusätzlichen Wert gebracht hat, dass sich also das Endergebnis tatsächlich unterscheidet von dem, was vielleicht entstanden wäre, wenn man hinter verschlossenen Türen zwischen Regierung und Industrie verhandelt hätte.
Kloiber: Nun ist ja dieser Fragebogen sehr, sehr umfangreich. Jedenfalls der, der sich auch an Privatpersonen richtet. Und die Fragen sind nicht mal eben so aus dem Bauch heraus zu beantworten. Spitzt sich das dann nicht eigentlich nur auf ein paar Netzaktivisten zu, die den Fragebogen dann tatsächlich ausfülle können?
Kleinwächter: Möglicherweise ja. Und ich glaube auch, bei allen Themen, die globaler Natur sind heute, spitzt sich das zu auf eine Gruppe von Leuten – ich würde nicht sagen ein paar, das sind schon erhebliche Gruppen, die sich da in den letzten Jahren entwickelt haben – die über spezifisches Wissen verfügen. Das ist in der Umweltbewegung, bei der Energiefrage, ja auch nicht anders, dass dort also Leute, die sich damit beschäftigen – in welcher Weise auch immer – sozusagen das Interesse des Bürgers zum Ausdruck bringen, dass die ihre Stimme erheben. Man kann nicht erwarten, dass also sich vielleicht die 300 Millionen Europäer an so einer Fragebogen-Aktion beteiligen. Aber ich glaube, dass dort, wo auch teilweise die Expertise ist: also die Betroffenen und beteiligten, die jetzt nicht in einem Unternehmen direkt arbeiten, oder die nicht in der Regierung sitzen, aber die von den Entscheidungen betroffen sind, dass denen Kanäle angeboten werden müssen, um an dieser Entscheidung mitzuwirken in einer entsprechenden Form. Und wie gesagt: Der Test hat dann zu bewerten: Wenn also dieser Einfluss sich niederschlägt in entsprechenden Formulierungen einzelner Artikel dieser geplanten Direktive – wenn es denn eine Direktive werden sollte.
Kloiber: Aber steckt in dieser sehr breiten Befragung nicht auch das Risiko, dass ein völlig falsches Bild entsteht und das dann, weil es sich ja an jeden Bürger richtete, auch eine falsche Legitimität bekommt?
Kleinwächter: Ich glaube, dieser Multi-Stakeholder-Ansatz, der dort drin steckt, dass man also alle Betroffenen und Beteiligten befragt, hat genügend Korrekturpotenzial in sich, so das also extreme Meinungen, die von einzelnen Gruppen geäußert werden, gewissermaßen ausgebremst werden durch andere Meinungen. Keine Gruppe kann natürlich den Anspruch erheben, für alle zu sprechen und ihre Ansicht durchzubringen. Aber indem die Regierungen Überlegungen anstellen, Überlegungen, die verschiedene Unternehmen anstellen – die Netzwerkbetreiber haben häufig eine andere Meinung als zum Beispiel die ISPs oder Unternehmen der Internet-Economy, in dem also die Nutzer, verschiedene Nutzergruppen, Menschenrechtsgruppen, die sich also mit dem Schutz der Privatsphäre beschäftigen und so weiter – wenn all diese Argumente auf den Tisch kommen, dann kann man davon ausgehen, dass es doch zu einem relativ ausgewogenen Ergebnis kommt, wenn denn der politische Wille besteht, also tatsächlich jede geäußerte Meinung auch in entsprechender Weise ernst zu nehmen.
Das gesamte Interview können Sie bis mindestens 28. Dezember 2012 im Bereich Audio on Demand nachhören.