
Der italienische General Matteo Albertone erkannte, dass seine Lage aussichtslos war - und gab seinen Männern den Befehl zu sterben: "Offiziere und Soldaten sollen sich neben ihren Geschützen niedermachen lassen!"
Seit anderthalb Stunden dauerten die Kämpfe um den Hügel Kidane Meret an. Zwei Angriffswellen hatten die italienischen Verteidiger unter blutigen eigenen Verlusten zurückgeworfen. Als es den äthiopischen Truppen gelang, sechs Schnellfeuerkanonen auf eine benachbarte Anhöhe zu hieven, wendete sich das Blatt. Ein Augenzeuge berichtete: "Die Verluste wurden immer schwerer. Von sechs Kanonieren an einem Geschütz blieben zwei übrig, dann einer. Die Batterie war überhäuft mit Toten. Kalt, unerbittlich wie der Tod brachte ein Sturm aus Blei das achte Bataillon zum Stehen. Die Feinde griffen so zahlreich an, als wären sie aus der Erde gewachsen."
Einzige Niederlage von Kolonialtruppen in Afrika
Es war der 1. März 1896, der Tag, der den Traum italienischer Politiker von einem ostafrikanischen Großreich zerbröseln ließ. Die Schlacht bei Adua im Norden Äthiopiens war ein Ausnahmeereignis in der Geschichte des europäischen Imperialismus. Zum ersten und einzigen Mal wurden Truppen einer Kolonialmacht von Afrikanern vernichtend geschlagen. Der äthiopische Hofchronist Gabra Selassie bemühte ein Bibelwort: "Da sind jene gefallen, die Unrecht begehen. Sie wurden niedergeschlagen und können sich nicht mehr erheben."
Italiens Kolonialabenteuer begann wie viele vergleichbare Geschichten mit einem Privatunternehmen. Für 6.000 Maria-Theresien-Taler handelte der Genueser Reeder Raffaele Rubattino 1869 einem lokalen Sultan 20 Quadratkilometer Wüstensand am Roten Meer ab. Das Hafenörtchen Assab wurde zur Keimzelle der Kolonie Eritrea, wo sich die Italiener festsetzten und ausbreiteten.
"Zeigt der Welt, dass Italien groß ist"
Für Bürgertum und Militär des jungen italienischen Königreichs waren das beflügelnde Aussichten. Als 1885 in Neapel Truppen nach Eritrea eingeschifft wurden, erklärte deren Befehlshaber Tancredi Saletta: "Ihr zeigt jenen Barbaren, dass Italien zivilisiert ist. Ihr zeigt Europa, dass es mächtig, und der Welt, dass es groß ist."
Auch in Rom Zweifel an Italiens Kolonialprojekt
Kritiker zur Linken stellten freilich bereits damals die Frage, wie ein Land mit massiven eigenen Entwicklungsdefiziten sich anmaßen könne, Afrika zivilisieren zu wollen. So der republikanische Publizist Dario Papa:
"Wenn ich an die Lage unseres Landes mit mehr als 60 Prozent Analphabeten denke, empfinde ich ein Gefühl der Brüderlichkeit im Unglück mit den Äthiopiern. Die Äthiopier haben dieselben Bedürfnisse wie wir, Bildung, Arbeit, Hygiene, Rechtsgleichheit."
"Wenn ich an die Lage unseres Landes mit mehr als 60 Prozent Analphabeten denke, empfinde ich ein Gefühl der Brüderlichkeit im Unglück mit den Äthiopiern. Die Äthiopier haben dieselben Bedürfnisse wie wir, Bildung, Arbeit, Hygiene, Rechtsgleichheit."
Einmarsch ins heutige Tigray als Casus belli
Durch Vertrag mit Kaiser Menelik II. war seit 1889 die Grenze zwischen Äthiopien und der Kolonie Eritrea völkerrechtlich fixiert. Doch der italienische Gouverneur Oreste Baratieri drängte auf weitere Expansion. Einen Aufstand in Eritrea nahm er 1895 zum Vorwand, in die benachbarte äthiopische Provinz Tigre einzumarschieren. Für Menelik war das der Kriegsfall.
Der äthiopische Kaiser hatte früh begriffen, dass ein afrikanischer Herrscher, der sich gegen europäische Kolonialmächte behaupten wollte, über deren Rüstungstechnik verfügen musste. Bei der Belagerung von Mekele im Januar 1896 staunten die Italiener, dass sie mit Schnellfeuerkanonen beschossen wurden, die den eigenen Geschützen überlegen waren.
Der äthiopische Kaiser hatte früh begriffen, dass ein afrikanischer Herrscher, der sich gegen europäische Kolonialmächte behaupten wollte, über deren Rüstungstechnik verfügen musste. Bei der Belagerung von Mekele im Januar 1896 staunten die Italiener, dass sie mit Schnellfeuerkanonen beschossen wurden, die den eigenen Geschützen überlegen waren.
Entscheidung im Becken von Adua
Seit dem 3. Februar standen die Gegner einander gegenüber. Baratieri mit 20.000 Mann auf einer Hügelkette am Rand des Beckens von Adua. Menelik mit mindestens 120.000 in der Ebene. Ein Italiener notierte: "Am Abend sieht man den Widerschein der Lager des Kaisers. Es sind fünf im Halbkreis vor uns, jedes mit mindestens 15.000 Mann. Sie werden uns nicht angreifen, weil sie ihrer Sache zu sicher sind."
Mussolini sann auf "Rache für Adua"
Es war dann Baratieri, der am Abend des 29. Februar seine Truppen vorrücken ließ. Drei Kolonnen versuchten, sich einen Weg durch die Nacht zu bahnen. Die Brigade Albertone geriet übers Marschziel hinaus und stieß im Morgengrauen unversehens auf die äthiopische Armee. Im zerklüfteten Gelände verloren die drei italienischen Brigaden den Kontakt zueinander und wurden eine nach der anderen vernichtet. Für vier Jahrzehnte war Italiens Expansionsdrang in Ostafrika gebremst. Dann ließ Benito Mussolini Äthiopien unter dem Einsatz von Bomben und Giftgas erobern.