Archiv

Niederländische Universitäten
Streit um die Sprache

Dutch or English? In den Niederlanden tobt eine Debatte um die Arbeitssprache an Universitäten. Über zwei Drittel aller Master-Studiengänge werden nur auf Englisch angeboten, Tendenz steigend. Kritiker fürchten eine sprachliche Verarmung der Wissenschaft. Doch die Folgen reichen noch weiter.

Von Andrea Lueg |
    Schild des Besucher-Zentrums der Lindenthaler Universität Leiden am 4. Juni 2006.
    Auch Leiden, älteste Universität der Niederlande, wirbt um internationale Studierende. (Imago )
    So, wie die Universität Leiden, die älteste der Niederlande, werben alle holländischen Hochschulen um internationale Studierende. Vor allem mit einem breiten Angebot an englischsprachigen Studiengängen. Die Universität Twente in Enschede, nahe der deutschen Grenze, will bis zum Jahr 2020 sogar komplett englischsprachig werden.
    "Was das jetzt genau heißt und wo das anfängt und wo das endet, ist natürlich so eine Sache und da sind wir voll in der Diskussion, aber es ist schon klar, dass wir Englisch, auch wenn es um Emails geht, die wir uns schicken, dass das einfach effizienter ist, das einheitlich in einer Sprache zu machen, und das wird dann Englisch sein", erklärt Sander Lotze, Leiter der Abteilung Internationalisierung an der Universität Twente.
    Auf Kosten der eigenen Sprache
    Laut Gesetz muss der Unterricht an Schulen und Hochschulen in den Niederlanden eigentlich auf Niederländisch erteilt werden, wenn keine guten Gründe für eine andere Sprache sprechen. Doch die Formulierung im Gesetz ist schwammig und viele Universitäten halten sich nicht daran.
    Die Organisation "Beter Onderwijs Nederland", auf Deutsch etwa: Bessere Bildung für die Niederlande will, dass die Regierung die Hochschulen zwingt, sich besser an das Gesetz zu halten. Für eine entsprechende Petition werden gerade Unterschriften gesammelt.
    "Wir sehen, dass das auf Kosten unserer eigenen Sprache passiert, wir sehen jetzt schon, dass nicht nur ausländische Studierende, sondern auch die aus unserem eigenen Land die Sprache nicht mehr wirklich beherrschen. Die erleben dann auf der Hochschule auch kein gutes Niederländisch mehr."
    Werben um internationale Studierende
    Ad Verbrugge, der Vorsitzende von Beter Onderwijs Nederland kritisiert, dass für das Englisch an den Universitäten überwiegend wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend seien.
    "Dem liegen also keine pädagogischen oder gesellschaftlichen Überlegungen zugrunde, sondern nur wirtschaftliche: Mehr Studierende bringen mehr Geld. Wir sehen, dass das auf Kosten unserer eigenen Sprache passiert."
    Nicht nur würden die ausländischen Studierenden kein Niederländisch lernen, obwohl sie später, zumindest wenn sie in den Niederlanden bleiben, in einer niederländisch-sprachigen Umgebung arbeiten müssten. Auch die einheimischen Absolventen könnten am Ende eine wissenschaftliche Debatte nicht mehr auf Niederländisch führen.
    In der vor allem technisch orientierten Hochschule Twente sollen nicht nur alle Studiengänge komplett auf Englisch angeboten werden, auch alle Versammlungen und die Mitsprache von Mitarbeitern und Studierenden soll in der Fremdsprache stattfinden.
    "Unsere Vision ist, dass wir sogenannte global citizens ausbilden, weil Studenten auch in einem Umfeld arbeiten werden in der Zukunft, wo die in internationalen Teams zusammenarbeiten."
    Die niederländischen Studierenden fit für einen globalen Markt zu machen, das ist der eine Aspekt bei der "Verenglischung" der Hochschulen. Aber Sander Lotze gibt zu, dass es auch um Marketing geht. Man will mehr internationale Studierende und Wissenschaftler gewinnen.
    Sorge um die Qualität der Ausbildung
    Fragt man die Studierenden in Twente, sind die Meinungen geteilt.
    "Weil die Qualität der Ausbildung teilweise abnimmt, weil sich die Dozenten in einer fremden Sprache doch nicht so ausdrücken können wie in ihrer Muttersprache. Andererseits sorgt es für mehr Diversität und jeder weiß, dass das auch für eine bessere Gemeinschaft sorgt", meint Jasper ten Napel von der Studierendenvereinigung. Je mehr das Englisch aber auch in die Privatsphäre vordringe, desto schwieriger werde das Thema.
    "Da gibt es Diskussionen, ob ein Wohnheim mit niederländischen Studenten einen internationalen Studenten aufnehmen will, denn dann muss natürlich teilweise auch dort englisch gesprochen werden. Diese Diskussion ist sehr emotional und die wird auch sehr hart geführt."
    Englisch - auf Kosten der Mehrsprachigkeit?
    Ad Verbrugge betont, dass er nichts gegen die Internationalisierung der Hochschulen hat. Aber warum, fragt er, soll es nur Englisch geben? Zumal mit dem Brexit die englische Sprache auch in der EU eine geringere Rolle spielen werde.
    "Wenn wir auf Englisch als einzige Wissenschaftssprache umstellen, finde ich das für die Wissenschaft eine Verarmung. Wenn wir zum Beispiel über Philosophie sprechen, dann gibt es eine große Tradition von Werken, die auf Deutsch geschrieben sind, da ist die Sprache von entscheidender Bedeutung und obendrein bekommt man dadurch eine andere Perspektive auf die Wirklichkeit. Ich finde es also wichtig, die Mehrsprachigkeit zu betonen auch in der Wissenschaft."
    Seit den Wahlen im vergangenen März konnte noch keine neue Regierungskoalition in den Niederlanden gebildet werden. Der nächste Bildungsminister wird sich mit der Debatte aber auf jeden Fall beschäftigen müssen.