"In der nun einen Welt, einen neoliberalen Welt, in der wir nun alle interniert sind, gibt es kein Davonkommen mehr, aber entsprechend, wie ich meine, auch kein sich finden, also auch keinen Ort mehr finden."
So beschreibt Hermann Peter Piwitt die Lage der "modernen Weltbürger", aber auch seine eigene Lage als Schriftsteller und kritischer Geist in einem Land, in dem er nicht mehr gefragt ist. "Also los, fangen wir an", so ließ der 1935 in Hamburg geborene Autor seinen ersten, von der Studentenbewegung und einer politischen Aufbruchstimmung im Land getragenen Roman aus dem Jahr 1972 ausklingen. Heute bewegt sich nichts mehr. "Der Rest vom Mond herunter. Sagen wir Schrödingers Rinne. Oder Rille", so positioniert sich der Erzähler des neuen Buchs beinahe mühsam stammelnd fernab des Geschehens, auf der weltabgewandten Seite des Mondes. In einem ersten, "Kunersdorf" überschriebenen Teil beschäftigt er sich mit dem Nachlass seines in der Psychiatrie verstorbenen Bruders. Der hatte sich auf merkwürdige Weise für Friedrich II. begeistert und sich gleich ihm in einem alltäglichen Kriegszustand befunden. Friedrich II. verheizt in Kunersdorf die Hälfte seiner Armee, zerstört die Lebensgrundlage der Bevölkerung, erlebt sein größte Desaster und steht am Ende doch als Held da. Schon diese Sequenzen über den "Großen", mit der Aufklärung, Voltaire und den Künsten in Verbindung gebrachten Herrschers, der doch Krieg um Krieg geführt hat, legen den nackten Wahnsinn offen, der dieser aufgeklärten Zivilisation innewohnt. Der Bruder hat bis zu letzt wie ein Don Quichotte gegen alles gekämpft, was ihn bedrängt, doch anders als Friedrich der Große geht er unter. Romantisch Motive schleichen sich in den Text.
"Romantisch kann man das durchaus nennen, wenn man sich erinnert an die romantischen Schicksale der Literaturgeschichte, die Helden sowie auch die Autoren, die ja selten gut endeten. Romantisch insofern, als es in die Irre geht oder die Erzählung irregeleitet ist, herumirrt, und dabei doch geleitet von romantischen Motiven, von Schuberts 'Winterreise', von auch der 'Schönen Müllerin'. Das sind gewissermaßen Halt- und Eilesignale, an die man sich halten kann."
Schon im ersten Teil drängt sich sporadisch auch die Gegenwart des Erzählers an die Oberfläche des Textes. Im zweiten Teil "Jahre unter ihnen" steht sie im Zentrum. Man sieht ihn durch eine Stadt, durch eine eingezäunte und zubetonierte südliche Landschaft gehen, lernt ihn durch einzelne, fragmenthafte Beobachtungen kennen: Momentaufnahmen, Bruchstücke, einzelne Motive: Da ist beispielsweise die Bettlerin, die er fragt, warum sie kein Geld habe. "Ich bin Bettlerin", antwortet sie und lässt ihn sprachlos. Da ist ein Obdachloser, der im Vorbeigehen in einem Café die noch nicht abgeräumten Tassen leerschlabbert. "Einwandfrei schöner Herbsttag, nicht wahr?", sagt der und kaschiert sein von nackter Armut diktiertes Verhalten. Oder die promovierte Taxifahrerin, die eigentlich Architektin ist, vom Bauen fürs Leben träumt und an einer korrupten Baumafia scheitert. Das ist alles nicht spektakulär, kein Stoff für nennenswerte Aufregungen. Eher leitmotivisch für einen alltäglichen Irrsinn, an den wir uns, auch wenn wir nicht gerade abgestumpft sind, längst ein bisschen gewöhnt haben. Den Erzähler greifen sie an. Unmittelbar.
Und er kann sich nicht mehr wehren, sieht sich auch der eigenen Arbeitsmöglichkeiten beraubt. Der Leser sieht ihn vor sich, wie er den Kopf schüttelt, wie er die Fassung verliert. "Wenden wir uns ab. Alles ist gesagt. Getan", so stammelt der Erzähler, vor sich hin. Oder er deutet nur noch an: "Carla. Soviel dazu. Dass auch das gesagt ist." Als Schriftsteller bemüht er sich um die Form des Romans, und wie jeder allmächtig vor dem weißen Blatt Papier sitzende Autor ruft er einzelne Figuren auf, versucht, ihnen "Geschichten" einzuhauchen. Aber es funktioniert nicht mehr.
"Das ist nicht unbedingt einen Allmacht, von Allmacht kann man auch nicht reden, wenn jemand nur noch auf der Rückseite des Mondes sitzt oder glaubt zu sitzen, während er schreibt. Aber manchmal gibt es keinen anderen Ort. Der Seume, als man ihn nach Amerika verschifft hat als Söldner des Hessischen Landgrafen, der hat sich in den Mastkorb gesetzt und hat da, wie er sagt, seinen Plutarch gelesen. Also es gibt auch dann noch ein kreatives Abseits, und wenn ich das mir wahrnehme, dann bin ich ganz zufrieden - unter den bestehenden Bedingungen."
Das alles ist Form, sprachliche Form. Nichts wird hier deklamiert, keine Larmoyanz, kein Protest. Wort für Wort bis ins Verstummen hinein gestaltet Piwitt die Verzweiflung am Zustand der gegenwärtigen Welt, so wie sie ihm täglich begegnet. Ohne Happy end, wie bei Friedrich dem Großen. Ohne den Impetus eines "Aufbruchs" wie vor 35 Jahren, den Piwitt heute als einen nur winzigen Moment einer großen Utopie betrachtet. So gerät sein Buch zu einer selten gewordenen Art von Poesie, die der Konfrontation mit sozialer, politischer Erfahrung nicht ausweicht. Es stellt sich in eine Zeit, die dem Autor und dem Leser das Äußerste zumutet: Die Beschädigung des Humanen wird in der Beschädigung der Sprache, der Erinnerung, der Möglichkeit des Erzählens vor Augen geführt.
"Ja, es gibt eine Art von Brabbeln, in die man da hineingerät, von Gescheuchtsein. Das will ich dann auch. Gewisse Zumutungen verschlagen mir die Sprache, und wenn sie dann doch noch erzählt werden, dann ist das ein Gewinn. Ich habe mir gedacht, du gibst ja eigentlich die Verwüstung zurück, die du hast akzeptieren müssen. Bitter ist das natürlich, aber was hätte ich den sonst schreiben sollen?"
So beschreibt Hermann Peter Piwitt die Lage der "modernen Weltbürger", aber auch seine eigene Lage als Schriftsteller und kritischer Geist in einem Land, in dem er nicht mehr gefragt ist. "Also los, fangen wir an", so ließ der 1935 in Hamburg geborene Autor seinen ersten, von der Studentenbewegung und einer politischen Aufbruchstimmung im Land getragenen Roman aus dem Jahr 1972 ausklingen. Heute bewegt sich nichts mehr. "Der Rest vom Mond herunter. Sagen wir Schrödingers Rinne. Oder Rille", so positioniert sich der Erzähler des neuen Buchs beinahe mühsam stammelnd fernab des Geschehens, auf der weltabgewandten Seite des Mondes. In einem ersten, "Kunersdorf" überschriebenen Teil beschäftigt er sich mit dem Nachlass seines in der Psychiatrie verstorbenen Bruders. Der hatte sich auf merkwürdige Weise für Friedrich II. begeistert und sich gleich ihm in einem alltäglichen Kriegszustand befunden. Friedrich II. verheizt in Kunersdorf die Hälfte seiner Armee, zerstört die Lebensgrundlage der Bevölkerung, erlebt sein größte Desaster und steht am Ende doch als Held da. Schon diese Sequenzen über den "Großen", mit der Aufklärung, Voltaire und den Künsten in Verbindung gebrachten Herrschers, der doch Krieg um Krieg geführt hat, legen den nackten Wahnsinn offen, der dieser aufgeklärten Zivilisation innewohnt. Der Bruder hat bis zu letzt wie ein Don Quichotte gegen alles gekämpft, was ihn bedrängt, doch anders als Friedrich der Große geht er unter. Romantisch Motive schleichen sich in den Text.
"Romantisch kann man das durchaus nennen, wenn man sich erinnert an die romantischen Schicksale der Literaturgeschichte, die Helden sowie auch die Autoren, die ja selten gut endeten. Romantisch insofern, als es in die Irre geht oder die Erzählung irregeleitet ist, herumirrt, und dabei doch geleitet von romantischen Motiven, von Schuberts 'Winterreise', von auch der 'Schönen Müllerin'. Das sind gewissermaßen Halt- und Eilesignale, an die man sich halten kann."
Schon im ersten Teil drängt sich sporadisch auch die Gegenwart des Erzählers an die Oberfläche des Textes. Im zweiten Teil "Jahre unter ihnen" steht sie im Zentrum. Man sieht ihn durch eine Stadt, durch eine eingezäunte und zubetonierte südliche Landschaft gehen, lernt ihn durch einzelne, fragmenthafte Beobachtungen kennen: Momentaufnahmen, Bruchstücke, einzelne Motive: Da ist beispielsweise die Bettlerin, die er fragt, warum sie kein Geld habe. "Ich bin Bettlerin", antwortet sie und lässt ihn sprachlos. Da ist ein Obdachloser, der im Vorbeigehen in einem Café die noch nicht abgeräumten Tassen leerschlabbert. "Einwandfrei schöner Herbsttag, nicht wahr?", sagt der und kaschiert sein von nackter Armut diktiertes Verhalten. Oder die promovierte Taxifahrerin, die eigentlich Architektin ist, vom Bauen fürs Leben träumt und an einer korrupten Baumafia scheitert. Das ist alles nicht spektakulär, kein Stoff für nennenswerte Aufregungen. Eher leitmotivisch für einen alltäglichen Irrsinn, an den wir uns, auch wenn wir nicht gerade abgestumpft sind, längst ein bisschen gewöhnt haben. Den Erzähler greifen sie an. Unmittelbar.
Und er kann sich nicht mehr wehren, sieht sich auch der eigenen Arbeitsmöglichkeiten beraubt. Der Leser sieht ihn vor sich, wie er den Kopf schüttelt, wie er die Fassung verliert. "Wenden wir uns ab. Alles ist gesagt. Getan", so stammelt der Erzähler, vor sich hin. Oder er deutet nur noch an: "Carla. Soviel dazu. Dass auch das gesagt ist." Als Schriftsteller bemüht er sich um die Form des Romans, und wie jeder allmächtig vor dem weißen Blatt Papier sitzende Autor ruft er einzelne Figuren auf, versucht, ihnen "Geschichten" einzuhauchen. Aber es funktioniert nicht mehr.
"Das ist nicht unbedingt einen Allmacht, von Allmacht kann man auch nicht reden, wenn jemand nur noch auf der Rückseite des Mondes sitzt oder glaubt zu sitzen, während er schreibt. Aber manchmal gibt es keinen anderen Ort. Der Seume, als man ihn nach Amerika verschifft hat als Söldner des Hessischen Landgrafen, der hat sich in den Mastkorb gesetzt und hat da, wie er sagt, seinen Plutarch gelesen. Also es gibt auch dann noch ein kreatives Abseits, und wenn ich das mir wahrnehme, dann bin ich ganz zufrieden - unter den bestehenden Bedingungen."
Das alles ist Form, sprachliche Form. Nichts wird hier deklamiert, keine Larmoyanz, kein Protest. Wort für Wort bis ins Verstummen hinein gestaltet Piwitt die Verzweiflung am Zustand der gegenwärtigen Welt, so wie sie ihm täglich begegnet. Ohne Happy end, wie bei Friedrich dem Großen. Ohne den Impetus eines "Aufbruchs" wie vor 35 Jahren, den Piwitt heute als einen nur winzigen Moment einer großen Utopie betrachtet. So gerät sein Buch zu einer selten gewordenen Art von Poesie, die der Konfrontation mit sozialer, politischer Erfahrung nicht ausweicht. Es stellt sich in eine Zeit, die dem Autor und dem Leser das Äußerste zumutet: Die Beschädigung des Humanen wird in der Beschädigung der Sprache, der Erinnerung, der Möglichkeit des Erzählens vor Augen geführt.
"Ja, es gibt eine Art von Brabbeln, in die man da hineingerät, von Gescheuchtsein. Das will ich dann auch. Gewisse Zumutungen verschlagen mir die Sprache, und wenn sie dann doch noch erzählt werden, dann ist das ein Gewinn. Ich habe mir gedacht, du gibst ja eigentlich die Verwüstung zurück, die du hast akzeptieren müssen. Bitter ist das natürlich, aber was hätte ich den sonst schreiben sollen?"