Der berühmteste Piratensender war Radio Veronica. Am 17. Mai 1960 begann er zu senden, von einem Schiff aus, auf internationalen Gewässern, mitten auf der Nordsee. Es folgten Radio Caroline, Radio Atlantis und Radio Noordzee Internationaal.
Eine ganze Generation von jungen Niederländern horchte auf. Das hatten sie noch nie gehört, das war dem steifen und verstaubten öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Niederlande in Hilversum völlig fremd: frech-fröhliche Jingles, englische und amerikanische Popmusik. Und die allererste Hitparade, die inzwischen legendäre Veronica Top 40.
Viele Rundfunkkarrieren begannen an Bord dieser Schiffe. Auch die von Medienmagnat und Millionär John de Mol. Sein Vater John de Mol Senior war Direktor von Radio Noordzee internationaal.
Anti-Seesender-Gesetz beendet Piratenära
Doch dann, gut 15 Jahre später, am 1. September 1974, trat der Vertrag von Straßburg in Kraft - und mit ihm das so genannte Anti-Seesender-Gesetz: Es verbot das Senden von Radio- und Fernsehprogrammen von Flugzeugen und Schiffen aus. Das Ende einer Ära.
Das illegale Senden auf See hatte damit zwar ein Ende - aber nicht an Land. Dort hatte es schon seit den 1930er-Jahren Piratensender gegeben, in der Provinz, vor allem im Osten und Norden der Niederlande, an der deutschen Grenze. Und diese Landpiraten breiteten sich nach dem Verbot der Seesender wie ein Flächenbrand übers ganze Land aus.
Die Rundfunkpiraten verletzten das Urheberrecht, zahlten keine Steuern - und sie gefährdeten die Verkehrssicherheit: Vom nationalen Flughafen Schiphol bei Amsterdam kamen immer wieder Klagen, die Radiopiraten würden ihnen dazwischen funken und den Flugfunkverkehr stören - lebensgefährlich.
Katz-und Mausspiel mit Kontrolldienst
Völlig übertrieben, kontert John Zwennes vom damaligen Haager Piratensender Radio Randstad, dann hätten die Flugzeuge damals ja büschelweise runterfallen müssen - und das sei nicht der Fall gewesen.
"Es war ein Katz- und Mausspiel zwischen Piraten und Kontrolldienst. Manche Sender wurden bis zu 80 mal erwischt - und waren zwei Tage später doch wieder im Äther. Motto: Wenn man ein Knöllchen wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bekommt, gibt man ja auch nicht gleich das Autofahren auf."
Doch dann, Ende der 1980er-Jahre, wurden die Strafen drastisch verschärft. Ausserdem schlug die Geburtststunde des legalen Lokalradios: Ebenfalls frisch und frech machte es den Piraten nun Konkurrenz - und läutete das große Piratensendersterben ein.
Piratensender auf Landgang
Völlig ausgestorben sind die Ätherpiraten trotzdem nicht, sie senden nach wie vor - allerdings in der Hauptsache von dort aus, wo vor gut 90 Jahren alles begann: in den Provinzen im Norden und Osten. Junge Männer, die sich zum Biertrinken und Musikhören treffen. Die von Establishment und Mainstream nichts wissen wollen und Lieder spielen, die sonst nirgendwo oder nur selten zu hören sind. Niederländische Countrymusik, wie sie es selbst nennen.
Inzwischen drohen ihnen zwar Geldbußen von bis zu 45.000 €. Aber Not macht bekanntlich erfinderisch: Es kam schon vor, dass ein Radiopirat seinen Sendemast mit Asbestplatten schützte, damit sich keiner rantraute - auch nicht die Agentschap Telecom, wie der Radiokontrolldienst inzwischen heißt.
Andere weichen über die Grenze aus und senden von Deutschland aus in die Niederlande hinein. So wie neulich Radio Ijsbeer, ein illegal betriebener UKW-Sender aus Heinsberg bei Aachen, der erwischt wurde, nachdem er den Flugfunkverkehr auf Schiphol gestört hatte.
Piratensender bald legal?
Der sozialdemokratische Abgeordnete Henk Nijboer, der selbst im Norden mit Piratensendern aufgewachsen ist, plädiert dafür, die Ätherpiraterei zu legalisieren. Oder zumindest die Geldbußen wieder drastisch zu senken. Der Abgeordnete spicht von einem Hobby, das den Radiopiraten nicht so teuer zu stehen kommen dürfe.
Davon jedoch kann bislang keine Rede sein. Erfolg versprechender ist da der Vorstoss von Nijboers Parteigenossen Peter Zwiers, Abgeordneter im Parlament der Provinz Drenthe im Osten - da, wo es besonders viele Ätherpiraten gibt: Zwiers will die Radiopiratenkultur auf die Liste des immateriellen Erbguts der Niederlande setzen lassen:
Weil die Piratenradios die Menschen zusammenbrächten, so Zwiers. Weil sie Sprungbrett waren für viele erfolgreiche niederländische Schlagersänger, denen ohne sie nie der Durchbruch gelungen wäre. Und weil sie einzigartig für den Norden und Osten der Niederlande seien und zu diesen Provinzen gehörten wie die Tulpen und die Windmühlen zum Rest des Landes.
Freiheit, Spannung, Abenteuer
Die Ätherpiraten selbst sind wenig erbaut von diesen Plänen. Sie wollen nirgendwo dazugehören. Freiheit, Spannung, Abenteuer sind ihnen heilig. Sie wollen Piraten bleiben - und deshalb von offizieller Anerkennung oder gar Legalisierung nicht viel wissen.
"Das ist keine gute Idee", so ein Radiopirat aus Drenthe. "Dann hört der Spaß auf. Dann können wir den Laden besser gleich zu machen."