Albert Heringa hat seiner Mutter nicht nur beim Sterben geholfen, er hat ihren Tod auch gefilmt. Heringa wusste, dass er damit die Staatsanwaltschaft auf sich aufmerksam machen würde.
"Zum Glück habe ich keine Schluckbeschwerden", sagt Moek Heringa, als sie beginnt, die tödlichen Pillen zu sich zu nehmen – eine nach der anderen, insgesamt 45 Stück. Zuvor hat sie ein Schälchen Brei ausgelöffelt, in das ihr Sohn 100 feingemahlene Schlaftabletten gerührt hat. Die tödlichen Pillen muss sie ganz schlucken, die sind gemahlen zu bitter.
"Das geht nicht ganz so schnell wie der Brei", konstatiert die 99 Jahre alte Dame und schluckt geduldig weiter, eine Pille nach der anderen. Sie hat diesen Tag herbeigesehnt. Dabei ist Moek Heringa weder krank noch einsam und auch nicht unzufrieden mit dem Pflegeheim, in dem sie lebt. Aber sie kommt nicht mehr nach draußen, kann nicht mehr lesen. "Ich bin fertig mit dem Leben", pflegt sie zu sagen. Ihren 100. Geburtstag will sie nicht mehr abwarten. Sie freut sich auf den Tod. "Schade, dass ich euch nicht nacherzählen kann, wie es mir ergangen ist", meint sie gut gelaunt, als ihr Sohn Albert ihr ein neues Glas Wasser reicht.
Albert Heringa hat seiner Mutter nicht nur beim Sterben geholfen, er hat ihren Tod auch gefilmt. Bereits 2010 wurde der Film im niederländischen Fernsehen gezeigt. Heringa wusste, dass er damit die Staatsanwaltschaft auf sich aufmerksam machen würde. Denn Beihilfe zur Selbsttötung ist in den Niederlanden verboten und kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. So will es Artikel 294 im niederländischen Strafgesetzbuch. Heringa hat nach dem Tod seiner Mutter dennoch die Öffentlichkeit gesucht: "Manchmal", sagt der 70-Jährige, "muss man ein Risiko eingehen, wenn man Dinge verändern und in Bewegung bringen will."
Der Film entstand für eine Bürgerinitiative: "Voltooid leven", heißt sie, "vollendetes Leben". Sie setzt sich dafür ein, dass auch alte Menschen, die ihr Leben als abgeschlossen betrachten, ein Recht auf Sterbehilfe bekommen. Dieses Recht haben in den Niederlanden bislang unter bestimmten Bedingungen kranke Menschen – so sie unerträglich leiden, ohne Aussicht auf Linderung und Genesung. In diesen Fällen darf der Hausarzt Sterbehilfe leisten. Die Hausärztin von Moek Heringa war deshalb nicht bereit, der alten Dame zu helfen, da diese ja nicht unerträglich litt.
"Moek fühlte sich von ihrer Ärztin im Stich gelassen", erzählt ihr Sohn Albert. "Ich weiß noch, wie verzweifelt sie war. Da habe ich beschlossen, ihr zu helfen." Rund 400 niederländische Senioren töten sich jedes Jahr. Viele haben keine Angehörigen, die ihnen – wie Albert Heringa - trotz drohender strafrechtlicher Verfolgung helfen. Sie fahren mit dem Auto in die Gracht oder werfen sich vor den Zug. In Altersheimen passiert es immer wieder, dass Bewohner sich selbst anzünden oder aus den Fenstern springen. Das wird beim Bau vieler Heime berücksichtigt, indem extra hochliegende Fensterbänke eingebaut werden. "Es ist Zeit umzudenken", findet Moek Heringas Enkelin Aafke: "Oma Moek sagte immer: 'Alt werden ist nicht schwer, alt sein hingegen sehr'. Das Leben ist ein Recht, aber doch keine Pflicht!"
Von einem Recht auf Sterbehilfe auch für alte, aber nicht kranke Menschen sind die Niederlande weit entfernt. Selbst eine Streichung des Paragrafen 294 aus dem Strafgesetzbuch scheint nicht in Sicht – auch wenn der Ruf danach seit Beginn des Prozesses gegen Albert Heringa immer lauter geworden ist.
"Der Paragraf 294 ist überholt", sagt Direktorin Petra de Jong von der NVVE – jener "Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende", die mehr als 30 Jahre dafür gekämpft hat, dass schwerkranke Menschen ein Recht auf Sterbehilfe bekommen. Beihilfe zur Selbsttötung durch Angehörige oder Bekannte sei ja noch nicht einmal in Deutschland verboten.
Während einer Kundgebung in Den Haag forderte die NVVE die Streichung von Paragraf 294. 'Helfen ist kein Verbrechen', lautete der Slogan, jeder Mensch müsse selbst über sein Lebensende entscheiden dürfen. Doch von den Abgeordneten im niederländischen Parlament weiß die NVVE bislang lediglich die Linksliberalen hinter sich, alle anderen möchten, dass Beihilfe zum Suizid strafbar bleibt.
Albert Heringa ist nicht der erste, der sich wegen seiner Tat vor Gericht verantworten muss. Zur Höchststrafe von drei Jahren ist noch niemand verurteilt worden, es blieb bei einem Jahr, meist auf Bewährung. Viele Niederländer hoffen, dass auch Heringa so glimpflich davonkommt – oder, in einem Grundsatzurteil, sogar freigesprochen wird.
Am ersten Prozesstag in Zutphen wurde er wie ein Held empfangen, zahlreiche Menschen standen vor dem Gerichtsgebäude Spalier, applaudierten und sprachen ihm Mut zu. Sein Anwalt Willem Anker kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: "Ich bin seit 32 Jahren Strafverteidiger, aber das habe ich noch nie erlebt", sagte er: Hier gehe es nicht nur um seinen Mandanten, hier gehe es um mehr. Dieser Prozess könne zu einem Präzedenzfall werden – und damit richtungsweisend für die Zukunft.
"Zum Glück habe ich keine Schluckbeschwerden", sagt Moek Heringa, als sie beginnt, die tödlichen Pillen zu sich zu nehmen – eine nach der anderen, insgesamt 45 Stück. Zuvor hat sie ein Schälchen Brei ausgelöffelt, in das ihr Sohn 100 feingemahlene Schlaftabletten gerührt hat. Die tödlichen Pillen muss sie ganz schlucken, die sind gemahlen zu bitter.
"Das geht nicht ganz so schnell wie der Brei", konstatiert die 99 Jahre alte Dame und schluckt geduldig weiter, eine Pille nach der anderen. Sie hat diesen Tag herbeigesehnt. Dabei ist Moek Heringa weder krank noch einsam und auch nicht unzufrieden mit dem Pflegeheim, in dem sie lebt. Aber sie kommt nicht mehr nach draußen, kann nicht mehr lesen. "Ich bin fertig mit dem Leben", pflegt sie zu sagen. Ihren 100. Geburtstag will sie nicht mehr abwarten. Sie freut sich auf den Tod. "Schade, dass ich euch nicht nacherzählen kann, wie es mir ergangen ist", meint sie gut gelaunt, als ihr Sohn Albert ihr ein neues Glas Wasser reicht.
Albert Heringa hat seiner Mutter nicht nur beim Sterben geholfen, er hat ihren Tod auch gefilmt. Bereits 2010 wurde der Film im niederländischen Fernsehen gezeigt. Heringa wusste, dass er damit die Staatsanwaltschaft auf sich aufmerksam machen würde. Denn Beihilfe zur Selbsttötung ist in den Niederlanden verboten und kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden. So will es Artikel 294 im niederländischen Strafgesetzbuch. Heringa hat nach dem Tod seiner Mutter dennoch die Öffentlichkeit gesucht: "Manchmal", sagt der 70-Jährige, "muss man ein Risiko eingehen, wenn man Dinge verändern und in Bewegung bringen will."
Der Film entstand für eine Bürgerinitiative: "Voltooid leven", heißt sie, "vollendetes Leben". Sie setzt sich dafür ein, dass auch alte Menschen, die ihr Leben als abgeschlossen betrachten, ein Recht auf Sterbehilfe bekommen. Dieses Recht haben in den Niederlanden bislang unter bestimmten Bedingungen kranke Menschen – so sie unerträglich leiden, ohne Aussicht auf Linderung und Genesung. In diesen Fällen darf der Hausarzt Sterbehilfe leisten. Die Hausärztin von Moek Heringa war deshalb nicht bereit, der alten Dame zu helfen, da diese ja nicht unerträglich litt.
"Moek fühlte sich von ihrer Ärztin im Stich gelassen", erzählt ihr Sohn Albert. "Ich weiß noch, wie verzweifelt sie war. Da habe ich beschlossen, ihr zu helfen." Rund 400 niederländische Senioren töten sich jedes Jahr. Viele haben keine Angehörigen, die ihnen – wie Albert Heringa - trotz drohender strafrechtlicher Verfolgung helfen. Sie fahren mit dem Auto in die Gracht oder werfen sich vor den Zug. In Altersheimen passiert es immer wieder, dass Bewohner sich selbst anzünden oder aus den Fenstern springen. Das wird beim Bau vieler Heime berücksichtigt, indem extra hochliegende Fensterbänke eingebaut werden. "Es ist Zeit umzudenken", findet Moek Heringas Enkelin Aafke: "Oma Moek sagte immer: 'Alt werden ist nicht schwer, alt sein hingegen sehr'. Das Leben ist ein Recht, aber doch keine Pflicht!"
Von einem Recht auf Sterbehilfe auch für alte, aber nicht kranke Menschen sind die Niederlande weit entfernt. Selbst eine Streichung des Paragrafen 294 aus dem Strafgesetzbuch scheint nicht in Sicht – auch wenn der Ruf danach seit Beginn des Prozesses gegen Albert Heringa immer lauter geworden ist.
"Der Paragraf 294 ist überholt", sagt Direktorin Petra de Jong von der NVVE – jener "Vereinigung für ein freiwilliges Lebensende", die mehr als 30 Jahre dafür gekämpft hat, dass schwerkranke Menschen ein Recht auf Sterbehilfe bekommen. Beihilfe zur Selbsttötung durch Angehörige oder Bekannte sei ja noch nicht einmal in Deutschland verboten.
Während einer Kundgebung in Den Haag forderte die NVVE die Streichung von Paragraf 294. 'Helfen ist kein Verbrechen', lautete der Slogan, jeder Mensch müsse selbst über sein Lebensende entscheiden dürfen. Doch von den Abgeordneten im niederländischen Parlament weiß die NVVE bislang lediglich die Linksliberalen hinter sich, alle anderen möchten, dass Beihilfe zum Suizid strafbar bleibt.
Albert Heringa ist nicht der erste, der sich wegen seiner Tat vor Gericht verantworten muss. Zur Höchststrafe von drei Jahren ist noch niemand verurteilt worden, es blieb bei einem Jahr, meist auf Bewährung. Viele Niederländer hoffen, dass auch Heringa so glimpflich davonkommt – oder, in einem Grundsatzurteil, sogar freigesprochen wird.
Am ersten Prozesstag in Zutphen wurde er wie ein Held empfangen, zahlreiche Menschen standen vor dem Gerichtsgebäude Spalier, applaudierten und sprachen ihm Mut zu. Sein Anwalt Willem Anker kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: "Ich bin seit 32 Jahren Strafverteidiger, aber das habe ich noch nie erlebt", sagte er: Hier gehe es nicht nur um seinen Mandanten, hier gehe es um mehr. Dieser Prozess könne zu einem Präzedenzfall werden – und damit richtungsweisend für die Zukunft.