"Yes you do" ist ein Song vom 2021 erschienenen, achten Album "Wolffpack" der niederländischen Rockband DeWolff. Den Bandnamen wählten die Musiker in Anlehnung an die Figur "Winston Wolf, gespielt von Harvey Keitel in Quentin Tarantinos Filmklassiker "Pulp Fiction": ein eleganter, kaltblütiger Problemlöser, der für die Unterwelt die Spuren von Verbrechen tilgt. Nichts an DeWolff ist zwielichtig, aber eine Parallele zu Tarantino besteht tatsächlich: genauso wie der Regisseur seine Liebe zu früheren Kino-Epochen auslebt, gehen die drei Niederländer mit der Musik vergangener Jahrzehnte um: voller Bewunderung und doch zugleich sehr souverän und eigenständig.
Vom Bühnenrand beobachtet Roger Glover
Dafür werden sie auch von den Musikern respektiert, die eigentlich ihre Vorbilder sind. Schlagzeuger Luka van de Poel erinnert sich an eine beeindruckende Begegnung:
Luka van de Poel: "An einem Abend haben wir für Deep Purple eröffnet, in einer Arena in Krefeld. Wir haben etwa 40 Minuten gespielt. Ich habe getrommelt, und aus meinem Augenwinkel sah ich einen Mann am Bühnenrand stehen. Ich gucke hin, und dann ist es Roger Glover, der Bassist von Deep Purple! Als wir fertig waren, kam er zu uns und hat gesagt: woaaa, das klang wie Deep Purple in den alten Zeiten. Es hat ihm wirklich gefallen und er hat gesagt: ihr habt einen neuen Fan! Das war schon sehr besonders."
Wichtige Einflüsse für die Musik von DeWolff sind neben Deep Purple sicherlich die unvermeidlichen Led Zeppelin, aber auch Südstaatenrock, Blues, Soul, sogar The Doors – denn De Wolff haben keinen festen Bassisten und spielen live meist in der Besetzung Schlagzeug, Gitarre und Keyboard bzw. Orgel. Die niederländische Rock-Geschichte mit Bands wie Focus oder Golden Earring ist für Gitarrist und Sänger Pablo van de Poel weniger interessant, auch wenn er sie wertschätzt.
Pablo van de Poel: "Aber wenn Deine Helden nah dran sind, kommt irgendwann der Punkt, an dem man sagt: oh, ich habe eigentlich alles erreicht, was ich erreichen wollte, ich muss mich nicht mehr anstrengen. Aber es gibt schon coole niederländische Bands."
Luka van de Poel: "Die niederländischen Rockbands haben sich viel von den US- und UK-Bands abgeschaut. Und ich glaube, die sind einfach noch ein bisschen besser. Deshalb hören wir eher diese Musik."
Aber es wirkt nicht wie eine Kopie – ganz anders als beim US-amerikanischen Led Zeppelin-Abklatsch Greta van Fleet. De Wolff sind Epigonen und Adepten, aber keine Imitatoren. Ihre Produktionen im eigenen Studio klingen sehr zeitgemäß, obwohl sie auf eine altmodische Art transparent sind und auf radiotaugliche Überkompression verzichten.
Epochengetreu bis ins Bühnenbild
Ihre Songs haben zudem immer wieder Pop- und Stoner-Rock-Anleihen, die das Vorurteil vom 70er-Jahre-Revival gehörig ins Wanken bringen. "Big Talk" vom 2018 erschienenen Album "Thrust" ist so ein Beispiel. In ihrem spielerischen Umgang mit der Vergangenheit achten die Musiker von DeWolff auch auf Details jenseits der Musik. Sie tragen Cowboystiefel und Fransenhemden, Schlaghosen und cremefarbene Sakkos mit grotesk tiefen Aufschlägen. Für die Live-Online-Präsentation ihres achten Albums "Wolffpack" während der Covid 19-Pandemie wählten sie eine Studio-Dekoration, die aussah wie früher beim "Beat Club" oder "Top of the Pops". Dazu Keyboarder Robin Piso:
Robin Piso: "Wir mögen diese alten Fernsehaufnahmen aus den 70er-Jahren. Besonders eine von Tom Jones mit Crosby Stills, Nash & Young". Da haben wir den braun-orangenen Hintergrund her. Außerdem fiel uns auf, dass all diese alten Fernsehstudios einen weißen Boden und Podeste hatten, auf denen Musiker standen. Das wollten wir den Leuten geben, weil die meisten Livestreams während der Pandemie sich doch ziemlich ähnlich sahen. Wir wollten was anderes und ich glaube, wir haben es ziemlich gut hingekriegt."
"Wolffpack" zeigt noch eine ganze Reihe neuer Facetten dieser Band, die gemessen an ihrem Durchschnittsalter – Ende 20, Anfang 30 – schon sehr lange aktiv ist. Bei der Motown-Soul-Uptempo-Nummer "Half of your love" legt Gitarrist und Sänger Pablo van de Poel die Gitarre auf die Seite und schlendert schutzlos übers Podium, nur mit dem stilechten glitzernden kugelförmigen Mikrofon in der Hand:
Pablo van de Poel: "Das war schon sehr anders. Ich kann mich sonst hinter meiner Gitarre regelrecht verstecken, denn ich sehe mich nicht als echter Sänger, also jedenfalls nicht so wie die echten großen Sänger es waren. Deshalb war ich schon ein bisschen nervös. Aber eigentlich geht bei diesem Song darum, eine Maske aufzusetzen, nicht nervös zu sein und es einfach durchzuziehen. Ich musste dabei an Tom Jones denken oder Elvis Presley, als er diese Fernsehshows gemacht hat. Ich dachte: ja, ich bin nervös, aber ich darf es auf keinen Fall zeigen. Es war wie schauspielern, und es hat viel Spaß gemacht."
Es geht auch ohne Bassisten
DeWolff spielt seit der Gründung 2007 in derselben Besetzung: Keyboarder Robin Piso und die Brüder Pablo und Luka van de Poel an der Gitarre und am Schlagzeug und brüderlich vereint am Gesangsmikrofon. Bei Studioaufnahmen spielt Pablo oft den Bass. Live bleibt das Trio sowieso meistens unter sich.
Pablo van de Poel: "Wir mögen es, live zu dritt zu spielen, weil dieses Trio wirklich eine sehr starke Besetzung ist. Wir laden aber manchmal Bassisten zu ausgewählten Konzerten ein."
Das ist dann meistens Levi Wiss von der ebenfalls niederländischen Band The Dawn Brothers. Doch in der Regel spielt Keyboarder Robin Piso die Bassparts auf einem zweiten Manual seiner Orgel.
Robin Piso: "Ich mache wahrscheinlich am meisten anders als auf den Alben. Aber das Pensum ist für alle von uns ziemlich groß, glaube ich. Luka und Pablo spielen ja ihre Instrumente und singen gleichzeitig sehr viel. Und ich übernehme die Bass-Partien. Insofern müssen alle eine Menge kompliziertes Zeug üben, bevor wir es live spielen können."
Luka van de Poel: "Wenn wir mit anderen spielen, verändert das sehr viel. Man ist viel entspannter, kann sich zurücklehnen. Doch wenn wir zu dritt spielen, müssen wir wirklich jedes Mal auf den Punkt kommen. Denn wenn ich einen Fehler mache, dann ist das schon mal ein Drittel der Musik, die ausfällt. Deshalb muss man sehr aufmerksam sein. Wir drei haben einen großen Anteil am Song."
Dennoch sind auf den Studioalben regelmäßig Gäste zu hören. Bei den Aufnahmen zum achten Album "Wolffpack", das im Juni 2021 veröffentlicht wurde, war es sogar erstmals ein Gastsänger. Landsmann Arthur Akkermans, der hyperaktive überlebensgroße Frontmann der Post-Psychedelic-Rock-Band The Grand East.
Pablo van de Poel: "Arthur hat diese wunderbare Bühnenpräsenz. Wenn er auf die Bühne kommt, gehört sie ihm. ER ist fast wie ein Prediger, der alle Aufmerksamkeit in einem Raum auf sich ziehen kann. Da habe ich mir gedacht, dass ich diesen Song zwar singen kann, aber dass er noch das gewisse Extra vertragen könnte und dass es für Arthur ein echt cooler Song sein könnte. Mit seiner super-extrovertierten Art."
Vier, sechs, 13, egal
Da die Niederländer aber diesmal zu viele Songideen angehäuft hatten, und dieser Song nach Pablos Ansicht eher untypisch für die Band sei, ist "Buckshot Baby "nur auf einer Sonder-Ausgabe des Albums zu hören. Und natürlich in der Live-Präsentation im Internet. Die Musiker von DeWolff bezeichnen ihren Stil selbst als Raw Psychedelic Southern Rock. Das lässt viel Raum für stilistische Freiheiten. Bei aller Wucht, die dieser immer melodiösen Musik innewohnt, erlaubt sich das niederländische Trio immer auch verschachtelte Arrangements und etwas komplexere Songstrukturen. Auf dem Album "Wolffpack" sticht zum Beispiel "Lady J" besonders hervor. Der Rhythmus wirkt uneindeutig, rutscht unterm Gitarren-Riff und der Gesangslinie irgendwie seitwärts weg. Schlagzeuger Luka van de Poel schafft Klarheit.
Luka und Robin van de Poel: "Es ist tatsächlich ein sechs Achtel, aber es wird wie ein Vier-Viertel gespielt. Es sind schon ein paar komplizierte Songs auf dem Album. "Hope Train" ist sogar ein 13 Achtel oder sowas. Der war eigentlich schon fertig, auf einer Akustikgitarre geschrieben, und erst dann haben wir uns gedacht: wie können wir einen DeWolff-Song draus machen? Also haben wir zu dritt dieses Riff gespielt, sind ihm gefolgt, und auf einmal hatten wir diesen Song in 13 wie viel auch immer. Das war wirklich keine Absicht. Wir haben nicht gesagt: Hey, lass uns mal kompliziertes Zeug schreiben!"
Der Hang zu etwas komplizierteren Songs ist in der Diskografie von DeWolff schon früh zu beobachten. Auch wenn er manchmal etwas seltsame Blüten trieb, wie Robin Piso selbstironisch zugibt. Denn manchmal wirft die Begegnung mit dem früheren Musiker-Ich große Fragezeichen auf.
Wie ging doch gleich dieses Riff?
Robin Piso: "Wir haben kürzlich mal ein Projekt gemacht, das wir DeWolff Nonagon genannt haben. Das war ein Livestream-Marathon, bei dem wir jeden Abend eines unserer Alben in ganzer Länge gespielt haben. Dafür war viel Vorbereitung nötig. Wir haben ja jeden Tag ein anderes Album gespielt. Und es waren fast 100 Songs. Ujnd es war sehr lustig, in diese alten Songs einzutauchen und herauszufinden, wie wir die damals gespielt haben, denn bei manchen Sachen ist es uns gar nicht mehr eingefallen oder wir haben sie sogar noch nie live gespielt. Vor allem beim Album DeWolff IV – als wir das versucht haben, dachten wir uns: Oh Gott. Da wollten wir offenbar besonders progrockig sein und kompliziert sein. Da waren wir echt so drauf, dass wir gesagt haben: da nehmen wir jetzt mal eine Tonart, in der es total schwierig ist, eine Melodie zu finden, oder: da machen wir jetzt unbedingt einen Taktwechsel. Einfach nur aus Spaß an der Verrücktheit. Was wir heute nie mehr tun würden!"
"A Mind Slip" ist eine Psychedelic-Rock-Mini-Oper vom 2012 erschienenen Album "DeWolff IV", das verwirrenderweise erst das dritte der Band war. Wie von Keyboarder Robin Piso angesprochen, versuchten DeWolff damals bewusst, kompositorische Grenzen zu sprengen. Sänger und Gitarrist Pablo van de Poel pflichtet ihm bei.
Pablo van de Poel: "Als wir diese Sachen geschrieben haben, haben wir einen Schwierigkeitsgrad angestrebt, der über unseren Möglichkeiten lag."
Der Unterschied zu damals ist: Heute können sie das alles spielen. Und vielleicht gerade deshalb auch mal alles aufs Wesentliche reduzieren. Wie beim siebten DeWolff-Album "Tascam Tapes" im Jahr 2020. Es entstand 2019 auf Tour, in Hotelzimmern, dem Bandbus, Künstlerumkleiden, mithilfe eines einfachen Vierspur-Aufnahmegeräts von – eben – Tascam. Das Ergebnis überrascht einerseits durch die poppig-eingängigen Melodien, andererseits durch den satten Sound. Die Band gab deshalb das selbstbewusst-spöttische Motto aus: "Recorded for less than 50 Dollars but sounds like a MILLION Bucks." Pablo und Luka van de Poel haben am Konservatorium in Amsterdam studiert. Keyboarder Robin Piso erhielt klassischen Klavierunterricht
Robin Piso: "Ich habe viel von Pablo gelernt, als er auf dem Konversatorium war. Er hat mir etwas beigebracht über unterschiedliche Tonarten, wie sie zusammen passen, wie bestimmte Akkorde unterschiedliche Funktionen übernehmen. Außerdem habe ich ein paar Stunden genommen bei Roland Voss, das ist der Keyboarder von den Dawn Brothers, bei denen auch Levi Wiss spielt, unser Gelegenheits-Bassist. Man lernt immer was Neues, wenn man mit anderen Musikern spricht, oder auch einfach nur durchs Musikhören. Oh: was genau spielt der da, und warum funktioniert das?"
Nicht ohne meine Hammond
Die DeWolff-Musiker spielen gerne auf alten Original-Instrumenten. Pablo hat kürzlich aufgerüstet und sich eine 61er Gibson Les Paul Custom zugelegt, sein Bruder Luka trommelt auf einem alten Gretsch-Kit mit monströser 24-Zoll-Bass-Drum. Dass diese Instrumentenwahl einen Einfluss auf den Klang von DeWolff haben, bezweifelt Pablo. Nach so vielen Jahren des gemeinsamen Spielens sei der Sound einfach in den Fingern. Aber:
Pablo van de Poel: "Es gibt alte Instrumente, die scheinen eine Seele zu haben. Oder jedenfalls eine Menge Charakter. Die sorgen dafür, dass Du auf eine bestimmte Art spielst. Bei Gitarren ist das Holz zum Beispiel trockener. Sie wurden zu einer Zeit gebaut, als es noch nicht so viele Gitarren gab, deshalb war das Holz, das man dafür benutzt hat, hundert Jahre alt oder sogar noch älter. Und nach den 60er, in den 70ern, wurden immer mehr Gitarren hergestellt, aber ich glaube, das ganz alte Holz durfte man dafür dann nicht mehr verwenden. Also haben sie jüngeres benutzt, und das ist bis heute so. Aber eine 50er, 60er-Jahre Gitarre ist totaltrocken, das Holz hat lauter kleine Klangkammern und ganze Gitarre "resonates". Das habe ich erst kürzlich entdeckt. Man kann das auf einer neuen Gitarre spielen, aber auf einem alten Instrument macht es viel mehr Spaß und ist leichter."
Und dann wäre da natürlich noch das Instrument von Robin Piso. Für ihn wie für so viele Keyboarder musste es die Orgel sein, die in den 60er -und 70er-Jahren bei jeder ernstzunehmenden Rockband auf der Bühne und im Studio stand.
Robin Piso: "So eine alte Hammond hat eine Menge bewegliche Teile, die man ölen muss. Die alle einen sehr speziellen Klang erzeugen. Man kann das mit einem Keyboard simulieren, aber es wird immer ein Fake bleiben. Das merkt man einfach, wenn man sie spielt. Es ist sehr schwer, es geht kaputt, dann muss man wieder was reparieren. Es wird zu Deinem Baby. Gitarristen haben viel mehr Auswahl, die können überall eine Gitarre ausprobieren. Ich habe nicht viele Hammonds gespielt, weil es einfach nicht viele gibt, und man kann sie auch nicht einfach so kaufen. Es ist sehr schwer, die perfekte Hammond für sich zu finden. Man spielt also das, was man hat und lernt es wertzuschätzen. Meine zum Beispiel hat sehr viele spitze Höhen und wenig tiefe Bässe, wie man das von alten Alben kennt. Aber es ist nicht leicht, sich davon zu trennen und einfach einen Ersatz zu finden. Das ist mein Kind!"
Brüder, zur Sonne, zu Dritt
Als DeWolff im Jahr 2007 gegründet wurde, gingen die jungen Musiker noch zur Schule. Als sie kurze Zeit später durch den Sieg bei einem landesweiten Musikwettbewerb einen Plattenvertrag erhielten, war Robin Piso 17, Pablo van de Poel 16 und Schlagzeuger Luka sogar erst 13 Jahre alt.
Luka van de Poel: "Unter der Woche bin ich zur Schule gegangen, am Wochenende sind wir quer durchs Land gefahren, um aufzutreten. Das war cool und sehr abenteuerlich. Und immer, wenn ich Schulferien hatte, sind wir dann richtig auf Tour gegangen. Wir sind dann nach Deutschland gefahren. Ich hatte immer was zu erzählen in der Schule. Aber es war auch anstrengend. Andere haben sich entspannt und sind mit ihren Kumpels in der Kneipe was trinken gegangen. Und von solchen Abenden mit Schulfreunden habe ich viele verpasst. Es war ein komisches Doppel-Leben!"
Luka und Pablo konnten ihr Dasein als Profimusiker dann gut in ihr Musikstudium integrieren. Keyboarder Robin machte parallel sogar einen Bachelor in Biomedizintechnik. Es ist fraglich, ob er ihn jemals brauchen wird, denn inzwischen ist DeWolff eine der erfolgreichsten Rock-Bands der Niederlande. Sie füllen mühelos Theater mit anderthalbtausend Sitzplätzen, ihre Alben erreichen Top-Fünf-Plätze. Doch es ist nicht der Erfolg allein, der DeWolff zusammenhält. Es ist auch das Verhältnis zwischen Robin Piso und den de Poel-Brüder, das der Keyboarder so beschreibt:
Robin Piso: "Ich sehe uns eigentlich als drei Brüder. Denn wir sind wie Brüder! Wir sind so lange in dieser Band, wir haben so viele Auftritte zusammen gehabt und wir haben so viele Stunden gemeinsam in einem Kleinbus gesessen, so dass ich sie auf eine Art schon fast besser kenne als meine eigenen Schwestern! Seit die bei meinen Eltern ausgezogen sind, leben die ihr eigenes Leben, aber mit diesen beiden Jungs spiele ich seit DREIZEHN Jahren. Das ist echt eine Menge! Deshalb fühlt es sich wirklich wie drei Brüder an."