Im März 2022 schreibt Nicole Kumpis Geschichte. Zum ersten Mal in der mehr als hundertjährigen Geschichte wird eine Frau an die Spitze von Eintracht Braunschweig gewählt. Und sie ist im Moment die einzige Frau im deutschen Profi-Fußball in vergleichbarer Position.
Dass sie ständig darauf angesprochen werde, sei zwar schön, sagt Kumpis nun im Deutschlandfunk-Sportgespräch. „Andererseits ist das aber für das Jahr 2022 auch traurig. Weil ich dachte, dass wir zu dieser Zeit viel weiter wären, was Diversität im Profifußball und der Wirtschaft angeht.“
"Habe es ohne Frauenquote geschafft"
In Braunschweig sei sie in der „Männerriege“ Profifußball allerdings sehr gut aufgenommen worden. Bereits der Wahlkampf mit ihrem männlichen Hauptkonkurrenten sei stets eine Frage der Person gewesen – und nicht des Geschlechts. „Ich habe es ganz ohne Frauenquote geschafft“, betont Kumpis. In Braunschweig seien bereits heute zwei Frauen Präsidiums-Mitglieder, im Aufsichtsrat würden Frauen sogar schon ein Drittel der Mitglieder stellen.
Dass das aber eher die Ausnahme ist, zeigte eine Deutschlandfunk-Umfrage vor rund zwei Jahren. Die Frage: Wie divers sind die Führungsgremien der Vereine in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga besetzt?
Eines der Kernergebnisse: Frauen machen lediglich einen Anteil von fünf Prozent aus. „Ich denke daher schon, dass wir eine Frauenquote benötigen, um Frauen in diesen Gremien zu etablieren,“ sagt Kumpis.
Auch mit Blick auf Menschen mit Migrationsgeschichte gebe es viel Nachholbedarf in den Fußball-Führungsetagen, sagt Kumpis: „Wir müssen auch in den Gremien ein Spiegelbild der Gesellschaft abbilden.“ Das gelte nicht nur für den Fußball.
Forderungen nach divers besetzten Gremien
Kumpis spricht aus Erfahrung: Hauptberuflich ist sie Geschäftsführerin des Kreisverbandes Braunschweig-Salzgitter beim Deutschen Roten Kreuz. Auch dort würden in den Führungsgremien noch Männer dominieren – und wenig Diversität herrschen. Diese Dimension müsse aber vermehrt abgebildet werden, um nah an der Gesellschaft zu blieben: „Diese Gremien müssen genauso besetzt sein wie die Gesellschaft: divers.“
Auch an der Spitze der Deutschen Fußball-Liga steht seit Jahresbeginn mit Donata Hopfen eine Frau. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte sie kürzlich gesagt, dass der Fußball das letzte verbliebene Lagerfeuer der Gesellschaft sei. Nicole Kumpis will darauf angesprochen den Blick aber eher auf die derzeitigen Krisen richten und den Fußball nicht auf das Lagerfeuer reduziert wissen:
"Wir stehen immer im Schaufenster"
„Wollen wir diese Lagerfeuer-Mentalität erhalten oder haben wir nicht auch eine gesellschaftliche Verantwortung, der wir noch mehr gerecht werden müssen?“ Der Fußball, so Kumpis, könne mit seiner Reichweite noch viel deutlicher auf bestehende Probleme hinweisen: „Wir stehen immer im Schaufenster.“
Auch deshalb forderte der damalige DFL-Chef Christian Seifert kurz nach Ausbruch der Corona-Pandemie „mehr Demut“ im Profi-Fußball. Rückblickend zeigt sich aber: Die Gehälter sind nicht gesunken, Spieler werden weiter für immense Geldsummen transferiert.
Kumpis sieht das implizierte Versprechen heute kritisch. „Wenn ich so etwas äußere und verspreche, dann sollte ich das in die Umsetzung bringen, weil sie ansonsten an Authentizität und natürlich an Glaubwürdigkeit verlieren“, so die Eintracht-Präsidentin. "Vielleicht war jemand schneller in der Formulierung als das, was dann umgesetzt worden ist.“
Dies gelte aber bei vielen Themen, die den Profi-Fußball betreffen. „Je weiter wir uns von der Gesellschaft entfernen, desto weniger Akzeptanz werden wir in der Gesellschaft zukünftig noch haben“, warnt Kumpis.
Man merkt ja zunehmend, dass sich Fans und die breite Gesellschaft dazu äußern und sagen: 'Boah, das ist alles so fremd und so weit weg und so viel Kommerz – wir verabschieden uns.' Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Fußball. Bei einigen Profifußball-Vereinen ist das aber noch nicht angekommen.
Kumpis führt das wiederum auf die angesprochene fehlende Diversität in manchen Vereinen zurück.
"Fußball bietet Ablenkung wie kaum etwas anderes"
Durch die Brille des Katastrophenschutzes sei der Fußball jedenfalls nicht systemrelevant. Relevant sei eher seine Funktion, vielen Menschen als Ablenkung vom derzeit belastenden Alltag zu dienen: „Wir steuern wahrscheinlich im Herbst und Winter auf eine neue Corona-Welle zu. Dazu kommt die Ukraine-Situation. Das macht mit uns als Gesellschaft etwas.“
Auch mit Blick auf eine mögliche Einschränkung der Energieressourcen über den Winter sagt Kumpis im Sportgespräch: „Die Menschen sind sehr belastet und freuen sich über diese Ablenkung. Und das bietet der Fußball wie kaum etwas anderes in Deutschland.“
Stichwort Energieressourcen: Der Fußball ist insgesamt ein sehr energieintensives Geschäft – besonders an Spieltagen, an denen vielleicht sogar Rasenheizung und Flutlicht mit Energie versorgt werden müssen.
Fußballspiele bald nur noch bei Tageslicht?
Die Frage in Braunschweig ist daher laut Kumpis aktuell, wie Energie eingespart werden kann, ohne die Leistungsfähigkeit des Profibetriebs zu beeinflussen. Ilja Kaenzig, Geschäftsführer vom VfL Bochum, hatte im Deutschlandfunk bereits einen Verzicht von Flutlichtspielen ins Gepräch gebracht.
Sollte sich die Gaskrise zuspitzen, kann sich auch Kumpis vorstellen, dass der Liga signalisiert wird, dass die Energieressourcen zu knapp für Flutlichspiele seien. „Natürlich kann ich mir vorstellen, dass wir dem ganzen Rechnung tragen und sagen: Ja, dann spielen wir nachmittags bei Tageslicht, damit wir überhaupt spielen.“ Derzeit sei das aber auch aufgrund der bindenden Fernsehverträge keine Option.
Nachholbedarf beim Klimaschutz
Die DFL hat sich auf ihrem ersten Nachhaltigkeitsforum im Mai 39 Nachhaltigkeitsziele gegeben, die die Vereine bis März beackern müssen. Ein Ziel: die Vereine müssen ihren CO2-Fußabdruck messen. Laut einer aktuellen Umfrage des Deutschlandfunks und der ARD Radio Recherche Sport wissen aber von den 36 Profiklubs aus erster und zweiter Liga lediglich zwölf,wie groß ihr Fußabdruck ist.
„Da ist offensichtlich großer Nachholbedarf“, sagt Nicole Kumpis gegenüber dem Deutschlandfunk. „Den Fußabdruck zu ermitteln ist einfach. Daraus aber ein großes Klimaziel abzuleiten, ist dann noch mal eine extra Aufgabe.“